: Flucht ins Männerdasein
Eine Iranerin in der schwäbischen Provinz: Angelica Maccarones Hosenrollendrama „Fremde Haut“
von MADELEINE BERNSTORFF
Eine junge Übersetzerin hat ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau. In Teheran. Sie wird ertappt und muss fliehen, denn in der Islamischen Republik Iran steht auf Homosexualität die Todesstrafe. Nach ihrer Ankunft auf dem Stuttgarter Flughafen gerät die Frau in die bundesdeutsche Parallelwelt der Transitzonen, Asylanträge, Flüchtlingsheime und Residenzpflichtregime.
Der neue Kinofilm „Fremde Haut“ von Angelica Maccarone nimmt diese Geschichte zum Ausgangspunkt eines Hosenrollendramas jenseits von Crossdressing-Plänkeleien. Die Filmemacherin arbeitet schon seit ihrem Fernsehfilm „Kommt Mausi raus?!“ an einer populären, komödiantischen und involvierten Sichtweise aufs Minoritäre – mit großem Erfolg. In „Mausi“ geht es darum, nach dem städtischen Coming-out auch im provinziellen Dorf dazu zu stehen, Lesbe zu sein. Nach weiteren Filmen wie „Alles wird gut“, der Liebesgeschichte zweier afrodeutscher Frauen, oder „Ein Engel schlägt zurück“ ist „Fremde Haut“ nun der erste wirkliche Kinofilm von Angelica Maccarone. Das Drehbuch entstand zusammen mit der Kamerafrau Judith Kaufmann. Arbeitstitel war „In Orbit“, ein Begriff aus der Migrationsverwaltungssprache. „Refugees in orbit“ sind Flüchtlinge, die von einem Land zum anderen geschickt werden, weil sich niemand für sie zuständig fühlt. Nach einer ZuschauerInnenbefragung im Vorfeld des Filmstarts bestätigte sich der Verdacht, dass dieser Titel eher Science-Fiction-Assoziationen weckt. So kam es zu dem Titel „Fremde Haut“.
Im hejab und mit dunkler Sonnenbrille sitzt Fariba (Jasmin Tabatabai) im Flugzeug – dann eine Durchsage: „Verehrte Fluggäste, wir haben soeben die Grenze überflogen und das iranische Staatsgebiet verlassen.“ Fariba steht auf und geht zielstrebig auf die Flugzeugtoilette. Ab jetzt ist der hejab nur noch zur Dämmung des Rauchmelders nützlich, um in dem engen Raum eine Zigarette zu rauchen. Doch bei der Kontrolle am deutschen Flughafen werden ihre gefälschten Papiere sofort entdeckt, und Fariba erlebt die übliche Prozedur: Fingerabdrücke, erkennungsdienstliche Fotos, Analuntersuchung und die Befragung mit Übersetzer. Die Atmosphäre dieser Transitzone von Büroräumen, Stacheldraht, Stockbetten und Landebahnen ist präzise getroffen. Fariba gibt an, aus politischen Gründen verfolgt zu sein. „Können Sie das Todesurteil als beglaubigte Kopie vorlegen?“
Das Asylgesuch wird abgelehnt, doch als ein anderer iranischer Asylbewerber sich umbringt, schlüpft sie in dessen Haut und Status. Von nun an ist sie der anerkannte Flüchtling Siamak, der sich darauf einstellen muss, mindestens zwei bis fünf Jahre im Zweibettzimmer eines Flüchtlingsheims in der schwäbischen Provinz zu verbringen. Arbeit findet sie in einer Sauerkrautfabrik, doppelt bedroht von der Aufdeckung ihrer wahren Geschlechtszugehörigkeit und von den Kontrollen gegen Schwarzarbeit. Und dann kommt es zum folgenreichen Flirt mit der blonden Arbeiterin Anne, die „vielleicht nur jemanden finden will, der anders ist“.
Wie in allen Hosenrollenfilmen speist sich die Spannung aus dem Wissen der ZuschauerInnen, dass der verkleidete Mann auf der Leinwand eine Frau ist. Und aus dem Genuss, dieser Rollenaneignung zuzusehen und der Performance des Nicht-Identischen beizuwohnen. Zum Repertoire gehören auch Tarnungshandlungen: Hier sind es die abgebundenen Brüste und die mit einer Zahnbürste aufgetragene Schuhcreme, die die Bartstoppeln imitieren soll, genauso wie Männlichkeitsproben: Kegeln und Bordellbesuch. Und gleichzeitig die Befürchtung vor und Erwartung der Enttarnung.
„Fremde Haut“ ist es hoch anzurechnen, dass er diesen Moment in der Schwebe hält. Es wird nie ganz deutlich gemacht, ab wann die blonde Schwäbin weiß, dass dieser hübsche, einfühlsame Mann doch kein Mann ist. Siamaks großes Geständnis handelt von der drohenden Abschiebung und nicht davon, eine Frau zu sein.
Der Film lebt von Jasmin Tabatabai sowie von ausgezeichneten Nebendarstellern wie Hinnerk Schönemann, der Siamaks Arbeitskollegen Uwe so spielt, dass in jeder Geste und Bewegung Mackerkonkurrenz und mehrheitsgesellschaftliche Drohung präsent sind: „Du gehörst hier nicht her!“
Doch es gibt auch viele Momente, in denen der Film seiner eigenen kühn konstruierten Geschichte nicht traut, in denen die sich anbahnende Liebesgeschichte mit einem Übermaß sehnsüchtiger Blicke und sich nähernder Gesichter inszeniert wird, untermalt von Musik, die allzu sehr darauf hinweist, was wir nun fühlen sollen.
„Der kurze offensive Ausbruch einer tragischen Orientalin in Fatih Akins ‚Gegen die Wand‘ wurde“, schreibt die Filmemacherin Hatice Ayten, „in der deutschen Medienlandschaft als eine Art filmischer Mehrwert verbucht.“ Der Blut-Wut-Vitalismus von Akins Film brachte erneut zum Vorschein, in welchen Paradigmen sich die Bilder von der Migrantin hierzulande meist bewegen.
Auf der einen Seite die rückständige Kopftuchträgerin, auf der anderen die Superpromiske. „Fremde Haut“ geht ein ganzes Stück weiter. Die Frage bleibt allerdings: Wie viel Klischee muss sein, damit die Abkehr vom Klischee geschehen kann?
„Fremde Haut“. Regie: Angelica Maccarone. Mit Jasmin Tabatabai, Anneke Kim Sarnau. D 2005, 97 Min.