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Archiv-Artikel

„Ich war ein Wirtschaftskiller“

John Perkins war beteiligt am wirtschaftlichen Ruin von Entwicklungsländern. Er schwatzte ihnen mit geschönten Statistiken riesige Bauprojekte auf. Die Länder überschuldeten sich, US-Konzerne profitierten. Und das System funktioniert noch immer

taz: Herr Perkins, in den Siebzigerjahren sind Sie durch die Welt gereist und hatten einen gut bezahlten und ungewöhnlichen Job …

John Perkins: Ja, ich war ein „Economic Hit Man“ [EHM], also ein „Wirtschaftskiller“. Meine Kollegen und ich haben nach Entwicklungsländern gesucht, die über Rohstoffe verfügen, die uns interessierten, wie zum Beispiel Rohöl. Und dann sorgten wir für riesige Kredite von Organisationen wie der Weltbank, mit denen das Land dann große Infrastrukturprojekte baute, zum Beispiel Kraftwerke, Häfen oder Autobahnen.

Was war schlecht daran?

Diese Projekte kamen vor allem den sehr reichen Bürgern des Landes zugute. Und das meiste Geld aus den Krediten ging nicht in die Staaten, sonder floss direkt zu großen US-Firmen wie Bechtel oder Halliburton, die diese Projekte bauten. Am Ende waren die Staaten stark verschuldet und konnten die Kredite nicht mehr begleichen. Dann gingen wir zurück in das Land und sagten: „Ihr schuldet uns viel Geld und könnt es nicht zurückzahlen. Also tut uns einen Gefallen und verkauft uns eure Ölfirma zu einem günstigen Preis, oder stimmt mit uns bei der nächsten heiklen Entscheidung der Vereinten Nationen.

Welche Rolle spielen Weltbank und IWF in diesem System?

Diese Organisationen sind Werkzeuge der EHM. Wir haben sie benutzt, um Geld zu den Firmen zu transferieren. Die Leute, die davon am meisten profitiert haben, waren die Besitzer dieser Unternehmen in den USA und Europa und ein paar reiche und korrupte Familien in den Entwicklungsländern.

Sind denn auch Firmen außerhalb der USA, zum Beispiel deutsche Firmen, in das System eingebunden?

Ich bin seit einiger Zeit nicht mehr im Geschäft, sodass ich nicht sagen kann, welche Firmen konkret derzeit involviert sind. Aber im Prinzip können Sie jedes große Unternehmen nennen, das Technologie für große Infrastrukturprojekte anbietet.

Wie viele EHM waren denn gemeinsam mit ihnen in der Welt unterwegs?

Ein Teil der Macht in diesem System beruht darauf, dass alles sehr geheim ist. Ich war oft sicher, dass ich gemeinsam mit einem anderen EHM in einer Bar in Jakarta oder Caracas sitze. Aber wir haben uns nicht zu erkennen gegeben. Wie viele es waren, kann ich also nicht sagen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ihre Zahl zugenommen hat. Viele von ihnen arbeiten mittlerweile direkt für internationale Unternehmen.

Sie waren Chefökonom bei Chas.T. MAIN Inc., einer internationalen Unternehmensberatung, die Aufträge von der Weltbank oder dem US-Finanzministerium erhalten hat. Was war ihre Rolle dort?

Meine Aufgabe war es, mit den Mächtigen in den Entwicklungsländern Deals abzuschließen. Ich hatte einen Stab von mehreren Dutzend Mitarbeitern, Wirtschaftsexperten, sehr fähige Leute. Sie mussten die Prognosen und Berichte anfertigen, die meine Projektabschlüsse rechtfertigten. Aber diese Statistiken waren in der Regel viel zu optimistisch angelegt, und die Projekte wurden somit überdimensioniert. Das führte dazu, dass die Länder sich langfristig stark bei der Weltbank überschuldeten.

Es ist erstaunlich, dass die Regierungen der Entwicklungsländer solchen gefälschten Statistiken geglaubt haben. Sie hätten doch ihre Lage viel besser einschätzen können. Warum hat man Ihrem Urteil mehr vertraut?

Die Entscheidung über die Projekte lag immer bei einer kleinen Gruppe oder einer Einzelperson. Und sie wollten in diesem Prozess auch reich werden, sie waren korrupt.

Sie wurden von einer Frau namens Claudine, die ebenfalls bei MAIN gearbeitet hat, zum EHM ausgebildet. Sie hat dabei sehr ehrlich über ihren zukünftigen Job gesprochen. Warum haben Sie das Angebot überhaupt angenommen?

Ich bin groß geworden in einer Familie, die nicht sehr viel Geld hatte, und besuchte gleichzeitig ein Internat mit sehr reichen Studenten. Ich wollte immer ein so gutes Leben führen wie sie. Und in meinem Job war ich erfolgreich.

