: Die Fremdenfeinde abholen
Wenn Linke rechte Wähler gewinnen wollen, setzen sie auf die Angst vor Wohlstandsverlust. Sagen Extremismusforscher
AUS BERLIN ASTRID GEISLER
Wer in Interviews, Redemanuskripten und Büchern nach passenden Schlagworten sucht, der findet sie reichlich: Nicht erst seit seiner Kandidatur für das Linksbündnis von PDS und WASG verbreitet Oskar Lafontaine Forderungen, die bei vielen linken Weggefährten spontan Übelkeit hervorrufen. Er schlug sich in der Folterdebatte auf die Seite des Frankfurter Polizeichefs Daschner. Er begrüßte die Idee, Flüchtlingslager in Nordafrika zu finanzieren. Er warnte vor dem EU-Beitritt der Türkei und sattelte zuletzt mit seiner „Fremdarbeiter“-Rhetorik drauf.
Die „strukturkonservative Linke“ sei stets „in Gefahr, national zu werden“, warnte Grünen-Chef Reinhard Bütikofer im Gespräch mit der taz. Bahnt Oskar Lafontaine einem neuen Linksnationalismus in Deutschland den Weg?
Die Suche nach Belegen für die These führt in unübersichtliches Gebiet. Das Programm der PDS ist internationalistisch. WASG-Sprecher Murat Cakir bricht in empörtes Lachen aus, wenn man ihn nach nationalistischen Elementen im Parteiprogramm fragt. Ziel sei nicht Abschottung, sondern ein „gemeinsames europäisches Vorgehen gegen Neoliberalismus“. Und, sagt Cakir: „Ich bin doch ein Mensch mit Migrationshintergrund. Ich stehe für antifaschistisches Engagement gegen Nationalismus.“ Der Rest sei eine „Schmutzkampagne“.
Die Realität, sie dürfte irgendwo dazwischen zu suchen sein, in einer Grauzone – auf der einen Seite Lafontaines persönliche Ansichten und strategische Absichten, daneben das breite Spektrum, das vom Linksbündnis abgedeckt wird. Der Berliner Extremismusforscher Richard Stöss hat gerade eine Studie über rechtsextreme Einstellungen bei Gewerkschaftsmitgliedern veröffentlicht. Lafontaine setze weniger auf traditionellen Nationalismus als auf „Wohlstandschauvinismus“, urteilt er: „Die Nation an sich steht gar nicht im Zentrum. Es geht darum, die Statusängste gewisser Wählermilieus anzusprechen.“
Strategisch hält Stöss das für durchaus Erfolg versprechend: Gerade bei Menschen mit geringer Bildung, bei Arbeitslosen, Arbeitern und Rentnern, aber auch bei qualifizierten Facharbeitern mit Abstiegsängsten könne Lafontaines eindeutig-zweideutiger Kurs ankommen.
Auch Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, hält die „Fremdarbeiter“-Rhetorik des Politprofis Lafontaine nicht für „unbedarft“. Für die Wahlchancen sei dieser Aspekt allerdings derzeit nicht entscheidend: „Das Linksbündnis hat es zumindest bei dieser Wahl nicht nötig, auf diese Weise nach dem rechtspopulistischem Milieu zu schielen.“
Ohnehin gibt es laut Güllner bisher keine statistischen Belege, in welchem Ausmaß sich das rechtspopulistische Wählerpotenzial tatsächlich bei den Linken aufgehoben sieht. Zum einen, weil sich diese Klientel in Befragungen nicht zu ihren Ansichten bekenne oder sich gar nicht erst befragen lasse. Zum anderen wären für solche Schlussfolgerungen gezieltere Studien nötig – die noch niemand angestellt habe.
Bleibt die Frage, ob ein Buhlen à la Lafontaine um die Verängstigten, die Verlierer, die politisch verwaisten Ex-SPD-Wähler jenseits des taktischen Kalküls politisch legitim ist. Auch hier gehen die Meinungen auseinander. Ja, findet der Kölner Politologe Christoph Butterwegge, Fachmann für soziale Fragen und Rechtsextremismus – und selbst SPD-Mitglied. „Die neue Linkspartei muss die Enttäuschten abholen, die anfällig sind für die Wahl rechtsextremer Parteien“, sagt er. Nur mit linksintellektuellen Diskursen, wie sie Rot-Grün behagten, lasse sich das nicht erreichen. Was Lafontaine zuletzt von sich gegeben habe sei zwar „hart an der Grenze“ gewesen – aber noch zulässig. Sein Kollege Stöss widerspricht dem: „Mit solchen Reden schürt und bestärkt Lafontaine eine latent vorhandene Fremdenfeindlichkeit.“ Natürlich müsse man verunsicherte Wähler „abholen“, sagt auch er: „Aber doch nicht mit fremdenfeindlichen Rezepten, die keine Probleme lösen.“