: Heiße Luft, geschlagen
Nach den Kriegen auf dem Balkan ist es auch um die sprachliche Nachbarschaft geschehen. Bosniaken, Kroaten und Serben versuchen, ihre Sprache vom jugoslawischen Erbe zu säubern
VON AMELA OSMANOVIC
Wenn man in Bosnien und Kroatien Milch kaufen möchte, so nennt man das gewünschte Produkt ml-ije-ko, in Serbien dagegen kauft man mleko. Das sieht zwar sehr ähnlich aus, ist es aber nicht – zumindest nach Meinung der Sprecher der jeweiligen Sprachen. Die bosnisch-kroatische Bezeichnung l-ij-epo wird auf Serbisch lepo ausgesprochen. Das bedeutet „schön“, und lepo bzw. lijepo wäre es, wenn bei allen bosnischen, serbischen bzw. kroatischen Worten lediglich diese leichte Akzentverschiebung die Sprachen trennen würde.
Das ist aber bei weitem nicht mehr so: Wer in Kroatien ein hljeb (serbisch: hleb) bestellt, läuft Gefahr, dass er angeblich nicht verstanden wird. Denn das Brot bezeichnen die Einwohner der neuen Republik Kroatien heute ausschließlich als kruh. Vor Kriegsausbruch wurden hleb und kruh an den Schulen als Synonyme gelehrt und im Alltag wurden sie auch ohne Problem benutzt. Die kroatische Bäckerin versteht ihren serbischen Kunden heute zwar nach wie vor sehr gut, sie möchte sich aber nicht auf seine Sprache einlassen. Ungefähr so, als würde man in Bayern eine Schrippe bestellen und keine Semmel bekommen. Wenn die Sprachpuristen so weiter machen, dann kann es leicht passieren, dass ein Muttersprachler bald seine eigene Sprache nicht mehr verstehen kann.
Die Geschichte des Serbokroatischen ist eine höchst komplizierte und teilweise kuriose Angelegenheit. Die „Neuorientierung“ des Bosnischen, des Kroatischen und Serbischen ist jeweils stark auf die Vergangenheit fixiert. Die Kroaten sind in dieser Farce Weltmeister. Mit Begriffen handeln sie wie mit Antiquitäten, und je älter die sind desto begehrter.
Auf dem Balkan werden heute politische und kulturelle Konflikte durch die Unterscheidung der Sprachen noch untermauert. Mit akribischer Vehemenz werden neue Worte konstruiert und national oder religiös geprägte Begriffe, die eigentlich längst veraltet waren, auf einmal wieder hervorgekramt. Solche Wortabgrenzungen sollen den einstigen Verbündeten dabei helfen, die trennenden Gräben zu vertiefen.
Wörter, die im sozialistischen Jugoslawien aus der Mode gekommen oder einer „Deklassierung“ zum Opfer gefallen waren, erleben heute ihren zweiten Frühling. Statt blau-weiß-roten Fahnen mit rotem Stern, die man während der kommunistischen Herrschaft schwenkte, tragen die heutigen Staaten, die aus dem ehemaligen Jugoslawien entstanden sind, ihre verschiedenen Wortschöpfungen vor sich her. Die sich neu orientierenden südslawischen Völker sind getrieben von einer Sehnsucht nach nationaler Identität.
Das Serbokroatische hat sich aus dem slawischen Stamm des Indogermanischen entwickelt und wird der Gruppe der südslawischen Sprachen zugeordnet (siehe Randspalte). Seine Überbleibsel, das Bosnische, Kroatische und Serbische, gehören zur gleichen Sprachfamilie: Alle drei bauen sie auf dem stokavischen Dialekt auf. Zwar sind sie linguistisch weitgehend identisch, dennoch weisen sie zum Teil unterschiedliche Akzentuierung, Unterschiede in der Rechtschreibung und im Wortschatz auf. Bosnisch und Kroatisch verwenden das lateinische Alphabet, Serbisch das kyrillische.
Mit der Sprache Politik zu machen ist auf dem Balkan keine Neuheit. Die Sprache der Südslawen war von Anfang an ein von politischen Tendenzen stark geprägtes Konstrukt. Im Stil eines Alpha-Tieres übten die „führenden“ Ethnien ihre Dominanz aus. In Kroatien, Bosnien und Montenegro sprach man die ijekavische Variante und in Serbien und Teilen Kroatiens die ekavische. Diese gehen von einer unterschiedlichen Wiedergabe des urslawischen Lautes jat aus. Darüber hinaus gab es auf dem Gebiet des ehemaligen sozialistischen Jugoslawien verschiedene Dialekte: den stokavischen, kajkavischen und kajkavischen.
Selbst der Krieg ließ die Kontrahenten auch nicht für einen kleinen Augenblick verstummen, im Gegenteil, man schreit und tobt wie am Spieß. Wo man ethnische Säuberungen vollzogen hatte, macht man keinen Halt vor Sprachen. Das Ergebnis sind erzwungene gesäuberte Sprachkonstrukte. Sprache als nationale Offenbarung. Die Qualität ist nebensächlich. Und das irrsinnige Treiben nimmt kein Ende: Erst im Mai dieses Jahres scheiterte die Reform der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Bosnien-Herzegowina an Sonderwünschen der bosnischen Kroaten. Diese hatten die Einführung eines Fernsehkanals mit kroatischer Sprache gefordert. Man drohte sogar, bis zur UN zu ziehen. Drei Kanäle in drei miteinander eng verwandten Sprachen in einem Staat, der immer noch auf der Stelle tritt und nicht weiter kommt – gibt es nicht dringlichere Aufgaben? Die kroatischen „Sprachverteidiger“ beharren darauf, jedes Volk habe ein Recht, seine eigene Sprache und Kultur auszuleben.