Ihr finanziellen Bedürfnisse haben sie also befriedigt. Aber sie berichten in ihrem Buch auch, dass sie sich immer schuldig fühlten und depressiv wurden. Hätten Sie nicht einfach ihre Methoden ändern und realistische Prognosen erstellen können? Das hätte den Entwicklungsländern geholfen …

Das war nicht möglich. Wer nicht in dem System mitgemacht hat, wurde gefeuert. Die einzige Ausnahme war Panama, wo der damalige Präsident Torrijos in einer sehr mächtigen Position war. Er nahm mich beiseite und sagte „Ich weiß, welches Spiel ich für euch spielen soll und dass ich so reich werden könnte. Aber das interessiert mich nicht. Ihr könntet also das Land verlassen oder es auf meine Weise tun.“ Das gab ich meinen Chefs weiter, und wir entschieden uns zu bleiben. Denn wir wurden bezahlt für unsere Arbeit. In Panama haben wir gute Arbeit geleistet, aber nur, weil meine Chefs damit einverstanden waren.

Sie haben mehr als 20 Jahre gewartet, um das Buch zu schreiben. Warum so lange?

Nach meiner Kündigung arbeitete ich in Branchen, in denen ich von meinen Kontakten profitierte. Ich besaß ein alternatives Energieunternehmen, das erfolgreich war, weil ich Hilfe von Menschen innerhalb des von mir beschriebenen Systems bekommen habe. Wenn ich das Buch geschrieben hätte, hätte ich diese Hilfe nicht bekommen. Und 1982 wurde meine Tochter geboren. Von dem Zeitpunkt an fürchtete ich um ihr Wohlergehen. Ich habe mehrmals begonnen, das Buch zu schreiben, aber ich wurde jedes Mal überzeugt, es nicht weiterzutun.

Wie zum Beispiel?

In den frühen Neunzigern bekam ich einen Beratervertrag bei einem Maschinenkonzern. Ich habe viel Geld bekommen. Und der Grund dafür war, dass ich das Buch nicht schreiben sollte.

Die Anschläge vom 11. September änderten ihre Einstellung?

Ja, als ich am Ground Zero stand, wusste ich, dass ich das Buch schreiben muss. Viele Amerikaner verstehen nicht, warum so viele Menschen in der Welt uns aus guten Gründen hassen. Ich wollte es ihnen erklären, denn der 11. September war ein Verbrechen, aber auch eine Widerspiegelung dieses Hasses.

Ihr Buch liest sich über weite Strecken wie ein Drehbuch zu einem Politthriller. Sie liefern keine Dokumente als Beleg ihrer Geschichte.

Jedes Ereignis, das ich in dem Buch beschreibe, ist gut dokumentiert, sei es die Rolle Torrijos oder die Entwicklung in Saudi-Arabien. Das Einzige, das man infrage stellen kann, ist: War ich wirklich vor Ort? Habe ich die Dinge wirklich getan, über die ich berichte? Natürlich habe ich Pässe und Dokumente, die zeigen, dass ich als Chefvolkswirt bei MAIN gearbeitet habe. Aber ich wollte ein persönliches Buch schreiben und nicht von einem akademischen Standpunkt aus berichten.

Vor kurzem hat James Wolfowitz sein neues Amt als Weltbankpräsident angetreten. Wie sehen sie seine Rolle?

Das zeigt uns, dass die Weltbank in Wahrheit eine US-Bank ist. Wir wählen den Präsidenten aus, wir haben die Kontrolle über die Bank. Und es macht keinen Unterschied, ob der Präsident des Internationalen Währungsfonds ein Europäer ist. Die USA kontrollieren die Einlagen des IWF und haben die Gewalt über alle größeren Entscheidungen.

Wenn Sie auf die Weltkarte blicken, wo ist das Schlachtfeld der EHM im Moment?

In jedem Land, das Rohstoffe hat, an denen Unternehmen interessiert sind, wie zum Beispiel im Nahen Osten. Allerdings ist die Situation dort sehr schwierig, weil die USA nicht einen so starken Widerstand im Irak erwartet haben. Dort haben die EHM zweimal versagt, in den Achtzigern und nach dem ersten Golfkrieg in den Neunzigern. Deshalb ist der Haupteinsatzort der EHM zurzeit Lateinamerika. Bei den jüngsten Wahlen sind dort in sechs Ländern Präsidenten gewählt worden, die in Opposition zur US-Politik stehen. In all diesen Ländern sind die EHM sehr aktiv.

INTERVIEW: STEPHAN KOSCH

Der Autor ist Mitarbeiter der taz