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Archiv-Artikel

„Eine eindeutige Dimension von Rasse und Klasse“

Der Hurrikan erwischte das schwarze Amerika mit Wucht – das weiße Amerika hingegen kam einigermaßen ungeschoren davon

JACKSON taz ■ Als Präsident Bush am Freitag die zerstörte Delta-Stadt Biloxi besuchte, sah man ihn auf den Nachrichtenkanälen Arm in Arm mit zwei offenbar obdachlosen jungen schwarzen Frauen durch die Ruinen laufen. In schweren Zeiten, das sollte das Bild vermitteln, rückt Amerika zusammen – alle sind füreinander da und alle Differenzen sind vergessen.

In Wirklichkeit war das jedoch noch nie so. Als New Orleans 1927 überschwemmt wurde, brachte die Katastrophe etwa die brutale Realität der Rassenbeziehungen im Süden zu Tage. Schwarze wurden in Lager zusammengepfercht und von bewaffneten Wachen daran gehindert, dem steigenden Wasser zu entfliehen. Ihre Wohngegenden wurden vorsätzlich geflutet, um den Wasserdruck auf die Dämme zu verringern. Versprechen, diese Viertel wieder aufzubauen, wurden nie eingelöst.

Auch die jetzige Katastrophe scheint wieder die bittere Wirklichkeit des Verhältnisses zwischen Schwarz und Weiß in Amerika an die Oberfläche zu spülen. Es war unübersehbar, dass von den 100.000 Menschen, die noch sechs Tage nach dem Orkan in New Orleans eingeschlossen waren, die überwältigende Mehrheit schwarz war. Auch die Flüchtlingslager, die sich mittlerweile über den ganzen Süden verteilen, sind beinahe ausschließlich von Schwarzen besetzt. Wer Geld und ein Auto hatte, konnte rechtzeitig aus der Stadt entkommen und sich in einem Motel oder bei Verwandten einquartieren. Geld haben in Amerika und gar im Süden jedoch immer noch in der Hauptsache die Weißen. Den sozialen Bodensatz bildet hingegen auch beinahe 40 Jahre nach Abschaffung des Apartheidsystems im Süden nach wie vor die schwarze Bevölkerung.

Dass die Schwarzen wegen ihrer anhaltenden wirtschaftlichen Diskriminierung die Hauptleidtragenden dieser Katastrophe sind, hat Ende vergangener Woche in den USA lautstarke Entrüstung ausgelöst. Der schwarze Kongressabgeordnete Elijah Cummings aus Maryland etwa glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er die Bilder aus den Auffanglagern sah. „Ich konnte nicht glauben, dass das Amerika ist“, sagte er. „Das sah aus wie Ruanda oder der Sudan. Man muss daran erinnern, dass das Amerikaner sind, die dort dazu gezwungen sind, unter solchen Bedingungen zu existieren.“ Weil es Schwarze sind, so Cummings' Unterstellung, herrscht jedoch eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Schicksal: „Man muss davon ausgehen, dass diesen Menschen schneller geholfen würde, wenn sie weiß wären.“

Das glaubte auch der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Anführer der „Regenbogenkoalition“ Jesse Jackson. „Wir sehen seit Jahrhunderten schwarzes Leid und haben uns daran gewöhnt. Es berührt uns nicht mehr, wenn Schwarze leiden“, sagte Jackson. Besonders gequält, so Jackson, hätten ihn persönlich die Bilder von schwarzen Strafgefangenen auf einer von Wasser umspülten Brücke in New Orleans. Niemand habe sich die Mühe gemacht, diese Männer zu evakuieren. Wenn man darüber hinaus weiß, dass sie in der amerikanischen Gesellschaft kaum je eine andere Chance hatten, etwas anderes als kriminell zu werden, meint Jackson, so könne man glauben, dass das Land seit der Sklaverei kaum Fortschritte gemacht hat.

Die Katastrophe bringt drastisch zutage, dass Schwarze in Amerika und gar im Süden noch immer Bürger zweiter Klasse sind. Von vornherein trugen Schwarze ein wesentlich größeres Risiko, von der Flut erwischt zu werden. In den vergangenen 30 Jahren ist der schwarze Bevölkerungsanteil von New Orleans von 30 auf rund 70 Prozent angewachsen. Weiße arbeiten zwar in der Stadt und gehen auch dort aus, sie leben jedoch in den Vorstädten, in sicherer Distanz zum Wasser. Schwarze konnten sich diese Stadtflucht in der Mehrheit jedoch nicht leisten.

„Diese Katastrophe hat eine eindeutige Dimension von Rasse und Klasse“, sagt deshalb auch ein Sprecher der schwarzen Bürgerrechtsorganisation NAACP. „Katrina“ erwischte das schwarze Amerika mit voller Wucht – das weiße Amerika kam hingegen einigermaßen ungeschoren davon. SEBASTIAN MOLL