: „Die USA mussten sich beugen“
Die Bush-Regierung glaubt, sie müsse sich gegen internationale Verträge durchsetzen. Dabei braucht sie globale Partnerschaft, sagt Jeffrey Sachs
INTERVIEW HANNES KOCH
taz: Beim Millenniums-Gipfel sollte ein großes Programm verabschiedet werden, damit im Jahr 2025 niemand mehr hungern muss. Nun manövriert die Versammlung knapp am Scheitern vorbei. Sind Sie, der Erfinder des Millenniums-Plans, enttäuscht?
Jeffrey Sachs: Es ist weniger herausgekommen, als es sein sollte, aber mehr, als wir nach den vergangenen Wochen erwarten durften. Die US-Regierung hat auf sehr aggressive Art versucht, ein gutes Ergebnis des Gipfels zu verhindern. Nun aber sind die Millenniums-Ziele bestätigt worden – das ist extrem wichtig. Der Rest der Welt hat gesagt: Augenblick mal, wir wollen diese Ziele, sie sind wichtig für uns. Schließlich mussten die USA sich dieser gemeinsamen Haltung beugen. Das Ziel, extreme Armut und Hunger bis 2015 weltweit zu halbieren und bis 2025 zu überwinden, lässt sich nicht mehr von der internationalen Agenda nehmen – egal von wem.
Das klingt optimistisch. Ist denn mehr beschlossen worden als bei früheren Konferenzen?
Den dramatische Durchbruch, den die Welt bei der Armutsbekämpfung braucht, gab es nicht. Vor allem die US- Regierung hält die Ziele immer noch für Nonsens und betrachtet sie nicht als Kernstrategie für die Zukunft.
Der britische Premier Tony Blair hatte vorgeschlagen, schnell mehr Geld für Entwicklungshilfe zu beschaffen, indem die reichen Staaten eine Anleihe am Kapitalmarkt aufnehmen. Daraus wird nichts. Sind die Millenniums-Ziele überhaupt noch erreichbar?
Wir brauchen in der Tat schnell zusätzliche Mittel, um den Kampf gegen Malaria zu gewinnen, um den Kampf gegen Aids zu gewinnen. Die Zeit läuft uns davon. Die Erhöhung der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung, wie sie die Europäische Union beschlossen hat, ist gut, reicht aber nicht aus. Und noch nicht einmal das will die US-Regierung zugestehen. Die USA erwirtschaften jedes Jahr rund 12.000 Milliarden Dollar, doch sie geben nur 3 Milliarden davon für Afrika aus. Damit kann nicht das Nötigste getan werden.
Gerade die Europäer haben versucht, die USA einzubinden. Sehen Sie irgendeine Chance, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu kommen?
Wir haben inzwischen eine „Koalition der Gutwilligen“. 190 Staaten sind in den vergangenen Tagen aufgestanden und haben gesagt: Nein, so nicht. Etwas Ähnliches haben wir schon beim Kioto-Protokoll zum Klimaschutz erlebt, bei dem die USA und einige andere Staaten auch nicht mitmachen. Die Idee, dass die US-Regierung die Zeichen der Zeit bestimmt, ist von gestern. Die Idee, dass die USA die einzige Supermacht sind, stimmte noch nie. Dafür gibt es viel zu viel Know-how und Geld auf der Welt – außerhalb der USA. Und auch Menschen: 95 Prozent der Weltbevölkerung leben nicht in den USA. Aber nicht nur Regierungen, sondern auch Unternehmen und reiche Leute, die zu mir kommen, sagen: Wir haben einen realistischen Plan für die Bekämpfung der Armut, die Regierung der USA hat beim Hurrikan „Katrina“ so kläglich versagt, lasst uns einfach vorangehen.
Was hat „Katrina“ mit der weltweiten Armut zu tun?
Die Armen im eigenen Land sind wieder sichtbar geworden. Und es gibt diese unglaubliche Geschichte, dass die Regierung jahrelang nicht in die Deiche investiert hat. Nun lernen die Amerikaner: Wenn wir vorher ein paar dutzend Millionen Dollar in die Dämme investiert hätten, könnten wir uns jetzt die 200 Milliarden für die Flutschäden sparen. Beim Kampf gegen die Armut ist es genauso. Wenn wir heute nicht die 50 Milliarden Dollar pro Jahr zusätzlich aufbringen, werden wir später weitaus mehr ausgeben müssen für Krieg, Gewalt und Umweltdesaster.
Warum versucht die US-Regierung so hartnäckig, die Verhandlungen zu blockieren?
Diese Administration lebt in dem Irrglauben, dass internationale Verträge die allmächtigen USA daran hindern, das zu tun, was sie tun müssen. Was für ein dramatisches Missverständnis! Die USA haben noch nicht einmal die Macht, ihren Willen auf ein paar Quadratkilometern in Bagdad durchzusetzen. Die USA brauchen eine globale Partnerschaft. Aber das wollen die Neokonservativen nicht verstehen. Außerdem hat die US-Gesellschaft große Angst vor den Armen – bis tief hinein in die arbeitenden Schichten. Man will sich nicht mit den Problemen der Armen beschäftigen, weil man fürchtet, das könnte am Ende den eigenen Wohlstand überfordern.
Etwas Geld würde es schon kosten, in jedem afrikanischen Dorf eine Schule, Wasser- und Stromleitungen zu bauen, Saatgut bereitzustellen.
Aber die armen Staaten haben den reichen Ländern einen unglaublich guten Deal angeboten, indem sie sich auf die Millenniums-Ziele eingelassen haben. Sie haben nicht gesagt, wir wollen die Hälfte eures Einkommens oder eine globale Revolution zur Änderung der Wirtschaftsstruktur. Stattdessen sind sie sehr bescheiden: Sie geben sich mit 0,7 Prozent unseres Einkommens zufrieden. Wenn ich ein Neokonservativer wäre, würde ich vor Freude in die Luft springen, weil ich meine Weltordnung so billig retten kann. Die Furcht vor den Armen sitzt tief, aber sie ist völlig fehl am Platze.
Ihre Kritiker wenden ein, dass die riesigen Summen, die Sie in den Süden schaufeln wollen, dort gar nicht so schnell verwendet werden könnten.
Die Wirklichkeit zeigt, dass das Geld benötigt wird. Natürlich können unsere Kritiker leicht sagen, dies wird nicht funktionieren, das wird nicht funktionieren. Aber viele dieser Leute verlassen niemals ihre Büros in Washington oder anderswo. Ich bin überzeugt, dass sie nicht wissen, worüber sie sprechen. Dann schreiben sie Artikel, die Quatsch sind. Ich sagen diesen Leuten: Wenn Ihr eine andere Entwicklungspolitik kennt als eure alte, die nicht funktioniert hat, dann probiert sie aus, aber hört auf, euch zu beschweren.
Die großen Entwicklungsorganisationen werfen Ihnen Naivität vor. Man könne nicht wie in den 1970er-Jahren den Armen einen Brunnen bohren und annehmen, alles würde gut. Es brauche zum Beispiel viel Weiterbildung und Überzeugungsarbeit bei den lokalen Eliten.
Vielen Entwicklungsorganisationen werfe ich vor, dass ihre Arbeit größtenteils erfolglos war. Wofür geben sie ihre Milliarden denn aus? Für ihre Bürokratien, hohe Beraterhonorare und Lebensmittelnothilfe. US-AID etwa fördert kaum Investitionen, die den Menschen in Afrika langfristig zugute kämen. Die Hilfe geht von der Hand in den Mund.