: „Der Berg ist Politik“
Amelie Deuflhard
Wieder Geld gespart, freut sich Amelie Deuflhard (45): In letzter Minute hat sie einen Sponsor für Beamer-Glühbirnen ausfindig gemacht. Bis zur Eröffnung der „Bergtour“ im Volkspalast am Donnerstag steht die Initiatorin der Zwischennutzung des Palastes der Republik unter Dauerstress. Viel zu tun hat die in Stuttgart aufgewachsene Theatermanagerin aber immer. Ihr eigentlicher Job ist die künstlerische Leitung der Sophiensaele. Daneben versorgt sie einen Haushalt mit vier Kindern. Und weil ihr dieses Programm offenbar noch nicht ausreicht, zieht es sie als Abgeordnete in den Bundestag. Schaffen will sie das auf ihre eigene Art: mit der Bergpartei, die sie vergangene Woche im Palast mitbegründet hat.
INTERVIEW TINA HÜTTL
taz: Frau Deuflhard, der Volkspalast baut gerade mitten in den Palast der Republik einen Berg. Jetzt haben Sie dort auch noch die Bergpartei mitbegründet. Verliert die Kulturszene Sie an die Politik?
Amelie Deuflhard: Noch sind wir ja eine kleine Partei. Es ist aber auch kein radikaler Wechsel, denn mit dem Palast habe ich ja schon die ganze Zeit auch Politik gemacht.
Das Motto der Bergpartei ist „Spaß kann auch Politik machen“. Wie ernst nehmen Sie ihre Direktkandidatur für den Bezirk Mitte?
Die Partei ist natürlich auch ein Kunstprojekt, aber wir ziehen sie real durch. Gerade melden wir sie bei der Wahlleitung an. Für meine Direktkandidatur brauche ich 200 Unterstützerunterschriften aus Mitte. Das schaffe ich ohne Probleme.
Hier das Mandat zu holen wird aber hart. Der SPD-Kandidat Jörg-Otto Spiller gilt als so gut wie gewählt.
Ach du Schande! Ich habe noch gar nicht gekuckt, wer meine Gegner sind. Ich habe ziemlich viel zu tun mit dem Bergbau. Ab dem 4. August, wenn wir den Volkspalast eröffnet haben, werde ich mich stärker darum kümmern.
Das Programm der Bergpartei ist recht übersichtlich: Es besteht aus nur 20 Forderungen, unter anderem die nach einer „Höchstbesitzbeschränkung“. Gibt es zu viele Reiche hier?
Das Problem in Berlin ist eher, dass ein betuchtes Bürgertum fehlt. In anderen Städten, etwa Stuttgart, wo ich herkomme, ist das ganz anders. Dafür haben wir hier eine reichhaltige freie Kunst- und Kulturszene, von der die Stadt lebt.
Ihre Partei plant auch, das Budget des Verteidigungs- in ein „Zwischennutzungsministerium“ umzuschichten. In einem Schattenkabinett sind Sie dessen Ministerin. Ganz uneigennützig ist das wohl nicht: Immerhin haben Sie den Verein „Zwischenpalastnutzung“ gegründet und machen sich für die Ruine des Palastes der Republik stark.
Zwischennutzung bedeutet für mich mehr, als Ruinen zu nutzen. Sie ist eine typische Berliner Angelegenheit, bei der es um kulturelle Ideen und kreativen Input für die Stadt geht und auch um Widerständigkeit.
Ihr bevorzugter Ort für Ideen ist nun aber mal der Palast. Warum ausgerechnet er?
Angefangen hat es damit, dass der Musiker Christian von Borries im Sommer 2001 zu mir in die Sophiensaele kam und sagte, er möchte Wagner im Palast der Republik aufführen. Entgegen meiner Gewohnheit sagte ich: „Keine Chance. Das schaffen wir nicht.“ Er war aber so überzeugt, dass ich doch damit angefangen habe, Briefe zu schreiben.
An wen schreibt man denn da?