Hätte man bei der Gründung der südslawischen Gemeinschaft die gemeinsame Sprache unverbindlich entweder Jugoslawisch oder Südslawisch genannt, wäre es vielleicht nie zu diesem Chaos gekommen. Jedoch bereits der allererste gemeinsame Staat der Südslawen, 1918 gegründet, hieß „Das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“. Im Grunde begann damit das Sprachenwirrwarr: Was war zuerst da, das Serbische, Bosnische und Kroatische oder das Serbokroatische? Im Streit um das verblassende Erbe des Serbokroatischen ist kein Ende in Sicht.
Der sprachliche Separatismus ist ein tragikomisches Drama mit unzähligen Akten. Selbst die außenpolitische Haltung wird über Sprache verhandelt. New York schreibt man in Kroatien, in Serbien dagegen Nju Jork. Die Weisheiten des ersten großen serbischen Philologen und Patrioten Vuk Stefanović Karadžić (1787–1864) nimmt man in Serbien eben nicht auf die leichte Schulter. „Schreib wie du sprichst – sprich wie du schreibst“, war seine These. In Kroatien versucht man dagegenzuhalten und macht den Linguisten für den serbischen Nationalismus verantwortlich.
In den Zeiten der nationalen Renaissance bedient sich die Politik eher der Kraft des Wortes. Bosniaken (sprich: Muslime) in Bosnien sprechen Bosnisch, Serben Serbisch und Kroaten Kroatisch. Somit schmückt sich der junge Staat Bosnien mit drei Amtssprachen. Das altbewährte serbokroatische Sprichwort „Ein Mensch ist so viel wert, wie die Anzahl der Sprachen, die er spricht“ hat man offenbar allzu ernst genommen. Noch ein Beispiel aus dem nationalsprachlichen Tollhaus: In Montenegro spricht man offiziell Serbisch, jedoch beharrt das montenegrinische Volk darauf, seine Sprache als Montenegrinisch zu bezeichnen. Die Wahrheit liegt auf der Zunge. Die montenegrinische Variante des Serbischen ist keine ekavische, sondern eine ijekavische, die eher der bosnischen und kroatischen Sprache eigen ist.
Das bosnische Volk und seine Sprache waren permanent fremden Kulturen und deren Einflüssen ausgesetzt. Die Osmanen und Habsburger hinterließen kulturelle, architektonische und sprachliche Spuren. Jedoch handelt es sich bei den Worten, die mit den Osmanen und Donaumonarchen kamen, teilweise nicht um deren eigene, sondern um Begriffe, die etymologisch den Persern oder Arabern zuzuschreiben sind – respektive um „islamische“ Wörter –, deswegen möchten orthodoxe Serben und katholische Kroaten aus Bosnien diese nicht in ihren Sprachschatz aufnehmen.
Seltsamerweise werden Begriffe, die über die österreich-ungarische Herrschaft in die südslawischen Sprachen eindrangen, ausgerechnet von den westorientierten Kroaten abgelehnt. Das Schnitzel wird in Serbien wie in Bosnien šnicla bezeichnet, in Kroatien dagegen nennt man es odrezak, „das Abgeschnittene“. Worte wie paradajz (die Tomate, in Wien Paradeiser), ribizla (die Johannisbeere, im österreichischen Sprachgebrauch Ribisel) und kukuruz (der Mais) gelangten aus der Donaumonarchie nach Bosnien und werden auch heute überall verwendet.
Die so genannten Turzismen, die das Bosnische vom Serbischen und Kroatischen unterscheiden, haben während des kommunistischen Jugoslawiens an Bedeutung verloren. Dennoch wurden aus dem Türkischen stammende Begriffe, wenn auch nicht in Städten, wo „reines“ Serbokroatisch gesprochen wurde, in ländlichen Gebieten benutzt.
Auf dem „Sprachmarkt“ in Kroatien kursieren unterdessen komplizierte Wörter wie zum Beispiel dalekoumnozitelj, ein Begriff, der das Fremdwort Fax umgehen möchte. Ein Zungenbrecher, der auch Muttersprachler ins Straucheln bringt. Die Übersetzung bedarf einiger Vorstellungskraft. Dalekoumnozitelj bedeutet so etwas wie eine „Maschine für die lange weite Vermehrung“. Aber es geht noch bunter. Um die eigene Sprache nicht langweilig zu gestalten, lässt man sich schöne Sachen einfallen. Das Wort für Hard Disc, kruzno velepamtilo, kann man wie folgt wortwörtlich übersetzen: der „runde Gedächtnismeister“. Und den Hubschrauber nennt man jetzt zrakomlat – die „Maschine, die die Luft schlägt“!
AMELA OSMANOVIC, 30, lebt seit 1992 in Berlin. Sie stammt aus dem Teil Jugoslawiens, der heute Bosnien heißt. Der neuen Sprachlogik zufolge heißt ihre Muttersprache also Bosnisch