: In neuem Licht
Über eine Million Brasilianer sahen die Ausstellung „Kunst aus Afrika“. Mit ihr läutet das Ethnologische Museum in Berlin jetzt eine Neuorganisation seiner Sammlung ein
Gleich am Eingang stößt der Besucher auf eine Skulptur von Ernst Ludwig Kirchner, die der Nationalgalerie in Berlin entlehnt wurde. „Die Stehende“ erinnert in ihren groben, abstrakten Zügen und ihren runden Formen an afrikanische Skulpturen, wenn auch der geschwungene Fuß und die geneigte Körperhaltung sie eindeutig als ein Werk des Expressionismus ausweisen.
Was die Figur im Ethnographischen Museum zu suchen hat, ist klar: Sie soll den Einfluss afrikanischer Kunst auf die klassische Moderne dokumentieren. Schließlich verbrachten „Brücke“-Künstler wie Kirchner einst lange Stunden im Berliner Völkerkunde-Museum, um afrikanische Statuen und Masken zu studieren.
Dass sie dabei dem Vorurteil aufsaßen, es hier mit primitiver, ursprünglicher Kunst zu tun zu haben, war dem Geist ihrer Zeit geschuldet, schließlich herrschte damals in Europa noch das Bild von Afrika als vermeintlich geschichtslosem, quasi naturbelassenem Kontinent vor: Ein Klischee, das sich bis heute hartnäckig hält, auch wenn sich der wissenschaftliche Blick seitdem gewandelt hat.
Mit seiner Ausstellung „Kunst aus Afrika“ versucht das Ethnologische Museum in Berlin nun bewusst, mit solchen Vorstellungen zu brechen. Auch wenn eine afrikanische Kunstgeschichtsschreibung für die vorkoloniale Zeit bislang nur in Ansätzen existiert, rückt die Ausstellung die kunsthistorische Bedeutung der Objekte in den Vordergrund. Indem es ihr Vorrang vor der ethnographischen Einordnung einräumt, vollzieht das Museum damit einen radikalen Bruch mit seinen bisherigen Präsentationsformen.
Welchen Effekt diese Akzentverschiebung haben kann, konnte das Museum in Brasilien erfahren. Dort hatte man, zusammen mit dem Goethe-Institut und einer brasilianischen Bank, unter dem Titel „Kunst aus Afrika“ eine Auswahl seiner Sammlung ausgestellt und damit einen unerwarteten Publikumserfolg gelandet: Über eine Million Besucher sahen die Ausstellung, die in Rio de Janeiro, Brasilia und São Paolo gastierte, ein breites Presseecho fand und von Kunstkritikern mit Preisen ausgezeichnet wurde. Dabei hatte man sogar darauf verzichtet, in der Ausstellung einen allzu offensichtlichen Bogen zu brasilianischer Kunst und Volkskunst zu schlagen – eine Verbindung, die in den Köpfen der meisten Zuschauer ohnehin von selbst gezogen wurde; schließlich stammen rund zwei Drittel der Bevölkerung von ehemaligen Sklaven ab, und mit diesem afrikanischen Erbe hat es in Brasilien in den letzten Jahrzehnten eine starke Auseinandersetzung gegeben.
Der Erfolg der Ausstellung ist nicht zuletzt auf das minimalistische Ausstellungsdesign des Brasilianers Marcello Dantas zurückzuführen. Er taucht die Objekte förmlich in ein neues Licht und legt damit eine neue Betrachtungsweise nahe. Mit Punktstrahlern pointiert herausgehoben ziehen die Skulpturen und Kunstwerke in den abgedunkelten Räumen die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Ebendieses Konzept hat das Museum nun für seine Dauerausstellung an seinem Stammsitz in Dahlem übernommen. Nach formalen Gattungen wie „Plastik“, „Performance“ und „Design“ gegliedert, liegen der Goldschmuck der Asante aus Ghana, Haarnadeln aus Elfenbein und Nackenstützen aus Ebenholz nun wie bei einem teuren Juwelier illuminiert in der Vitrine. So kann der Betrachter erst die Objekte auf sich wirken lassen, bevor er sich dem Kleingedruckten zuwendet, das die ethnographischen Erläuterungen liefert.
Von Besucherzahlen wie in Brasilien können die Museumsmacher in Berlin-Dahlem allerdings nur träumen. Seitdem maßgebliche Abteilungen der Museenkolonie aus dem tief im alten Westen der Stadt gelegenen Villenviertel und Universitätsbezirk auf die Museumsinsel im touristischen Zentrum gezogen sind, haben die in Dahlem verbliebenen Häuser einen drastischen Bedeutungsverlust erlitten. Nun hofft man, dass die Anerkennung im Ausland wenigstens etwas Rückenwind bietet für die Pläne, eines Tages mit der gesamten Sammlung auf den Schlossplatz zu ziehen. Dort, wo heute noch der „Palast der Republik“ vor sich hin rostet, soll nach dem Willen der Politik schließlich irgendwann wieder das alte Stadtschloss stehen, um dessen zukünftige Nutzung jetzt schon gerungen wird. Auch die Afrika-Sammlung aus Dahlem, immerhin eine der größten weltweit, könnte dort dann ihren Platz finden als Teil eines geplanten „Humboldt-Forums der außereuropäischen Kunst und Kulturen“. Der Paradigmenwechsel der Afrika-Ausstellung, die Trennung in Kunst und Ethnographie aufzuheben, ist bereits ein Schritt in diese Richtung. Eine Erweiterung um Sonderausstellungen mit zeitgenössischer Kunst ist denkbar.
„Da wollen wir hin“, gestand Peter-Klaus Schuster, der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, denn auch selbstbewusst auf der Pressekonferenz des Ethnographischen Museums in Dahlem. Denn, so sein Argument: „Kunst aus Afrika gehört in den Kanon der Weltkunst.“ Und das nicht erst seit den Expressionisten. DANIEL BAX