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Archiv-Artikel

Brühe à la Louisiana

VON MICHAEL STRECKUND NICK REIMER

Noch während sich die Helfer in der Krisenregion auf die Rettung von Überlebenden konzentrieren, planen Experten bereits die ökologische Sanierung. Eine Mammutaufgabe, die Jahre dauern dürfte. 80 Prozent von New Orleans sind überflutet. Das Wasser sickert in Deponien, vermischt sich mit Abfällen, Benzin, das aus Tankstellen leckt, Tierkadavern und hinterlässt eine Brühe aus Schwermetallen, Chemie und Bakterien. Allein das Abpumpen wird Monate dauern. Stephen Johnson von der US-Umweltbehörde EPA sagt: „Dies ist die schwerste Umweltkatastrophe, die unser Land je erlebt hat.“

Wie verseucht ist also New Orleans? „Um diese Frage beantworten zu können, braucht man Analysedaten“, sagt Helmut Guhr vom Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle. Beim Flood Research Center – eine Einrichtung, die nach der Flut 2002 gegründet wurde – leitet er den Bereich „Stoffströme und Toxologie“. Guhrs simple Bemerkung verdeutlicht das Problem. Die Behörden sind mit den Bergungsarbeiten überfordert, es wird wahrscheinlich noch Wochen dauern, bis man Kenntnis über die genaue ökologische Lage haben wird.

Erste Analysen lassen zumindest hoffen, dass Sturm und Flut die petrochemische Industrie um New Orleans weitgehend verschont haben. Hier sind rund 140 Chemieanlagen angesiedelt, 1.600 Bohrinseln sind der Küste vorgelagert. Der US-Chemieverband ACC hat nach einer Inspektion keine dramatischen Schäden entdeckt – von einem Ölteppich abgesehen, der vermutlich aus zwei Tanklagern stammt.

„Akut ist derzeit in jedem Fall eine bakterielle und virologische Belastung“, urteilt Experte Guhr. Das sei wie nach der Elbe-Flut: Leichen, Kadaver, vor allem überschwemmte Klärsysteme haben das Wasser verseucht. Weil viele Betroffene keinen Zugang zu anderem Wasser als das sie umgebende haben, drohten Epidemien. „Allerdings sinkt die Gefahr ab dem Zeitpunkt, wo die Kadaver eingesammelt werden“, so Guhr. Die Bakterien würden schnell wieder abgebaut. Guhr erinnerte an die Situation vor drei Jahren: „Damals war das Elbwasser in Dresden bakteriell hochgradig verseucht und jeder prophezeite Hamburg eine Katastrophe.“ Dort angekommen sei diese aber bis heute nicht.

Längst vor „Katrina“ galt das Mississippi-Delta als ökologisches Problem. Louisiana rangiert nach Regierungsangaben auf Platz vier, wenn es um das Einleiten giftiger Abfälle geht, und ist Spitzenreiter bei der Entsorgung giftiger Substanzen, die sich über den Wasserkreislauf im menschlichen Körper anreichern.

Drei Monate veranschlagen Experten, um die Stadt leer zu pumpen. Die Abwässer werden wahrscheinlich in den Golf von Mexiko geleitet. Es gebe kaum eine Alternative, als sie ungereinigt ins Meer zu leiten, sagt Ken Green von Environmental Literacy Council, einer Umweltorganisation in Washington. Normalerweise würden sie durch Filter gepumpt. Doch die Dimension der Katastrophe mache dies unmöglich. Mittelfristig wird die nahe Küstenzone dabei erheblich verdreckt – zum Leidwesen der ansässigen Garnelenfischerei, die ohnehin ums Überleben gegen die Konkurrenz aus Asien kämpft. Es ist ungewiss, ob sie sich jemals wieder erholen kann.

Auch wenn sich die Umweltsituation in New Orleans noch unklar darstellt, das drängendste Problem ist klar: Wie kann man das weitere Absinken der Stadt stoppen? Guhl: „Allein mit einer ‚Immer höherer Damm‘-Politik hat die Stadt keine Zukunft.“ Bush-Freund Dennis Hastert plädiert für eine radikale Lösung: einfach platt walzen.