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Archiv-Artikel

„Ich habe getan, was ich konnte“

INTERVIEW STEFAN GRISSEMANN

taz: Mr. Jarmusch, Ihr neuester Film, „Broken Flowers“, scheint simpel gebaut zu sein. Aber da ist auch etwas Komplizierteres im Spiel: ein metaphysisches, philosophisches Interesse …

Jim Jarmusch: Meine Filme haben tatsächlich eine Art philosophische Entwicklung durchlaufen. In den letzten Jahren stelle ich einen Schwenk vom humanistischen Existenzialismus zu etwas, sagen wir, Östlicherem fest.

Sie lassen manche Rätsel der Erzählung ungelöst.

„Broken Flowers“ ist eine Charakterstudie. Der Film versucht einem nichts beizubringen, und auch sein detektivisches Element ist bloß ein Vorwand, eine Methode: Das ist nicht das Herz des Films. Die Methode gibt der Geschichte nur eine Form. Für mich ist nicht einmal das Thema der Vaterschaft der Kern dieser Erzählung.

Sie wollten Wichtigeres vermitteln?

Ja, zum Beispiel: genau hinsehen zu lernen.

Bei Bill Murray ist das auch nötig. Sein Stoizismus ist oft ziemlich ambivalent. Was fasziniert Sie an Murrays Schauspielstil? Geht das Lakonische Ihrer Filme auch auf Ihre alte Liebe zu „Stoneface“ Buster Keaton zurück?

Sicher. Ich liebe Understatement, reaktives Spiel; erst das macht Schauspieler glaubwürdig. Und Bill Murray ist ein Virtuose auf dem Gebiet des minimalistischen Reagierens. Ich mag Schauspiel grundsätzlich nicht; ich hasse es, wenn in Filmen die Bedeutung einer Szene richtig ausagiert wird.

Man könnte sagen, dass Murray eher unterspielt als spielt.

Für mich ist das einfach Realismus. Wäre er durch seine Handlungen leichter zu definieren, dann könnte man ihm nicht ganz abnehmen, was er spielt.

Was Murray tut, ist stets zugleich komisch und dramatisch. Dieses Gesicht ist eine Leinwand, auf der sich alles spiegeln lässt.

Und niemand war in diesem Feld besser als Buster Keaton. Denn man fühlt ja umso mehr mit ihm, je weniger er physisch nicht zeigt, welche Emotionen er durchläuft. Keaton geht es, wie Murray, eben nicht darum, kunstvoll all die kleinen Klischeeauslöser und Gefühlsindikatoren zu bedienen.

Sie sind dafür bekannt, dass Sie Ihre Filme vom Drehbuch bis zum Verleih streng kontrollieren. Waren Sie nie verführbar, zum Mainstream zu wechseln?

Nein. Alle Künstler, die mich je inspiriert haben, blieben dem Mainstream zeitlebens fern. Anders gesagt: Ich liebe Paul Valéry eben mehr als Victor Hugo. Deshalb existiere auch ich lieber in der Nische, am Rand. Was hat mir die Industrie schon zu bieten? Geld? Das ist nicht meine Religion. Ich hab genug davon, um vernünftig leben zu können. Was sonst? Ruhm? Macht? In Hollywood? Darauf stehe ich nicht. Die Erfahrung, einen großen Film für jemand anderen zu machen, interessiert mich nicht. Ich bin da nicht mal dagegen, ich könnte es nur nicht.

Wäre nicht wenigstens die Möglichkeit verführerisch, schneller und öfter Filme zu machen? Ist Ihr gemächlicher Arbeitsrhythmus nicht eine Konsequenz des Lebens am Rande der Industrie?

Natürlich braucht man länger, wenn man Filme so dreht, wie ich das tue, denn die sind handgemacht, sozusagen in der Garage hergestellt. Das dauert eben jedes Mal zwei volle Jahre.

