: Die nukleare Alternative
Endlich kündigt US-Präsident George W. Bush an, er wolle alternative Energien fördern. Aber der Weg „weg vom Öl“ führt für den Texaner logischerweise direkt in die „alternative Energie“ der Atomkraft
VON JAN FEDDERSEN
Wären die Hurricans – zunächst „Katrina“, jüngst „Rita – bloß über die Rocky Mountains gefegt oder die Atlantikküste oberhalb von Boston: Niemand hätte in den USA eine Debatte um alternative Energien als Ersatz für das Erdöl angefangen. Jetzt wird sie geführt – denn die Wirbelstürme zogen quasi schnurgerade über die Bohrinseln und Raffinerien im Golf von Mexiko wie über die Küstensäume von Louisiana und Texas hinweg. Die Schäden sind noch nicht zu ermessen. Jedenfalls: Die Produktion stockt – und das ist für die US-amerikanische Ökonomie kein gutes Zeichen. Die Preise pro Ölfass schnellen in die Höhe, weltmarktbedingt – was obendrein dadurch zusätzlich als negatives Signal gelesen wird, weil eben die einheimische Produktion aktuell nur ein Rinnsal befördert, keine Ströme.
US-Präsident George W. Bush hat auf diese Krise nun eiliger und mahnender reagiert, als dies bei der reinen Sturmflut rund um New Orleans der Fall war: Man müsse sich nun auch um alternative Energien Gedanken machen, so der oberste Krisenignorant der Nation – und schlug weitere Atomkraftwerke vor. Keine Silbe über den fast maßlosen Durst der US-Ökonomie nach Öl, kein Gedanke an Wind- oder Sonnenenergie, von Vorschlägen zum Energiesparen zu schweigen: Die Bevölkerung möge doch, so Bush, im Zeichen der hohen Spritkosten Fahrgemeinschaften bilden oder den öffentlichen Nahverkehr nutzen.
Öko? Weichei-Vokabel!
Dieser Ratschlag – so irre er in europäischen Ohren klingen mag – kommt für Bushs Landsleute dem kleinlauten Eingeständnis gleich, dass die quasimoralisch gegebene Garantie auf billige Ölprodukte nicht mehr einzuhalten ist. Öl? Kein Saft der Vorsehung, der God’s own country so selbstverständlich zur Verfügung stehe wie sonst nur Trinkwasser. Ein Sparbewusstsein existiert unter Amerikas Autofahrern so gut wie überhaupt nicht: Man fährt gern hochverbrauchend, weil eine automobile Existenz ohne protzige Karre keine Existenz ist.
Das Auto ist das heilige Fortbewegungsmittel dieses Landes – eines, das niemals im Fadenkreuz von Gesundheitsschützern steht, von Menschen, die in fast allen Bundesstaaten Rauchverbote und Lebensmittelkennzeichnungspflicht (im Hinblick auf den Fettgehalt beispielsweise) durchsetzen halfen. Das Auto aber? PS-stark? Materialaufwändig, fett, panzerartig? Ein Muss.
Präsident George W. Bush weiß um den erotischen Appeal für das Selbstbewusstsein der Amerikaner – und er bedient ihn, indem er Alternatives gar nicht erst denkt. Was er aber mit dem spärlich ausgebauten öffentlichen Nahverkehr zu machen gedenkt – auch dies ist offen, denn Mittel zum Ausbau der Netze sind, gemessen an den Mobilitätsbedürfnissen, egal ob in Kalifornien, Maine, Montana oder Florida, kaum vorhanden.
Ökologische Debatten stehen ohnedies unter dem Vorbehalt, dass sie irgendwie sehr europäisch scheinen: Das Kioto-Protokoll, das zu unterzeichnen sich die Bush-Administration strikt weigert, gilt als Wahnvorstellung des alten Kontinents, die amerikanische Leistungskraft zu schwächen. Da sind von Hollywoodstars wie Brad Pitt und Cameron Diaz lancierte Aktionen kaum hilfreich. Beide ließen sich in so genannten Hybridautos fotografieren: Fahrgeräte, die einen gekoppelten Benzin- und Elektroantrieb haben und den Energieverbrauch drastisch senken sollen. Davon abgesehen, dass Hollywood nicht Amerika ist, sondern bei Bush und seinen Wählern als typisch kalifornische Niststätte verpönt liberalistischer Gesinnung gilt, haben diese Vehikel immerhin einen Vorteil: Sie kommen mit weniger Öl aus – brauchen aber Elektrizität, was wiederum die Frage der Atomkraftwerke aufwirft. Bush beantwortet sie mit einem Plädoyer für sie, nur wenige mit einem gegen sie: Das Unglück von Harrisburg Anfang der Achtzigerjahre ist als Fastkatastrophe längst dem Kurzzeitgedächtnis der Nation zum Opfer gefallen.
Dissidente Denkfabriken
Bush und seine Republikaner artikulieren, mehr oder weniger populär, nur das, was sie politisch nicht gefährdet. Dass Denkfabriken ihrer Couleur allenthalben mit Zukunftsentwürfen arbeiten, die die amerikanische Ökonomie ohne die Abhängigkeit vom Öl denken, dass also dort ein grün eingefärbtes Morgen erdacht wird, spielt in den Machtzentren Washingtons noch keine vernehmbare Rolle.
Wichtiger ist, die kurzfristigen Interessen zu sichern: die Reparatur der Förderanlagen im Golf von Mexiko oder vor Galveston. Linke Ökologen bleiben weiterhin ungehört: Sie predigen Verzicht – und tun es so am Mythos vom mobilen Amerika vorbei.