Offiziell gehört der Palast ja der Bundesregierung und untersteht dem Finanzministerium. Richtige Ansprechpartner kannte ich zunächst nicht. Ich habe einfach alle möglichen Ministerien, Baubehörden und Kulturbeauftragte in Bund und Land angeschrieben. Es kamen vor allem Absagen. Unterstützung gab es von Anfang an vom Hauptstadtkulturfonds, der früh die Wichtigkeit der kulturellen Zwischennutzung des Palastes erkannt hat. Und aus der Kulturszene gab es rasch Mitstreiter: der Architekt Philipp Oswald, Jörn Weisbrodt von der Staatsoper und Joseph Hoppe vom Technikmuseum. 2003 gründeten wir den Verein „Zwischenpalastnutzung“ und präsentierten unsere Ideen in einer Ausstellung im Staatsratsgebäude. Von Behördenseite kam aber die Ansage: Um den Palast wieder bespielbar zu machen, müssten wir 15 Millionen Euro investieren.
Die Wagner-Oper hat dann aber doch dort stattgefunden – wohl ohne 15 Millionen.
Zwei Jahre nach der Idee habe ich die Zusage für die Anmietung bekommen – ganze vier Tage vor dem ersten Konzerttermin. Von Borries hatte da schon lange ein 90-köpfiges Sinfonieorchester engagiert – ohne Ausweichort. Es ist uns auch nur durch einen Trick gelungen: Wir hatten das Ganze als „musikalische Führung“ angemeldet. Kurz davor durften wir als Verein Zwischenpalastnutzung schon für drei Wochen Publikum durch den Palast führen. Die 5.000 Tickets waren sofort ausverkauft.
Was bitte ist eigentlich so reizvoll am Palast?
Wo soll ich anfangen? Er hat so viele spannende Facetten …
… nüchtern betrachtet steht da aber ein ziemlich verrotteter leerer Kasten mitten in der Stadt.
Vergangenes Jahr haben wir bis weit in den November den Volkspalast bespielt und sind dort mit Seehundstiefeln rumgestapft. Klar, da hatte er dann schon eher den Charme einer Tiefgarage. Gleichzeitig ist das Gebäude aber unglaublich faszinierend, nicht nur durch die politische Aufladung. Er ist inzwischen weniger ein Symbol für die DDR als für deren Abbau. Er steht auch dafür, dass sich viele DDR-Bürger ihrer Biografien beraubt fühlen. Auch deswegen will man ihn so schnell abreißen.
Sie selbst kommen aus dem Westen. Normalerweise verläuft die Debatte Palastbefürworter kontra Schlosserbauer doch entlang den Grenzen Ostalgiker kontra Besserwessis?
Ziel unseres Vereins war immer, über eine Zwischennutzung neue Ideen in die verhärtete Debatte einzubringen. Es ging uns nie vordergründig um den Palasterhalt, sondern darum, zukunftsweisende Nutzungsvorschläge für den Schlossplatz einzubringen.
Woher kommt es eigentlich, dass man so viel über Ihre Arbeit weiß, aber kaum etwas über Sie persönlich? Immerhin haben Sie nun verraten, dass Sie in Stuttgart aufgewachsen sind.
Dass ich aus Stuttgart komme, ist auch nicht so wissenswert – vielleicht nur insofern, dass dort damals Claus Peymann der junge Wilde am Theater war. Während der RAF-Skandale hat er sich ja für den Zahnersatz von Gudrun Ensslin eingesetzt. Das gute schwäbische Bürgertum hat daraufhin sein Abonnement gekündigt, und wir Jugendlichen sind ins Theater gerannt. Das war meine Initiation fürs Theater.
Wann sind Sie der schwäbischen Enge entflohen?
Für mein Studium von Geschichte, Romanistik und Kulturwissenschaften bin ich weggegangen. Danach habe ich im Technikmuseum in Mannheim gearbeitet. 1987 bin ich nach Berlin gekommen und habe erst mal meine vier Kinder gekriegt. Heute sind sie 13, 15, 17 und 18 Jahre alt.
Vier Kinder und Ihr Job – geht das zusammen?
Einfach ist das nicht, aber ich gebe meine Bestes. Ich versuche, zumindest manche Abende unter der Woche und am Wochenende, soweit es geht, frei zu sein. Und ich versuche präsent zu sein, auch wenn ich gerade nicht da bin – als Begleiterin und als Vorbild. Außerdem gibt’s auch noch einen Mann dazu. Er ist Mathematikprofessor und leitet ein Forschungsinstitut. Kein Hausmann.