Sie machen noch immer alles selbst?

Ich schreibe die Filme, sorge für die Finanzierung, die Vorbereitung und die Dreharbeiten, bin danach täglich im Schneideraum und in den Labors, wenn der Film entwickelt wird. Und dann gehe ich auf Promotiontour. Das sind, alles zusammen, zwei Jahre. Darunter geht’s nicht.

Und Sie leiden nicht darunter, dass Sie Ihre Projekte nicht schneller realisieren können?

Nein. Okay, das ist jetzt nicht ganz wahr. Ich leide ein bisschen darunter, denn ich werde ständig gefragt, was ich eigentlich so mache. Offenbar nehmen manche Menschen von mir an, ich sei ein wenig faul. Tatsächlich bin ich heute mehr Workaholic, als ich mir das wünschen würde. Dabei ist mein Job als Filmemacher ja eigentlich, empfänglich zu sein: Ich muss die Dinge, die ich liebe, weiterverfolgen. Ich bin Cinephiler und Musikfanatiker, ich lese gern, treffe Freunde, reise. All das brauche ich. Denn wenn ich einen Film mache, muss er mit mir zu tun haben. Das ist nicht so wie in Hollywood, wo man einen Stoff geliefert kriegt und jede Menge Geld, drei Monate als Regisseur daran arbeitet und wieder abfliegt.

Stimmt es, dass Sie Ihre Filme nach Fertigstellung aus Prinzip niemals wieder sehen?

Ja, klar. Meine alten Filme wieder sehen? Oh bitte, nein.

Aber bei Retrospektiven oder Premieren sind Sie doch sicher manchmal dazu gezwungen.

Ich kann das nicht, ehrlich. Ich hab so viel Zeit verbracht mit diesen Filmen und so viel gelernt von den Fehlern, die ich dabei gemacht habe. Wenn etwas funktioniert hat, dann will ich es als Mysterium erhalten und nicht analysieren. Ich will das Magische daran schützen, mit dem ich so glücklich bin. Ich meine, ich habe doch getan, was ich konnte. Ich kann die Filme ja nicht mehr ändern.

Seit „Down by Law“ sind Sie international bekannt. Ist es nicht lästig, in den Straßen größerer Städte ständig erkannt zu werden?

Manchmal. Aber wissen Sie, ich habe viele wirklich berühmte Freunde, Schauspieler, Rockstars. Wenn ich deren Leben mit meinem vergleiche, erkenne ich, dass meines kein wirkliches Problem darstellt. Aber ich habe eine Geschichte, die das Thema auf den Punkt bringt: Es war vor etwa zwei Jahren. Ich bin gerade auf dem Weg durch New York, viel zu spät für ein Treffen. Da bemerke ich, dass ein junger Mann hinter mir herläuft. Er ruft: „Hey, Mann, warten Sie mal! Ich will mit Ihnen über Ihre Filme reden!“ Ich sag genervt: „Was ist? Was wollen Sie?“ Er entgegnet: „Hören Sie mal, Sie sind doch David Lynch, oder?“ Ich sage ihm, dass ich nicht David Lynch bin, aber er verfolgt mich weiter. Schließlich meint er: „Warten Sie, eine Sekunde.“ Ich bleibe stehen, und er sagt: „Lassen Sie mich eines über Ihre Filme sagen: Wenn Sie wirklich David Lynch sind und nur so tun, als seien Sie nicht David Lynch, dann will ich Ihnen sagen, dass ich Ihre Filme absolut liebe.“ Das war alles, danach verzog er sich.

Sie haben eine in Ihrer Branche eher unübliche Leidenschaft: Sie beobachten in Ihrer Freizeit Vögel.

Ich würde es nicht Leidenschaft nennen, aber ja, das gehört zu meinen vielen Amateurinteressen. Ich bin übrigens auch sehr interessiert an Mykologie, der Studie und Identifikation von Pilzen.

