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Archiv-Artikel

„Merkel und Schröder müssen verzichten“

Das Wahlergebnis lässt nur eine vernünftige Lösung zu: eine große Koalition. Aber damit dies gelingt, müssen Merkel und Schröder abtreten. Sonst wird die komplizierte Kompromissbildung zu schwierig, sagt der Politologe Alfred Grosser

taz: Herr Grosser, in Deutschland wird über mögliche Koalitionen gerätselt. Welche Koalition wäre aus Ihrer Sicht die vernünftigste?

Alfred Grosser: Die große Koalition ohne Merkel und ohne Schröder. Frau Merkel ist so geschlagen worden, dass sie eigentlich keine Führungskraft mehr hat. Und Schröder ist auch geschlagen worden, also wäre es besser, wenn jemand anderes Kanzler würde. Je nach Entwicklung in Dresden unter CDU- oder SPD- Führung.

An wen denken Sie?

Man könnte sich vorstellen, dass alle beide aus Niedersachsen kommen.

Sie meinen Christian Wulff und Sigmar Gabriel?

Ja. Oder Müntefering. Es kann auch Steinbrück sein.

Merkel und Schröder scheinen allerdings nicht bereit, sich ins zweite Glied zu stellen. Beide wollen führen.

Wenn Merkel zurücktritt, werden die Dinge einfach, dann muss Schröder auch zurücktreten.

Die SPD argumentiert, dass CDU und CSU zwei verschiedene Parteien sind, ergo die SPD stärkste Kraft im Bundestag sei.

Das ist Quatsch. Die Union besteht aus zwei Parteien, das ist richtig, aber es gibt keine CDU in Bayern. CDU und CSU sind immer gemeinsam angetreten.

Bei der TV-Elefantenrunde hat Schröder seine Kontrahenten und die Medien scharf angegriffen. Waren das die Endorphine oder war das Kalkül?

Der Auftritt hat mich sehr schockiert. Das war Machismo. Er hätte nie so gesprochen, wenn seine Gegnerin ein Gegner gewesen wäre. Ich glaube nicht, dass das kalkuliert war, es sah eher nach einem Ausbruch aus. Schröder beanspruchte die Verhandlungsführung, aber dass Westerwelle das Gegenteil von dem tut, was er angekündigt hat, ist doch unwahrscheinlich.

Also keine Ampel. Was ist mit Schwarz-Gelb-Grün?

Nun, da Fischer nicht mehr will, ist nichts mehr ausgeschlossen.

Und Rot-Grün, toleriert von der Linkspartei?

Das wäre möglich in dem hypothetischen Fall, dass Merkel in den ersten beiden Wahlgängen durchfällt und sich beim dritten Wahlgang Schröder stellt und eine Mehrheit bekommt, weil die Wahl geheim ist. Aber dann wird der Präsident das Parlament wohl auflösen.

Was ist von der Linkspartei, von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, im Parlament zu erwarten?

Lafontaine ist ein Aushängeschild für die PDS. Es war insofern völlig normal, dass bei der Elefantenrunde Bisky dabei war und nicht Lafontaine. Die Partei hat in Ostdeutschland weniger erreicht, als sie glaubt. Sie ist in Ostdeutschland nicht stärkste Partei geworden. Dreiviertel der Ostdeutschen haben nicht für sie gestimmt, sie vertritt nur ein Viertel. Lafontaine versucht die Rolle des Demagogen zu spielen, die Laurent Fabius in Frankreich spielt. Er will Dinge, von denen er weiß, dass sie unerfüllbar sind.

Wenn es eine große Koalition gibt, wäre dann nicht zu befürchten, dass die großen Reformen ausbleiben?

Ich hasse das Wort Reform in diesem Zusammenhang. Reformen sind strukturelle Veränderungen, hier geht es aber um Einschränkungen, die nur auf Kosten von unten gehen. An oben wird nicht gerührt. In Frankreich wie in Deutschland sieht man oben nach Amerika und will dasselbe verdienen wie die amerikanischen Kollegen, und die Belegschaft soll verdienen wie in Südkorea oder in Ungarn. Da gibt es kaum Unterschiede zwischen Rot und Schwarz.

Wo liegt dann die Chance eines solchen Bündnisses?

Dass man ehrlich sagt, dass die Einschnitte nötig sind, weil die Lebenserwartung der Menschen stetig steigt. Es wird nicht an die Kinder gedacht, diese ehrliche Sprache wird nicht gesprochen, weder in Paris noch in Berlin. In der großen Koalition können die beiden großen Parteien das zusammen tun, weil der politische Gegner davon nicht mehr profitiert.

Welche Auswirkungen hat die Lage in Berlin auf die deutsch-französischen Beziehungen?

Keine. Es gibt keine schöpferischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Schöpferisch waren Delors, Mitterrand und Kohl. Was haben Chirac und Schröder getan, außer Putin zu Füßen zu fallen? Ich komme gerade aus Riga und Warschau zurück, dort ist das Bild von Deutschland und Frankreich so katastrophal wie selten. Egal, wer in Berlin an die Macht kommt, tritt ein schwieriges Erbe an.

Wer könnte diese Aufgabe übernehmen?

Wolfgang Schäuble auf deutscher Seite, auf französischer der Chef der UDF, François Bayrou. Die beiden werden aber kaum an die Macht kommen. Die Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen ist nicht rosiger als die deutsche und die französische.

INTERVIEW: JOHANNES HONSELL