: Invasion der Länderstände
Bei der Popkomm fehlen die großen Namen, dafür prägen popmusikalische Zwergstaaten wie Spanien, Finnland oder Südafrika das Programm. Doch diese Gewichtung ist nur konsequent: Sie ist Ausdruck der fortschreitenden Globalisierung der Popkultur
VON DANIEL BAX
Die Popkomm ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Wer sich das Festivalprogramm durchsieht, mit dem die Musikmesse in Berlin in diesem Jahr über den eigentlichen Kreis der Fachbesucher hinaus ein breites Publikum anzusprechen versucht, der wird womöglich enttäuscht sein: Es finden sich kaum große und etablierte Namen des internationalen Pop darunter, keine White Stripes und kein Kanye West, die für den nötigen Glamour sorgen könnten, welcher der Musikmesse spätestens seit ihrem Umzug nach Berlin abhanden gekommen zu sein scheint.
Es finden sich aber auch nur wenig britische oder amerikanische Newcomer, die von kommenden Musiktrends künden und die schon in den Startlöchern stehen, um demnächst die Popwelt aufzumischen. Stattdessen wimmelt es im Festivalprogramm von namenlosen Bands aus popmusikalischen Zwergstaaten wie Finnland, Spanien oder Kanada, die sich da neben Reggae, Rock und HipHop aus deutschen Landen tummeln.
Auf den Festivalbühnen der Popkomm kann man zwischen den Alternativen Rock-Abend mit Bands aus Dänemark und Black Metal aus Norwegen wählen oder sich für Ska-Punk aus Südafrika und Jazz aus Finnland entscheiden. Man kann sich aber auch eine „Flemish Night“ mit jungen Bands aus Belgien gönnen, auf die Neue Holländische Welle aufspringen oder die „nouvelle scène française“ testen.
Ganz klar dominiert auf der Popkomm allerdings die einheimische Kost, vor allem solche aus den DJ-Küchen der Republik: Von Michael Reinboth und seinem Compost-Label bis zu den Jazzanova-DJs und ihrem Sonar Kollektiv zeigt die deutsche Plattendreherprominenz einmal mehr, wo das DJ-Handwerk noch goldenen Dancefloor-Boden hat. Von Gudrun Gut und ihrem „Oceanclub“ bis zum jungen Erfurter DJ-Label „1st Decade“ gibt sich der deutsche Elektronikmittelstand die Ehre, und mit Paul van Dyk, Ellen Alien, Tiefschwarz und Klee hat sich gleich eine ganze Reihe der üblichen Verdächtigen angekündigt. Das Watergate, ein Club an der Oberbaumbrücke, präsentiert Abend für Abend andere Technolabels. Daneben präsentiert die Popakademie in Mannheim ihre ersten Absolventen, und am Freitag wird auf der Popkomm der erste deutsche Gospel Award verliehen. Soll keiner sagen, das Programm wäre nicht abwechslungsreich!
Nach neuen, heißen Trends wie Reggaeton, dem neuen Hit-Sound aus der Karibik, sucht man allerdings vergeblich, es regiert das europäische Mittelmaß. Das liegt nicht nur an einer generellen Ermattung der Musikindustrie, die einen globalen Trend zu generieren und zu pushen gar nicht mehr in der Lage wäre. Es liegt auch nicht an der Verweigerungshaltung mancher Kreise im Lande Pop, für die mit dem „c/o pop“-Festival in Köln eine veritable Gegenveranstaltung ins Leben gerufen worden ist, die sich tatsächlich noch als Tummelplatz für Trendscouts versteht. Es hat eher mit einem tief greifenden Strukturwandel der popmusikalischen Öffentlichkeit zu tun, der in seinen Auswirkungen von vielen Beobachtern noch gar nicht so recht begriffen worden ist.
Die fast vollständige Abwesenheit der USA und Großbritanniens bei der diesjährigen Popkomm ist nur der sichtbarste Ausdruck der Tatsache, dass diese Länder ihre einstige Vormachtstellung über das popmusikalische Geschehen längst eingebüßt haben: Eine Entwicklung, die sich schon abgezeichnet hat, als die Popkomm noch in Köln zu Hause war. Das hat zum einen mit der Krise der Major-Labels zu tun, die sich lange Zeit als reine Distributionsabteilungen ihrer Mutterhäuser in New York und London verstanden. Es weist auch auf den Aufstieg lokaler Popindustrien in vielen europäischen Ländern hin, der nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten Ländern der Welt dazu geführt hat, dass dort einheimische Künstler die jeweiligen Charts anführen. In Deutschland mögen das die Fantastischen Vier, die Toten Hosen oder Sarah Connor sein, die ganz oben in den Hitlisten stehen, in Frankreich gelten dagegen die HipHop-Gruppe IAM, die Nouvelle-Chanson-Sängerin Coralie Clement oder der Rai-Star Khaled als Bestseller. Nun gab es schon immer unterschiedliche Popkulturen. Neu ist jedoch, dass diese inzwischen nicht mehr nur in ihren eigenen Ländern florieren, sondern im globalen Austausch stehen und dadurch in Wettbewerb mit den traditionellen Popnationen UK und USA treten. Auch das ist eben Globalisierung.
Verantwortlich für diese neuen Unübersichtlichkeit ist nicht nur die europäische Popindustrie, die aufgeholt hat und plötzlich auf Augenhöhe mit der Konkurrenz aus den eigentlichen Mutterländern des Pop agiert. Einen erheblichen Anteil an dieser Entwicklung haben auch die so genannten „Exportbüros“, die in vielen Ländern entstanden sind, und die sich um die weltweite Vermarktung ihrer örtlichen Popkulturszenen bemühen. Es waren die Franzosen, denen es als Ersten gelang, mittels einer konzertierten Aktion von französischer Musikindustrie und Kulturbürokratie ihren Pop rund um die Welt zu exportieren und damit in allen Genres erhebliche Zuwachsraten zu verzeichnen.
Inzwischen sind zahllose Staaten dem französischen Beispiel gefolgt, von Korea bis Deutschland, das mit seinem „German Sounds“-Office und der Sendung „PopXport“ im Deutsche-Welle-TV im Ausland für Popmusik aus deutschen Landen wirbt. Heute sind es längst nicht mehr die Plattenfirmen, welche die Ausstellungsfläche der Popkomm-Messe dominieren, sondern die Länderständen der jeweiligen „Exportbüros“ aus Holland, Dänemark oder Südafrika. Da ist es nur konsequent, dass die Popkomm wie die Buchmesse in Frankfurt nunmehr jedes Jahr ein neues Land zum Schwerpunkt der Musikmesse kürt: Im letzten Jahr war es Frankreich, diesmal ist es Spanien, das sich von seinen besten Seiten zeigen darf. Wer das für eine reine Nebensächlichkeit hält, der hat nicht verstanden: Aus diesen Ländern werden die Bands und die Trends der Zukunft kommen. Denn die Popwelt ist eben nicht mehr das, was sie einmal war.