: Osnabrück Blues
Privatschnüffler Egbert Wühler und der Fall der blonden Haselnuss-Lady (Teil 2)
Was bisher geschah: Eine blonde Lady namens Nadine von Klippstein erscheint im Büro von Egbert Wühler, und für sie hätte Egbert Wühler sogar den Papst gekidnappt. Doch der charmante Privatschnüffler sollte nur ihre kleine Schwester aufspüren …
Als ich abends nach Hause kam, traf mich fast der Schlag: Mein Wohnzimmer sah ungefähr so aus wie seinerzeit der Reaktorblock 4 in Tschernobyl. Sämtliche Schränke und Kommoden standen offen, Schubladen waren herausgerissen; man hatte offensichtlich meine Sachen durchwühlt und alles durcheinander geworfen. Der schmerzlichste Anblick aber erwartete mich im Schlafzimmer: Irgendwer hatte meinen 134 Ernie-und-Bert-Puppen die Nasen abgeschnitten. Zuerst dachte ich, das könne nur ’ne frühere Freundin von mir gewesen sein, aber dann sah ich den Zettel an der Tapete. Jemand hatte mit ’ner grotesken Klaue was draufgeschmiert. Ich brauchte zehn Minuten, um’s zu entziffern. Auf dem Wisch stand: „Schmutzwäsche zu Mutti bringen“. Mir fiel ein, dass ich die Nachricht vor drei Wochen selbst geschrieben hatte.
In diesem Moment klingelte das Telefon. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ’ne ziemlich unangenehme Fistelstimme: „Jetzt hör’n Sie mal gut zu, Wühler. Ich sag’s nur einmal: Lassen Sie die Finger von der Klippstein, sonst schick ich Ihnen ’n paar Jungs vorbei, die verpassen Ihnen ’ne Anti-Stress-Behandlung nach der Ganzheitsmethode – und zwar mit Baseballschlägern, kapiert?“ Der Kerl kicherte schrill, dann legte er auf. Begreiflicherweise war ich danach ’n bisschen nervös und brauchte ’n Schlummertrunk. Ich warf ’ne Viertelpackung Luminal-Pillen ein und spülte sie mit’m achtfachen Bourbon runter. Anschließend konnte ich tatsächlich einschlafen.
Am nächsten Morgen saß ich mit leichten Kopfschmerzen in meinem Büro und stellte mir einige grundsätzliche Fragen. Wer war der gestrige Anrufer gewesen? In was für einen Schlamassel war ich da geraten? Wie schreibt man überhaupt „Schlamassel“?
Plötzlich näherten sich Schritte auf dem Korridor; dann klopfte es energisch an meine Bürotür. Diese Burschen schienen verdammt fix zu sein; aber die hatten nicht mit meinem Selbsterhaltungstrieb gerechnet. Ohne zu zögern riss ich meine Achtunddreißiger aus der Schreibtischschublade, hob die Waffe und zielte auf die geschlossene Tür. Ich schoss dreimal kurz hintereinander. Die scharfen Detonationen ließen die Fensterscheiben klirren, Holz splitterte, dann war das Geräusch eines fallenden Körpers zu hören. Während ich die Tür öffnete, konnte ich ein triumphales Grinsen nicht unterdrücken.
Vor der Schwelle lag stöhnend und mit schmerzverzerrtem Gesicht – Frau Özdemir, meine Putzfrau. Schlagartig war mir die Sachlage klar. Frau Özdemir kommt immer donnerstags um elf. Heute war Donnerstag, und meine Armbanduhr zeigte 11.02 Uhr. Bei aller Geistesgegenwart hatte ich diesen Umstand nicht in meine Überlegungen einbezogen. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass sie nur einen leichten Schock sowie einen Streifschuss am rechten Ohrläppchen davongetragen hatte. Kaltblütig reichte ich ihr ein Heftpflaster und bat sie, das Ausleeren der Aschenbecher nicht zu vergessen.
Ich überließ es Frau Özdemir, mein Büro aufzuräumen, und fuhr in das Hotel, das Nadine von Klippstein als ihre momentane Adresse angegeben hatte. Nach den jüngsten Ereignissen war ich einigermaßen sauer und beschloss, ein deutliches Wort mit der sauberen Dame zu sprechen. „Hallo, Wühler“, begrüßte sie mich fröhlich, nachdem sie ihre Zimmertür geöffnet hatte. Sie trug einen schneeweißen Morgenmantel, hatte ihr Haar hochgesteckt und erstrahlte in frühlingshafter, pulsbeschleunigender Schönheit. Ich verspürte kurzfristig den Impuls, vor ihr niederzuknien, nahm mir aber vor, hart zu bleiben.
Wir gingen rein und setzten uns; dann fragte sie, ob ich schon was rausgefunden hätte. „Ich will Ihnen mal was sagen, Süße“, bellte ich. „Mir geht’s nicht besonders. Gestern ist in meine Wohnung eingebrochen worden, danach hat man mich an Leib und Leben bedroht, und heute früh hätte ich beinahe meine Putzfrau erschossen. Außerdem hab ich ’ne Nagelbettentzündung am linken großen Zeh.“ – „Das tut mir alles echt Leid, Wühler“, flötete sie und fixierte mich ausgiebig mit ihren großen blauen Augen. Mir wurde ’n bisschen schwindelig, aber ich riss mich zusammen. „Dafür kann ich mir nichts kaufen“, fuhr ich in etwas weniger scharfem Ton fort. „Ich will jetzt endlich die Wahrheit hören, verstanden? Die ganze Wahrheit! Also raus damit, Kindchen!“
Mein schönes Gegenüber seufzte tief. „Also gut, Wühler. Ich will Ihnen ja alles sagen. Ich heiße gar nicht Nadine von Klippstein. Mein richtiger Name ist Gabi Schneider-Habermehl.“ – „So?“, machte ich. „Ja“, sagte sie einfach. „Außerdem hab ich auch keine Schwester.“ Stockend spuckte sie jetzt alles aus. Die Sache mit dem Schließfach in Zürich. Die halbe Million aus dem Bankraub in Paris. Die Erpressung wegen der Berliner Nacktfotos von Claudia Roth. Aber damit noch nicht genug. Da war noch der Prostituiertenmord in Amsterdam. Das Bombenattentat in Mailand. Der Diebstahl des Sauerbratens in Herne. Mir rauchte der Kopf. Zum Schluss flüsterte sie: „Eins müssen Sie mir glauben, Wühler: Ich mag Sie wirklich.“ Sie schlug ein Bein über das andere, wobei ihr Bademantel etwas auseinander glitt. Sie tat nichts, um diesen Zustand rückgängig zu machen.
Nachdenklich fuhr ich zwei Stunden später nach Hause. Meine Probleme waren keineswegs kleiner geworden. Würde es mir gelingen, die vielen Fäden dieses mysteriösen Falles zu entwirren? Würde die Gerechtigkeit siegen? Würden Gabi und ich ein Paar werden? War das Leben nicht verdammt absurd? Sollte man sich nicht stärker gegen den Rückgang von Feuchtbiotopen an Großstadträndern engagieren? Dies alles erfahrt ihr sicher nicht von mir – ich bin schließlich nur ein Osnabrücker Privatschnüffler und nicht allwissend.
CHRISTIAN MAINTZ