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Archiv-Artikel

KIRSTEN FUCHS über KLEIDER Das Geheimnis unter seinem Pullover

Meine Freund Jan besitzt jetzt einen Obst – wie schön! Wenn er nur nicht so stinken würde …

„Wie riechst du denn?“, frage ich Freund Jan, als er mich zur Begrüßung umarmt. „Ist mein Rattenpullover!“, sagt er und tippt sich auf den Seemannspulli mit Reißverschluss. Eigentlich finde ich die Antwort gut so und würde sie gern als seltsamen Moment speichern. Ich mag seltsame Momente. Ist also sein Rattenpullover.

Freund Jan kommt aus der Tschechei und spricht ein niedliches Deutsch. Treffen mit ihm sind immer voller seltsamer Momente. Er verwechselt „aber“ und „weil“, und ich habe es ihm schon ein paar Mal gesagt, weil es eben falsch ist, aber er merkt es sich nicht. Wenn Jan etwas erklären will, sagt er einen Aussagesatz und stellt ein „Warum“ dahinter, dann geht es mit „aber“ weiter. Warum? Aber er kann es eben nicht besser. Das ist also sein Rattenpullover.

„Ich habe jetzt einen Obst!“, sagt Jan und ich mag wieder nicht nachfragen. Er hat jetzt einen Obst. Ist doch schön. Da ich seltsame Momente, wie schon gesagt, zu schätzen weiß, bin ich auch sehr dafür zu haben, dass Jan den Reißverschluss an seinem Rattenpullover öffnet und eine schwarze Ratte ihren Kopf rausstreckt. Was für ein fröhlicher Tag. „Das ist Obst. Warum? Aber er isst gern Obst.“ Aha.

Jan streichelt dem Tier über den kleinen Kopf. Daraufhin verschwindet der kleine Kopf wieder im Rattenpullover. Er scheint nicht auf Streicheleinheiten abzufahren.

„Er isst sehr gern Obst“, wiederholt Jan. Wie er es betont, klingt es, als wäre Obst gern Obst, wie: „Er ist gern Obst“, und das finde ich auch schön, es klingt ganzheitlich harmonisch, Obst ist gern Obst, Jan ist gern Jan, schön. „Und warum hast du Obst dabei?“ In den Satz könnte ich mich auch schon wieder verlieben. „Obst soll sich an mich gewöhnen. In Buch steht, dass Ratte sich gut an Mensch gewöhnt, wenn sie viel bei mir und immer selber Pullover. Warum? Geruch!“

Das leuchtet mir ein. Obst soll sich an Jan gewöhnen, darum soll er also immer im selben Pullover in Jans Nähe sein, um Jan zu riechen. Leider scheint es aber so zu sein, dass Jan anfängt nach Obst zu riechen beziehungsweise nach Ratte. Die Ratte steckt ihren Kopf aus Jans Ärmel, schnuppert und verschwindet wieder. Hat die Ratte frische Luft geschnappt, frage ich mich. Vielleicht findet die Ratte ebenfalls, dass Jans Pullover müffelt.

„Und wenn du den Pullover zwischendurch mal wäschst, geht das nicht?“, will ich wissen, um Jan einen kleinen Wink mit einem kleinen Zaunpfahl geben, höchstens so groß wie ein Puppenstubenzaunpfahl.

„Ich kann nicht waschen. Warum? Aber dann erkennt Obst mich nicht wieder, aber er nicht sieht nicht gut, nur gut riechen.“ Ich finde zwar nicht, dass sein kleiner Obst gut riecht, aber naja. „Riecht nur, weil er markiert hat, aber ist sein Pullover. Er ist noch scheu. Wenn nicht mehr scheu, nicht mehr so viel markieren. Ratten sehr sauber, weil noch scheu.“ Gut, fürs Erste habe ich genug über Obst geredet.

Ich frage Jan, wie es mit dieser Helene läuft, in die er verknallt ist. „Nicht gut! Ist scheu“, sagt er. „Dann steck sie doch in deinen Pullover“, schlage ich vor. Jan lacht. Das Rattenobst steckt wieder seinen Kopf aus dem Kragen, schnappt Luft und taucht wieder ab. „Hat der auch einen Körper?“, will ich wissen.

„Ja, Körper ist dran, gab’s dazu. Schwanz auch, findet Helene eklig. Warum? Keine Haare dran!“ Ich weiß nicht, ob Jan bewusst ist, wie drollig das ist, was er redet. Wir plauschen noch eine Weile darüber, wie viel schwerer es ist, einen Menschen zahm zu bekommen. Obst steckt immer mal wieder seinen Kopf hier und da aus dem Pullover und schnuppert in die Gegend.

„Vielleicht solltest du nächstes Mal ausnahmsweise deine Ratte nicht mit zu dem Treffen zu Helene nehmen. Und zieh einen anderen Pullover an, weil der stinkt.“ „Weil der stinkt“, wiederholt Jan. „Nicht dolle, aber vielleicht will Helene lieber dich riechen als dein Haustier.“ Jan nickt. „Gut, mach ich so. Warum? Helene ist so süß wie Obst.“ „Sag ihr das nicht!“, rate ich ihm. „Sag einer Frau nicht, dass sie so süß wie eine Ratte ist.“ „Nein, Erdbeere!“, sagt Jan und lacht.

Fragen zum Warum? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander SCHICKSAL