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Archiv-Artikel

Textsex im Halbstundentakt

Buchmessern (5): In Frankfurts Messehallen darf das mediale Rauschen nicht abreißen

Das Schöne an einer Buchmesse ist, dass sie bei all ihrer Geschäftigkeit und künstlichen Aufregungsproduktion so reich an Bizarrerien ist. Ob das ein Event ist, bei dem man „die Ästhetik der Langsamkeit einer Tasse Tee“ erleben kann; ob das die Tatsache ist, dass auch der Schauspieler Wolfgang Fierek unter die Buchautoren gegangen ist und hier auf dem Blauen Sofa sein Buch „Mit der Harley an der Himmelspforte“ vorstellt; ob das die Bodyguards sind, die hinter Joschka Fischer herlaufen und in Jutesäcken dessen Buch transportieren; oder ob das die vier Flaschen Wodka und die eine Flasche Weinbrand sind, die der Tropen Verlag noch schnell organisiert hat, weil beim Empfang der unabhängigen Verlage in der Halle 4 auch bei Tropen etwas ausgeschenkt werden soll – auf Schritt und Tritt begegnet einem hier Wunderbares und Obskures.

Ganz groß gestaltet sich die Begegnung eines Fernsehteams des MDR mit zwei Mitarbeitern des Verbrecher Verlags am Verbrecher-Stand in Halle 3.1. „Wir wollen Sie in unserer Buchmessensendung drin haben“, stellt sich etwas atemlos der Reporter vom MDR vor, den man sich gut auch in einer Corvette Cabrio vorstellen könnte: „Ach, ja, Sie sind der Verleger, gut, und Sie, eine Autorin?, nein?, ja, doch, welches ist denn Ihr Buch hier?, halt mal drauf“. Als Verbrecher-Verleger Jörg Sundermeier erklärt, seine Mitarbeiterin sei eher eine angehende Autorin, sie werde demnächst in einer noch nicht ganz fertigen Verbrecher-Anthologie eine Erzählung veröffentlichen, freut sich der MDR-Mann, „zeigen Sie mal, wo liegt es denn, ihr Buch?“ Danach dominiert die professionelle Geschäftigkeit auf beiden Seiten, und Sundermeier beantwortet ordentlich die ordentlichen Fragen des MDR-Mannes etwa nach dem Namen des Verlags oder dessen Programmschwerpunkten.

Nicht viel anders geht es am Übergang der Hallen 5 und 6 zu, wo das Blaue Sofa steht und im Halbstundentakt die Gespräche mit den Autoren geführt werden. Nicht dass diese nicht interessant wären, dass zum Beispiel Nick Hornby nicht schöne Geschichten erzählen würde über seine Schriftstellerwerdung oder seine Schwierigkeiten mit dem Wiederlesen eines Buches („Es ist immer wie beim ersten Mal, warum sollte ich also ein Buch zweimal lesen?“) – doch wirklich lange aushalten lässt es sich nicht an diesem zugigen, an eine Bahnhofshalle erinnernden Ort. Hier ist alles vor allem Promotion und mediales Rauschen, das auf keinen Fall abreißen darf.

Ein Ort der Ruhe und Meditation ist dagegen ausgerechnet das Forum Fußball in der riesigen Halle 1.2., die zu einer Art Fußball-Eventpark gemacht wurde, mit grüner Auslegware, Fußballfeldern, Tischfußballtischen, einer Ausstellung zum Thema Fußballbücher und Fußballfotografien. Nur wenige Leute nehmen hier das Spielangebot an, und auch der Schriftsteller Frank Goosen, der gerade ein Buch zum Thema herausgegeben hat, beantwortet mutterseelenallein die Fragen eines ZDF-Mannes nach dem Zusammenhang von Fußball und Politik und Literatur. Goosen nennt Ronald Rengs „Traumhüter“ und Tim Parks Buch über eine Fan-Saison mit Hellas Verona als seine Lieblingsfußballbücher (und der ZDF-Mann macht nicht den Eindruck, als hätte er jemals davon gehört) und orakelt, dass ein möglicher Gewinn der WM durch Klinsmanns Mannen die Leute kaum leichter die kommenden harten sozialen Einschnitte ertragen lasse, die große Koalition also kaum von der WM profitieren werde.

So eine richtige Aussage konnte man dann in der Halle 1.2. immerhin am Bier- und Würstchenstand ganz stilecht verdauen: mit Bitburger, dem Premium-, Fernseh- und Fußballbier.

GERRIT BARTELS