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Archiv-Artikel

Treue Nibelungen auf dem Feuerberg

Noch mehr Rechtsbrüche im Geschlossenen Heim: Illegale Aids-Tests an Jugendlichen. Opposition fordert Schließung der Einrichtung und Entlassung von CDU-Senatorin Schnieber-Jastram. Die bleibt in der Türkei und schweigt beharrlich

Von Sven-Michael Veit

Die Skandale um das Geschlossene Heim für straffällige Jugendliche weiten sich täglich aus. Gestern gab die GAL-Fraktion in der Bürgerschaft bekannt, nach ihrer Kenntnis seien dort „rechtswidrige Aids-Test an Jugendlichen“ vorgenommen worden, ohne dass die notwendigen Einverständniserklärungen der Betroffenen oder ihrer Sorgeberechtigten vorgelegen hätten. In den Akten des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) Feuerbergstraße seien „Hinweise“ gefunden worden, so die GAL-Obfrau im PUA, Christiane Blömeke, „dass die Jugendlichen in der Einrichtung routinemäßig und ohne konkreten Verdacht auf eine mögliche HIV-Infektion getestet wurden“.

Für diese Tests „müssten Einverständniserklärungen vorliegen“, bestätigt Rico Schmidt, Sprecher der für die Einrichtung verantwortlichen Sozialbehörde. Allerdings habe es „nach unserem Erkenntnisstand“ solche Eingriffe „nicht gegeben“. Blömeke hingegen verweist darauf, dass aus der Aktenlage nicht hervorgehe, „ob diese Erklärungen eingeholt und die Jugendlichen oder Sorgeberechtigten über den Test aufgeklärt wurden“.

Um „diesem Spuk ein Ende“ zu machen, haben die Grünen gestern einen förmlichen Antrag in die Bürgerschaft eingebracht, in dem der Senat aufgefordert wird, die Feuerbergstraße „umgehend zu schließen“. Statt ihrer sollten „bedarfsgerecht Plätze in intensiv betreuten Wohngruppen“ eingerichtet werden, in denen die Jugendlichen „verbindlich“ und „qualifiziert betreut“ würden.

Wenig zu entgegnen hat die Sozialbehörde weiteren Vorwürfen, die gestern bekannt geworden waren. Die taz und andere Medien hatten aus vertraulichen Unterlagen und internen Dienstanweisungen zur Feuerbergstraße zitiert. Danach kontrollieren MitarbeiterInnen die private Post der Insassen und haben zumindest bis zum vorigen Jahr deren Gespräche oder Telefonate mit ihren Anwälten überwacht.

Die Frage des Postgeheimnisses „muss noch geprüft werden“, erklärte Behördensprecher Schmidt gestern gegenüber der taz, da gebe es „unterschiedliche rechtliche Positionen“. Zum Vertrauensschutz der Mandantengespräche konnte er keine Angaben machen.

Nach Einschätzung von Thomas Böwer, Obmann der SPD im PUA, steht die Behörde allerdings „mit rechtsstaatlichen Prinzipien auf Kriegsfuß“. Grundrechte wie das Briefgeheimnis „einfach außer Kraft zu setzen“ offenbare ein System, „das im demokratischen Hamburg nichts zu suchen hat“. Die „Missachtung einfachster Grundregeln“ durch Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) und ihren Staatsrat Klaus Meister „offenbart einen Ungeist“, den Böwer „bislang nur bei Herrn Schill vermutet“ haben will.

Von einem „Verstoß gegen die Menschenwürde“ spricht denn auch SPD-Fraktionschef Michael Neumann. Die Senatorin habe „den Rechtsstaat in einem Teilbereich ihres Ressorts außer Kraft gesetzt“ und sei deshalb „untragbar“. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) forderte er gestern erneut auf, seine Stellvertreterin zu entlassen. Sie habe „in der Feuerbergstraße offenbar die Regeln einer Bananenrepublik“ eingeführt.

Zudem wertete Neumann das beharrliche Schweigen der Senatorin, die seit Samstag zu einem einwöchigen offiziellen Besuch in der Türkei weilt, „als Desinteresse und Abtauchen“. Sie müsse, fordert Neumann, „ihre Reise abbrechen und sich der Verantwortung stellen“.

Nach Auskunft von Behördensprecher Schmidt sei Schnieber-Jastram über alle Vorwürfe und neuen Details „selbstverständlich informiert“. Es sehe aber „momentan“ nicht so aus, „dass sie ihre Reise abbricht“.

Auch Regierungschef von Beust oder auch nur die CDU-Fraktion konnten sich bislang nicht dazu aufraffen, den Vorhaltungen der rot-grünen Opposition zu begegnen oder Schnieber-Jastram in Schutz zu nehmen. Offenbar „üben sie sich zähneknirschend in Nibelungentreue“, höhnt deshalb Neumann. Das Schweigen des Bürgermeisters zeige, vermutet der Sozialdemokrat, dass dieser „bereits auf Distanz zu seiner Stellvertreterin gegangen ist“.