: Der Kompromiss
Die Grünen sollen über ihren Schatten springen und das Land mit Union und FDP regieren
VON JOACHIM RASCHKE
Alles ist besser als eine große Koalition. Nur das Bündnis dramatisch geschwächter Volksparteien mit dem abgestandenen Konflikt Schröder gegen Merkel schien übrig, nachdem die Ampel aus dem Rennen war. Die Ampel scheiterte am klaren Votum der FDP und der eindeutigen Absage Bütikofers, der seine Partei – als andere wackelten – gegen eine Koalition festlegte, in der Schröder mit der FDP den Weg für die Stammzellenforschung oder die Hanauer Atomanlage nach China freigemacht hätte.
Nun gibt es in einer Schwächekonstellation der bürgerlichen Parteien eine günstige Verhandlungsposition der Grünen. Eine schwarz-gelb-grüne Koalition wäre zu prüfen, wenn die Grünen darin eine faire Chance als Sprecher und Anwalt der rot-grünen Gesellschaft bekämen. Ohne Kampf und Konfliktbereitschaft der Grünen wird es sie nicht geben. Es geht nicht darum, dass Fischer Außenminister bleibt oder andere diesen oder jenen Posten für sich retten. Es kann nur darum gehen, die Schwäche der Lager durch verbreiterte Wert- und Interessenberücksichtigung aufzubrechen.
Rot-Grün ist auf dem Feld der Ökonomie gescheitert, Schwarz-Gelb kann nicht gegen eine rot-grüne Wertegesellschaft anregieren. Was die skeptisch gewordene Gesellschaft an ökonomischer Kompetenzzuschreibung und Erwartung überhaupt noch aufbringt, richtet sich fast ausschließlich auf die bürgerlichen Parteien. Die Gesellschaft will nach Jahren der Stagnation weitere Impulse wirtschaftlicher Dynamisierung, auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite. Aber die Gesellschaft ist nicht so durchökonomisiert, wie es sich die bürgerlichen Parteien und vor allem die FDP vorstellen. Die Gesellschaft hat hohe Erwartungen an soziale Gerechtigkeit und Solidarität (für eine deutliche Mehrheit wichtiger als „Leistung“) und sie will eine tolerante, offene und – wenn es sie nicht zu viel kostet – ökologische Lebensweise. Immer war der Zweifel, ob die SPD dieses breite rot-grüne Werteprofil in eine große Koalition wirklich einbrächte oder nicht doch die ökologischen Interessen zugunsten einer harten Industriepolitik und die bürgerrechtlichen Werte zugunsten eines starken Staates beiseite schieben würde.
Auf dem Feld der inneren Liberalität hat sich die FDP in den vergangenen Jahren älteren Positionen, die sie nach ihrem Wandel zur reinen Wirtschaftspartei an die Grünen verloren hatte, wieder angenähert. Im schwarz-gelb-grünen Bündnis könnte sie – zusammen mit den Grünen gegen Beckstein! – den Opportunismusverdacht widerlegen. Auf dem ökologischen Feld brauchten die Grünen eher die Zusammenarbeit mit der CDU gegen die hier deregulierungsdogmatische FDP.
Die Grünen könnten den Sprung über die Lagergrenzen riskieren, wenn sie als selbstbewusste Interessenvertreter rot-grüner Werte handeln. In der Bevölkerung sagen 54 Prozent, die Grünen „kümmern sich um wichtige Probleme, die andere Parteien vernachlässigen“ (Infratest dimap). Vier Punkte wären essenziell. Sicherung des erreichten Standes rot-grüner Umwelt- und Verbraucherpolitik. Fortsetzung der neuen Energiepolitik mit Förderung alternativer Energien und Festhalten am Atomausstiegskonsens. Kontinuität in der Außenpolitik (bei Formelkompromissen in der Frage des Türkei-Beitritts, die in den kommenden Jahren nicht zur Entscheidung ansteht). Soziale Symmetrie bei der Haushaltskonsolidierung und beim Umbau der Sozialsysteme.
Auf dem sozialen Feld liegen möglicherweise die größten Probleme einer solchen neuen Formation. Durch ihre Betonung von Teilhabe- und Generationengerechtigkeit sind die Grünen seit längerem aktiv am Prozess einer Neudefinition des Sozialen beteiligt. Als umfassender Advokat des Rot-Grünen müssten sie sich gerade in einem Bündnis mit den Bürgerlichen aber verstärkt auch in Fragen der Verteilungsgerechtigkeit engagieren. Diese Teilfunktion einer großen Koalition wäre von ihnen zu übernehmen. Auch das erwartet eine Mehrheit der Bevölkerung, die Angst vor einer Umverteilung von unten nach oben durch die Schwarz-Gelben hat, von jedem lagerübergreifenden Bündnis.
Die historische Chance, die sich den Grünen bietet, liegt nicht nur darin, dass sie die Gesellschaft aus der Verlegenheit einer sich selbst blockierenden großen Koalition von Kleinelefanten befreit und die inhaltsleeren Spiele des selbstverliebten Machtzockers Schröder beendet. Sie läge in dem Versuch einer Synthese breiter gesellschaftlicher Interessen, für die die Schwarzen wie die Gelben und die Grünen über ihren Schatten springen müssten. Wenn dieser inhaltliche Anspruch nicht einzulösen ist, müssen die Grünen in Koalitionsverhandlungen immer auch mit dem Scheitern rechnen und ohne Zögern bereit sein, in die Opposition zu gehen. Dann müssten andere zeigen, wie die Gesellschaft nicht nur aus einer Ecke, sondern vom Zentrum her mit einem Maximum an Wert- und Interessenberücksichtigung regiert werden kann.