Das ist ja noch exotischer.

Sehr seltsam, ja. Wussten Sie, dass die DNA von Pilzen Tieren ähnlicher ist als Pflanzen?

Ist Ihre Arbeit mit Schauspielern nicht auch eine Art Studium faszinierender, unverständlicher Wesen?

Definitiv. Schauspieler sind Menschentiere, die zu sehr eigenartigem Verhalten neigen. Aber ich bin sowieso gegen Anthropozentrismus. Wenn Sie glauben, Menschen seien die bedeutendste Schöpfung des Universums, dann haben Sie den Bezug zur Wirklichkeit verloren. Meine indianischen Freunde wissen, dass der Mensch nicht der Mittelpunkt des Universums ist.

Sind Tiere deshalb in Ihren Filmen so präsent?

Ich finde vor allem wilde Tiere spannend. Sie leben ausschließlich für den Moment. Domestizierte Tiere sind da anders. Sogar die Katze, die so unabhängig wirkt: Sie wartet darauf, gefüttert zu werden und Plätze zugewiesen zu kriegen, an denen sie’s warm hat. Sie lebt vom Menschen, sie ist ein Parasit. Oder Hunde: Das sind unglaubliche Parasiten. Ich meine, ich liebe Hunde, aber bei denen dreht sich alles um Fragen wie: Was machen wir als Nächstes? Wann gehen wir raus? Wann werde ich gefüttert? Wann kommst du wieder nach Hause? Wenn Sie dagegen etwa einen Fuchs im Wald sehen, werden Sie bemerken, dass der alles tun würde, um von Ihnen nicht gesehen zu werden. Er existiert im Hier und Jetzt und ist stolz darauf, ein Fuchs zu sein. Er ist, was er ist. Für mich sind solche Tiere Zen-Meister.

Sie leben, wenn Sie nicht gerade in New York sind, in einer Hütte in den Catskill Mountains. Da sind Sie vermutlich auch umgeben von Tieren, oder?

Allerdings. Da leben Schwarzbären, Kojoten, wilde Truthähne, Hirsche und Rehe.

In Ihrer Nähe?

Oh ja. Die Bären kommen manchmal an mein Fenster, um zu sehen, wer sich da eingenistet hat in ihrer Welt. Es ist nämlich nicht so, dass sie in meine Welt treten, sondern ich habe diese Schachtel in ihre Welt gestellt. Natürlich fragen sie sich, was sie darstellt und ob da vielleicht Futter für sie drin ist.

Sie haben „Broken Flowers“ dem französischen Filmemacher Jean Eustache gewidmet. Wieso? Stilistisch ist da keine große Nähe zu spüren.

Die einzige direkte Verbindung ist unser Thema: Kommunikationsstörungen zwischen Männern und Frauen. Eustache war immer ein Vorbild für mich, ein echter Kinolyriker. Er hat nicht für Geld oder Ruhm gearbeitet, nicht einmal für einen bestimmten Stil. Als ich an „Broken Flowers“ gearbeitet habe, war er mir noch präsenter als sonst, daher habe ich als Allererstes „Für Jean Eustache“ in mein Notizbuch geschrieben. Um mich in die richtige Stimmung zu versetzen. Mit der Zeit wurde diese Widmung …

zu etwas Metaphysischem?

Vielleicht, ja. Ich liebe seine Filme, insbesondere „Mes petites amoureuses“. Der Titel stammt von Arthur Rimbaud, und ich wollte Eustache ein wenig von dem Respekt zurückgeben, den er für andere übrig hatte. Kurz bevor Eustache Selbstmord beging, erzählte er einem Bekannten von mir, dass die Welt demnächst zu einem Ende komme, dass die Menschen die Erde zerstören würden – und dass er das nicht erleben wolle. Er könne, sagte er, diese Traurigkeit nicht ertragen. Deshalb brachte er sich um. Das finde ich sehr bewegend.