: „Es gab keine unabhängigen Ermittlungen“
Human-Rights-Watch Präsident Kenneth Roth über die gescheiterte US-Aufarbeitung des Abu-Ghraib-Skandals
taz: Mit dem Urteil gegen Lynndie England scheint in den USA die strafrechtliche Aufarbeitung der Vorgänge in Abu Ghraib ihren Abschluss gefunden zu haben.
Kenneth Roth: Sie hat ja nicht einmal richtig angefangen. Das Pentagon hat alles getan, um die Verantwortlichkeiten ganz unten in der Hierarchie anzusetzen. Es hat alles abgeblockt, was auf die Verwicklung irgendwelcher oberen Offiziere in die Misshandlungen deuten könnte, die ja nicht nur in Abu Ghraib stattgefunden haben, sondern überall in Afghanistan, Irak, Guantánamo und anderen US-Haftanstalten. Wegen dieses kompletten Versagens fordert Human Rights Watch die Ernennung eines unabhängigen Sonderermittlers und die Bildung von so etwas wie der 9/11-Kommission, um die Vorgänge zu untersuchen.
Also waren die Ermittlungen nicht unabhängig genug?
Es gab doch gar keine unabhängigen Ermittlungen. Jede einzelne wurde entweder direkt vom Pentagon geführt oder von Beschäftigten des Pentagons, mit dem Ziel, die Verantwortung nach unten durchzureichen.
Aber hat nicht wenigstens der Skandal von Abu Ghraib zu Verbesserungen geführt?
Sicher hat der öffentliche Schock das Verhalten einiger Soldaten verändert. Die Tatsache etwa, dass jetzt viele Anwälte in Guantánamo sind, hat dort die Situation verbessert. Und Senator John McCain hat einen Gesetzesentwurf eingebracht, der jeden US-Verhörbeamten klar auf die internationalen Regularien verpflichten soll. Aber das ist nicht bis in die Regierung vorgedrungen – im Gegenteil: Präsident Bush hat angekündigt, in diesem Fall zum ersten Mal in seiner Amtszeit von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen. Wir müssen davon ausgehen, dass in US-Gewahrsam weiterhin Misshandlungen stattfinden.
In Deutschland ist vergeblich versucht worden, US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wegen der Folter im Irak vor Gericht zu stellen …
Wir brauchen genau so eine Untersuchung in den USA. Das Problem ist, dass dann Justizminister Alberto Gonzalez dafür zuständig wäre, also genau der, der als Rechtsberater des Weißen Hauses kriminelles Verhalten bei Verhören gutgeheißen hat. Er müsste gegen sich selbst ermitteln – und gegen Rumsfeld. Das wird nicht passieren. Genau deshalb fordert HRW ja einen unabhängigen Sonderermittler.
INTERVIEW: BERND PICKERT