: „Alte sollten vorsorgen, nicht reisen“
Senioren könnten für Finanzdienstleister eine interessante Zielgruppe sein. Schließlich haben sie im Schnitt viel Geld. Aber damit beide Seiten zusammenkommen, ist ein Mentalitätswandel nötig, meint der Münchner Senioren-Ökonom Elmar Helten
INTERVIEW KATHARINA KOUFEN
taz: Für ältere Menschen ist es schwer, Versicherungen abzuschließen oder einen Kredit zu bekommen. Ab wann gilt man in der Branche als alt?
Elmar Helten: In der Versicherungswirtschaft so ab 60 Jahre. Lebensversicherungen bekommt man bisher ab 60 oder 65 nicht mehr, Unfallversicherungen ab 70. In der Kreditwirtschaft gehört man zu den Alten, wenn man keine laufenden Einnahmen mehr hat. Außerdem sollte man noch so viele Jahre vor sich haben, dass der Kredit zurückgezahlt werden kann.
Wie können ältere Menschen kreditwürdig werden?
Viele Menschen der heute älteren Generation besitzen ein Haus oder eine Wohnung, die mit Beginn der Rente abbezahlt sind. Diese Immobilie kann man zum Teil wieder an den Kreditgeber zurückverkaufen und bekommt dafür einen Kredit oder eine Rente ausbezahlt – in England und Australien ist das längst gang und gäbe.
Und in Deutschland?
Die Deutschen tun sich sehr schwer damit, ihr lange abbezahltes Häuschen wieder teilweise an die Bank zurückzuübertragen. Vor einigen Jahren hat die Dresdner Bank dieses Modell ausprobiert, es hat sich aber nicht durchgesetzt.
Die Deutschen kaufen ihr Haus eben „für immer“.
Diese Mentalität muss sich ändern! Immer mehr alte Menschen werden in Zukunft von ihrer Rente nicht mehr leben können. Deshalb müssen die Menschen im Alter auf ihre finanzielle Substanz zurückgreifen. Dazu gehört eben auch das Haus oder die Wohnung.
Aber die Generation 50 plus ist doch ohnehin insgesamt gut situiert?
Ja, diese Bevölkerungsgruppe, verfügt in Deutschland über das meiste Geld. Sie gehört einer Generation an, die ihre Vermögen nicht im Krieg verloren hat und kontinuierlich sparen konnte. Bei einem normalen Job war es den meisten möglich, eine Wohnung oder ein Reihenhäuschen abzubezahlen. Dieses Vermögen brauchen die Leute für sich selbst, anstatt es zu vererben.
Wie reagieren Banken und Finanzdienstleister auf das hohe Vermögen und die hohe Lebenserwartung der Senioren?
Es wird langsam klar, dass man sich nicht mehr auf die jungen Kunden konzentrieren kann, sondern dass man besondere Produkte für die älteren Kunden anbieten muss. Beispiel Lebensversicherung: Man muss auch Menschen mit einbeziehen, die schon Krankheiten haben. Die Menschen leben heute 10 bis 12 Jahre länger. Als ich 1967 meine erste Lebensversicherung abgeschlossen habe, galt 85 Jahre als „technisches Ende“ – spätestens da sollte einem die Summe ausbezahlt werden. Heute sind wir bei 100 Jahren, und bald gehen wir von 110 Jahren aus.
Statt jung und gesund alt und krank – das klingt nach einer unattraktiven Zielgruppe.
Die Prämien sind bei alten Menschen entsprechend höher als für Junge und Gesunde. Aber: Auch bei den Alten klappt das Prinzip, dass die kürzer Lebenden die länger Lebenden finanzieren – nur das Niveau ist höher.
Gibt es besondere Versicherungen für ältere Menschen?
Es gibt spezielle Unfallversicherungen mit so genannten Assistancen: Sie schließen mit ein, dass der Versicherungsnehmer ein halbes Jahr lang Essen auf Rädern bestellen kann oder zweimal die Woche eine Haushaltshilfe kommt.
Verlassen sich die Rentner von heute zu sehr auf den Staat?
In gewisser Weise ja. Die älteren Menschen müssen an ihre Vermögen ran, statt von der arbeitenden Bevölkerung zu leben. Dazu ist aber hier in Deutschland ein Mentalitätswandel nötig. Keiner traut sich so richtig, diese Wahrheit laut auszusprechen. Das ist auch ein politisches Problem: Die Wählerschaft im Rentenalter ist sehr groß.
Was also sollen die Rentner konkret ändern?
Sie sollen nicht all ihr Geld für Reisen ausgeben – Reisebüros werben heute gern mit grauhaarigen Models, weil ältere Menschen Geld haben und es im Sonnenschein irgendwo verprassen. Das geht nicht! Zumindest nicht, bevor man für sein längeres Leben vorgesorgt hat: Erst einmal soll man sich für die eventuelle Zeit im Pflegeheim absichern, dann an die nächste Generation denken. Und was dann noch übrig bleibt – das ist für den Luxus.