Finden Ihre Kinder gut, was Sie machen?
Schon. Sie mögen vor allem das, was ich im Palast mache. Sie finden es nur etwas absurd, dass ich so viel arbeite und nicht so viel verdiene, wie sie sich vorstellen, dass man sinnvollerweise dafür verdienen sollte.
Ihr Hauptjob ist nicht der Palast, sondern die künstlerische Leitung der Sophiensaele. Eine Theaterspielstätte, die ohne festes Ensemble und ohne große Subventionen bestens funktioniert. Was ist das Geheimnis?
Weil die Förderung vom Senat gerade mal für den Unterhalt des Hauses reicht, definiere ich mich auch als Produzentin. Wir machen etwa 70 Produktionen im Jahr. Für jede einzelne müssen wir die Gelder aufstellen. Das geht nur über Partner und Kooperationen und mit Senats- und Bundesgeldern. Junge Künstler vernetzen wir mit den kleineren Festivals und Spielstätten. Die bekannteren mit großen Schauspielhäusern, auch international. Für die Künstler ist dies extrem wichtig, weil sie dann nicht nur bei uns spielen, sondern rauskommen aus der Stadt.
Sie haben in den Sophiensaelen viele junge Talente entdeckt, etwa die Regisseurin Christiane Pohle. Woher haben Sie den Instinkt?
Ich denke, es ist eine Mischung aus Erfahrung und dem Glauben, dass das, was man selbst interessant findet, auch andere interessiert. Ich bevorzuge Künstler, bei denen ich noch ein hohes Entwicklungspotenzial sehe, vor denen, die schon ganz rund sind. Und es geht mir natürlich auch um politische Themen. Ich führe viele Gespräche mit Künstlern, die meist ein extrem gutes Gefühl dafür haben, was spannend ist, noch bevor es dann in den Zeitungen steht. Diese Gespräche geben mir die Energie, Projekte gemeinsam zu entwickeln.
Welche Themen sollen die Besucher des Volkspalast diesmal bewegen? Ein Berg im Palast erschließt sich ja nicht sofort.
Als der Vorschlag von der Architektentruppe „Raumlabor“ kam, haben wir sehr lange diskutiert, ob es eine gute Idee ist. Es ist eine sehr gute Idee.
Warum?
Der Berg ist quasi eine Antiarchitektur, weil Natur simuliert wird. Er weist nach, dass es in der Debatte um den Palast und auch um das Schloss in Wirklichkeit nie um Architektur ging, obwohl es immer behauptet wurde. Es ging immer um Politik. Es ging um Macht, um Geschichte und um Symbole. Gleichzeitig steht Bergsteigen ja auch für eine Suche. Man guckt von oben ganz anders auf die Stadt und den Platz – mit genauerem, einem fremden Blick.
Was möchten Sie einmal auf dem Schlossplatz sehen?
In seinem momentanen Zustand kann der Palast mittelfristig natürlich nicht bleiben. Solange man aber nicht weiß, was man eigentlich an dem Ort machen möchte, sollte man den Palast als Laboratorium für Wissenschaft und Kultur nutzen, um Neues zu erproben. Es hat sich gezeigt, dass an diesem zentralen Ort Diskurse auch besser wahrgenommen werden.
Der Anziehungskraft des Palastes lebt aber auch davon, dass er dem Untergang geweiht ist.
Klar, es ist ein Tanz auf dem Vulkan, – um in der Bergwelt zu bleiben –, der extrem inspirierend ist. Mit unserer Bespielung wollten wir auch immer den Politikern die Stirn bieten. Denn nichts wollten die weniger, als dass dieser Ort wieder ins öffentliche Interesse rückt. Mit dem überstürzten Abriss soll endlich die Debatte beendet werden.
Wenn der Palast weg ist, verschwinden auch Sie von der Bildfläche des Platzes?
Wir werden uns auf jeden Fall weiter in die Debatte um die Zukunft des Areals einmischen. Eine Wiese akzeptieren wir nicht, denn die endet nur in Rummel und Parkplätzen. Da hat das, was wir machen, schon eine andere Substanz.
Auch die Bergpartei gibt es dann noch?
Auf jeden Fall! Denn Berge gehen nicht unter.