DAS VERBOT DES DIESJÄHRIGEN HESS-GEDENKMARSCHS WAR ZWEIFELHAFT : Testfall Wunsiedel
Diesmal hat die Verbotsstrategie geklappt. In Wunsiedel, wo Rudolf Heß begraben liegt, hat in diesem Jahr kein Gedenkmarsch für den Hitler-Stellvertreter stattgefunden. Und die Ersatzveranstaltungen an anderen Orten waren nicht sonderlich gut besucht. Ob sich ein Verbot nächstes Jahr wiederholen lässt, ist freilich völlig offen. Das Verfassungsgericht sieht „schwierige Rechtsfragen“, die es gründlich prüfen will.
Bisher hat Karlsruhe zu Recht die These zurückgewiesen, jede Form des öffentlichen Auftretens von (Rechts-)Extremisten sei in Deutschland per se verboten. Vielmehr verlangt es mit Blick auf eine konkrete Demonstration konkrete Anhaltspunkte für Straftaten. Der Gesetzgeber hat die Grenze der Volksverhetzung im Frühjahr zwar bis an den Rand des verfassungsrechtlich Zulässigen abgesenkt, umso ernster sind die Anforderungen des Strafgesetzbuches nun aber auch zu nehmen.
Karlsruhe muss klären: Ist der positive Bezug auf Rudolf Heß bereits eine Verherrlichung oder Billigung der NS-Verbrechen? Wird dabei quasi automatisch auch die Würde der Opfer verletzt? Juristische Fachleute waren bei einer Bundestagsanhörung im Frühjahr äußerst skeptisch. Tatsächlich kritisiert der diesjährige Demo-Aufruf ausschließlich Heß’ Verurteilung durch das alliierte Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg. Es wäre für die Freiheit der öffentlichen Debatte äußerst bedenklich, wenn darin bereits ohne weiteres eine Volksverhetzung zu sehen wäre.
Tatsächlich hat der offizielle Demo-Aufruf aber weder in der rechten Mobilisierung noch in der Gegenmobilisierung eine große Rolle gespielt. Beiden Seiten ging es vor allem um die Fragen: Wird der Heß-Gedenkmarsch wieder stattfinden können? Wer bringt mehr Leute auf die Straße, die Rechten oder ihre Gegner? Diese tatsächliche, rein quantitative Botschaft rechtfertigt aber erst recht kein Verbot der rechten Wunsiedel-Kundgebung.
Wer zeigen will, dass die Antifa mehr Leute mobilisieren kann, muss zu Gegendemonstrationen aufrufen. Und wer Neonazis nicht unnötig aufwerten will, kann sie auch ignorieren. CHRISTIAN RATH