: Das Medialdebakel
Kein Gemeinmachen mit niemandem: Nach diesen Wahlen braucht es eine neue Äquidistanz der Medien zur Politik und zur Bevölkerung
Von HANNAH PILARCZYK
Die wahrsten zwei Sätze in der taz vom Samstag stammen von Christoph Keese, dem Chefredakteur der Welt am Sonntag: „Wir, die Minderheit der Neoliberalen, schreibt (sic!) seit Jahren gegen eine Mehrheit von Menschen an, die vehement gegen Kapitalismus und freie Marktwirtschaft eintreten. Etwa 80 Prozent aller Deutschen denken so.“ Am Tag vor der Wahl klang das freilich nach rechter Verschwörungstheorie. Ein strammlinker Block? Bei 40+ Prozent für Merkel in den Umfragen?
Seit Sonntag wissen wir: Wenn man mit einigem Zähneknirschen die SPD mitzählt, ist das linke Lager samt Grünen und Linkspartei tatsächlich das stärkere. Und zwar deutlich. Außerdem wissen wir: Eine breite Medienachse von Bild über Zeit und Spiegel bis auch zur taz hat, wenn nicht gar gegen diesen gesellschaftlichen Trend angeschrieben, so ihn zumindest nicht abgebildet. Und zwar deutlich.
Grund ist ein zweifaches Versagen des politischen Journalismus. Ausschlaggebend war zunächst, dass sich die Medien in diesem Wahlkampf so stark wie kaum zuvor als Macher statt Mittler verstanden haben. „Wir sind nicht nur Zaungäste“, hat Gabor Steingart, der mächtige Chef des Berliner Spiegel-Büros, freimütig in der taz gestanden. Und über die Kampagne seines Blattes in Sachen Agenda 2010 gesagt: „Journalismus braucht zuweilen Wirtstiere.“ Journalisten als Medialschmarotzer statt um Objektivität bemühte Berichterstatter – was für ein Selbstbild.
Und dann waren da noch die Umfragewerte, die Schwarz-Gelb klar vorne sahen. Was konnte man da alles fordern, wie weit konnte man sich aus dem Fenster lehnen, als man noch die Mehrheit der Wähler hinter sich dachte. „Raus hier, aber dalli!“, so titelte auch die taz und meinte, damit ein mehrheitsfähiges Gefühl mehr wiederzugeben als herbeizuschreiben.
Wichtiger als der „Wir haben Macht“-Gestus der so genannten Leitmedien war aber ihre „Wir wissen es besser“-Herablassung. Wie man Arbeit schafft, das Gesundheitssystem reformiert und die Lohnnebenkosten sinkt, all das wussten Spiegel (siehe unlängst seine große Serie „Wege aus der Krise“) und Co. besser. Politik als Feld, in dem physikalische Gesetze statt ideologischer Begehrlichkeiten wirken – diese rhetorische Figur kennt man. Sie ist die des Neoliberalismus, der den interessenlosen Experten anstelle des Parteipolitikers gesetzt und Wirtschaftswissenschaften zu Naturwissenschaften gemacht hat. Kein Wunder, dass die Physikerin Angela Merkel ihre Wunschkandidatin war. Und man sich über die Kür des Überexperten Paul Kirchhof zunächst so freute.
Aus der Hybris der machtbesessenen und wissenbesitzenden Medien erfolgte ihr zweites Versagen: die Fixierung auf die Parteien und ihre führenden Politiker. Das Wahlvolk war nur Forsavolk. Was es jenseits der Sonntagsfrage dachte, wünschte und schließlich wählte, blieb weitgehend unerforscht – man wusste doch schon alles. Und so verschätzte man sich (und Frau Merkel) so krass wie schon beim Kanzlerduell.
Was nun, Herr Spiegel? Was nun, Frau taz? Natürlich kann es nicht die Konsequenz aus dem Medialdebakel sein, sich nur noch nach dem vermeintlichen „Volkswillen“ zu richten. Vielmehr bedarf es einer neuen Äquidistanz, eines gleichwertigen Abstands der Medien zur Politik und zur Bevölkerung. Die Kontakte eng, die Verbindungen lose, so muss das Verhältnis zu beiden Seiten sein – auch damit Leserinnen und Leser, Zuschauerinnen und Zuschauer wieder Vertrauen in die Unabhängigkeit ihre Zeitungen und Sender gewinnen.