: Prägung im Mutterleib
Ernährung, Stress und Umweltfaktoren können einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung Ungeborener haben. Die gesundheitlichen Auswirkungen der fötalen Prägung sind zum Teil erst nach Jahren oder im Erwachsenenalter bemerkbar
VON KATHRIN BURGER
Manche werdende Eltern beschallen ihr Kind mit Mozart-Symphonien, um die grauen Zellen des fötalen Gehirns optimal zu verschalten. Andere versuchen mit Lichtsignalen dem Fötus sogar Mathematik beizubringen. Auch wenn das viele Mediziner für Unfug halten – immer deutlicher wird, wie das Kind bereits im Mutterleib geprägt wird. Und das nicht nur positiv.
Schon leichte Stoffwechselentgleisungen können ein Baby etwa für Krankheiten wie das Metabolische Syndrom (Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte) im Erwachsenenalter programmieren. Wenn die Mutter während der Schwangerschaft über den Appetit isst, einen unentdeckten Diabetes hat oder zu viel Stress ausgesetzt ist, geraten Hormone wie Insulin, Leptin oder Cortisol aus dem Lot, die Wachstumsfaktoren für die Organe und hormonellen Schaltkreise des Kindes darstellen.
„Besonders gut haben wir mittlerweile verstanden, wie eine Zuckerstoffwechselstörung der Mutter und Übergewicht des Kindes im Erwachsenenalter zusammenhängen“, so Andreas Plagemann, Professor an der Charité in Berlin. „Wenn der Körper ständig große Mengen Insulin freisetzt, kommen dadurch die Gehirnregionen des Fötus zu Schaden, die Appetit und Stoffwechsel regulieren“, sagt der Geburtsmediziner. Schon bei der Geburt könnten diese Kinder weit über 4.000 Gramm wiegen und würden später nie richtig satt. Plagemann schätzt, dass ein Zuviel an Insulin das Erkrankungsrisiko des Kindes um den Faktor zwei bis drei erhöht. Andere zeigen, dass auch Eiweißmangel fatale Folgen für das Kind haben kann: Sein Risiko steigt, später ein Bluthochdruckpatient zu werden. Denn durch zu wenig Eiweiß reifen die Nieren langsamer und bilden nicht genügend blutdruckregulierende Hormone.
Frauen, die sich während ihrer Schwangerschaft an die Empfehlungen des umstrittenen Dr. Atkins halten, könnten ihren Kindern dagegen einen Gefallen tun. Mäuse, die Forscher der University of Southampton School of Medicine mit wenig Kohlenhydraten, dafür viel Fett und Eiweiß fütterten, gebaren Mäusekinder mit sehr effizientem Fettstoffwechsel.
Neben der Ernährung kann auch mütterlicher Stress zu einer Fehlprogrammierung des kindlichen Stoffwechsels führen. „Große Mengen des Hormons Cortisol könnten die Stressempfindlichkeit des Kindes verschieben und so zu Bluthochdruck und Herzinfarkt führen“, erklärt Plagemann. Die gestresste Mutter hat mit großer Wahrscheinlichkeit auch später übergewichtige Kinder, weil ein Zuviel an Cortisol die Insulin- und Leptinproduktion stimuliert. So erklärt man auch, warum Kinder aus ärmeren Familien dicker sind, als Kinder aus reichen Familien.
Dass Stress während der Schwangerschaft zu ängstlichen und depressiven Nachkommen führen kann, ist schon länger bekannt. „Und wir werden noch viele Überraschungen erleben, welchen Einfluss die Psyche der Mutter auf die Gehirnentwicklung des Kindes hat“, sagt Professor Gerald Hüther, Hirnforscher der Universität Göttingen.
Bislang verbuchte man die Krankheitsbilder des Metabolischen Syndroms und Depressionen großteils auf das Konto Erblast. Und geerbte Gene kann man nicht ändern. „Mit dem neuen Wissen, eröffnet sich nun aber die Chance, den Krankheiten vorzubeugen“, so Plagemann. Der Wissenschaftler fordert, dass der Glukosetoleranztest von den Kassen bezahlt und bei allen schwangeren Frauen durchgeführt werden müsse. Dadurch könnte ein versteckter Diabetes erkannt und mit entsprechenden Ernährungsempfehlungen gegengesteuert werden.
Auch die Ratgeberliteratur ist voll von Tipps: Die Frau sollte sich vernünftig ernähren, mäßig Sport treiben und Stress meiden.
Inwieweit sich Schwangere an solche Ratschläge halten, ist allerdings weit gehend unbekannt.
„Wir wissen aber, dass etwa 42 Prozent der Raucherinnen in der Schwangerschaft weiterrauchen“, so Andrea Kinateder vom Bayerischen Gesundheitsministerium. „Das dürfte bei der Ernährung ähnlich laufen.“ Das Verhalten einer werdenden Mutter ist auch stark von hormonellen Einflüssen geprägt. Heißhungerattacken, Übelkeit, Müdigkeit und Stimmungsschwankungen diktieren den Speiseplan. Frauen, die über ständige Müdigkeit klagten, aßen beispielsweise laut einer Studie der Johns Hopkins University viel Hochkalorisches und wenig Folsäure. In den sorgenvollen Phasen griffen die Frauen zu Vitamin-C-armen Lebensmitteln.
Plagemann gibt zu, dass die Nichtbefolgung von Ernährungsempfehlungen problematisch ist. „Allerdings sollte das nicht davon abhalten, Tipps zu geben, um wenigstens bei einigen Frauen eine positive Veränderung zu bewirken“, so der Mediziner.
Der Hirnforscher Hüther glaubt, dass Ratschläge eher zu Verunsicherung und Schuldgefühlen führen. Er nimmt die ganze Gesellschaft in die Verantwortung: „In der Schwangerschaftsvorsorge beschäftigen wir uns vor allem mit rein medizinischen Aspekten und zu wenig mit der Gefühlswelt der werdenden Eltern.“