: Tamiflu allein reicht nicht aus
Experten sind besorgt darüber, dass das Antigrippemittel Tamiflu bei dem Erreger der Vogelgrippe versagt. Erste Resistenzen gibt es bereits
Für den Schweizer Pharmakonzern Roche ist das Antigrippemittel Tamiflu ein Selbstläufer. Das Medikament mit dem Wirkstoff Oseltamivir wird neben einem weiteren Produkt, dem Inhalationsmittel Relenza, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als das wirksamste Mit- tel zur Linderung einer Grippeinfektion bezeichnet. Seitdem nun die Vogelgrippe auch in Europa angekommen ist, kann sich Roche vor Aufträgen kaum noch retten und muss so manchen Großbesteller auf später vertrösten. Denn die Produktionskapazitäten können den Bedarf schon längst nicht mehr decken.
In den ersten neun Monaten des Jahres steigerte der Konzern nach eigenen Angaben seinen Tamiflu-Umsatz um mehr als 260 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Bei dieser Steigerungsrate wird es nicht bleiben. Denn viele Staaten wollen angesichts der sich immer weiter ausbreitenden Vogelgrippe ihre Tamiflu-Vorräte noch aufstocken. So kündigte Großbritannien bereits an, für jeden britischen Bürger eine Tamiflu-Packung vorsorglich einzulagern. In dem von der WHO verabschiedeten Vorsorgeprogramm für eine Grippeepidemie ist vorgesehen, dass die Staaten Medikamente für 20 Prozent der Bevölkerung einlagern. In Deutschland haben die Bundesländer für rund 10 Prozent der Bevölkerung vorgesorgt.
Auch viele Privatpersonen sorgen vor und lassen sich das 33 Euro teure Medikament vom Arzt verschreiben. Dabei ist der Neuramidasehemmer Tamiflu nur als Grippemittel zugelassen. Im Körper unterbindet es die Vermehrung des Grippevirus. Die Infektion selbst kann er nicht verhindern.
Damit Tamiflu wirken kann und der Krankheitsverlauf gemildert wird, muss das Mittel auch innerhalb von 48 Stunden nach der Infektion eingenommen werden. Ob Tamiflu auch bei dem Erreger der Vogelgrippe H5N1 wirkt, ist noch ungeklärt. Es gibt zwar Hinweise dafür – aus Tierversuchen. Aber noch gibt es keine praktischen Erfahrungen. Mediziner warnen davor, sich mit Tamiflu selbst zu behandeln. Denn es sei nur sinnvoll, wenn eindeutig eine Grippeinfektion festgestellt worden sei. Und nicht jeder Schnupfen oder Husten sei eine Grippe.
Die Experten befürchten zudem, dass der Erreger der Vogelgrippe eine Resistenz gegen Tamiflu entwickeln könnte. Aufgeschreckt wurden sie durch eine Meldung aus Hongkong. Dort hatten Mediziner am Queen Mary Hospital bei einem Mädchen einen H5N1-Virus isoliert, der nicht auf Tamiflu ansprach. Das Mädchen sei zwar wieder gesund geworden. Der Befund aber gebe Anlass zu der Befürchtung, dass Tamiflu nicht genügen werde, um eine Epidemie zu bekämpfen, sagte Professor William Chui vom Queen Mary Hospital. WOLFGANG LÖHR