: „Wir werden dringend benötigt“
INTERVIEW ROBIN ALEXANDER
taz: Herr Lafontaine, Sie treten als Spitzenkandidat für die neue Linkspartei an. Können Sie auf eine kurze Formel bringen, was „links“ meint?
Oskar Lafontaine: Das ist ganz einfach: Eine Linkspartei tritt für die Arbeitnehmer, für die Rentner und für die Arbeitslosen ein. Die im Bundestag vertretenen Parteien tun das bekanntlich nicht. Sie sind für Lohnkürzungen, für Rentenkürzungen und für die Kürzung des Arbeitslosengeldes.
Sind die Rentner in unserer Gesellschaft wirklich eine sozial benachteiligte Gruppe?
Natürlich gibt es auch hohe Renten – aber viele sind alles andere als üppig. Auf jeden Fall dürfen wir nicht zulassen, dass die Renten ständig gekürzt werden.
Die SPD ist nach dieser Logik also keine Linkspartei mehr?
Das Wahlprogramm der SPD von 1998 war links. Aber das Handeln der Regierung Schröder nicht. Im Grundsatzprogramm plädiert die SPD für Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. Jetzt praktizieren SPD-Ministerpräsidenten das genaue Gegenteil: Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich. Nie wäre es der Sozialdemokratie in den Sinn gekommen, für allgemeine Lohnkürzungen einzutreten. Erst in den letzten Jahren befürworten SPD-Politiker sie.
Täuscht der Eindruck, dass Sie von der SPD noch enttäuschter sind als von den Grünen?
Der Eindruck täuscht. Die rot-grüne Koalition ist im Wesentlichen auch von mir zu verantworten gewesen. Aber Fischer hat damals dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Kosovo zugestimmt, ohne mit mir Rücksprache zu nehmen.
Ehemalige Kabinettskollegen von Ihnen verweisen derzeit darauf, dass Sie damals keine Einwände hatten.
Das geschieht aus deren eigenem schlechtem Gewissen heraus. Diese Leute biegen sich die Vergangenheit zurecht. Sie verschweigen zwei Dinge. Erstens: Ich war es, der im Koalitionsvertrag auf der Einhaltung des Völkerrechts bestand. Zweitens: Im Kabinett habe ich immer gefragt, was eigentlich auf dem Balkan geschehen soll. Die Einsätze dort hätten nach Polizeigrundsätzen erfolgen müssen. Die Grünen haben bis heute nicht begriffen, was ihre Zustimmung zu den Einsätzen in Jugoslawien – auch in Afghanistan – bedeutet hat. Das Töten tausender unschuldiger Menschen, nur um politische Ziele durchzusetzen, hätte ich nie akzeptiert, genauso wenig die Flächenbombardements und die damit verbundene Folter der Menschen, die zu Krüppeln wurden oder einen qualvollen Tod erlitten.
Der grüne Pazifismus ist also Geschichte?
Ja. Auch ihren alten Grundsatz, die Basisdemokratie, haben die Grünen verraten, indem sie keine Volksabstimmungen zu dem Thema EU-Osterweiterung oder zur Türkeifrage befürworten. Aber um auf Ihre Ausgangsfrage zurückzukommen: Am Handeln kann man erklären, ob jemand linke Politik vertritt oder nicht. Rot-Grün tut das sicher nicht.
Es gibt umgekehrt viele, die Ihnen absprechen, ein Linker zu sein. Einige Sozialdemokraten sagen sogar: Lafontaine schürt Ausländerfeindlichkeit.
Wie kommen die denn darauf?
Sie haben in Chemnitz gesagt, der Staat müsse deutsche Familienväter und Frauen vor „Fremdarbeitern“ schützen.
Aber ich möchte doch auch die Millionen ausländischer Arbeitnehmer schützen, die jahrzehntelang in Deutschland Sozialbeiträge gezahlt haben.
Selbst Ihre künftigen Parteifreunde scheinen Ihnen zu misstrauen: Die Berliner PDS fordert Sie auf, „jede Form von Wahlkampf auf dem Rücken von Migranten zu unterlassen“.
Eine linke Partei muss konsequent die Rechte der Arbeitnehmer vertreten. Wir können nicht zulassen, dass viele Menschen arbeitslos werden, weil das Problem der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte nicht geregelt ist. Diese Position werde ich knallhart vertreten. Achselzuckend zuzusehen, wie Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, ist nicht links, sondern rücksichtslos.
Ist es links, Menschen, die in EU-Länder flüchten wollen, in Lagern in Afrika unterbringen zu wollen?
Ich möchte bei dieser Frage auf die Arbeit meiner Frau verweisen, die sich in einer Stiftung gegen die Beschneidung afrikanischer Mädchen einsetzt, vor Ort und mit viel Erfolg. Wir müssen die sozialen Bedingungen in Afrika verbessern.
Die Grünen meinen, es sei nicht links, das Androhen von Folter im Polizeiverhör zu rechtfertigen, wie Sie es im Fall des Frankfurter Polizeipräsidenten Daschner über die Bild -Zeitung getan haben.
Die Grünen haben doch der Folter unschuldiger Menschen in großem Umfang zugestimmt – nämlich in Jugoslawien und Afghanistan im Rahmen der Angriffskriege. Offensichtlich verschließen sie die Augen vor den Folgen ihres Handelns. Im Fall Daschner haben sie das Problem nicht verstanden. Meine Hauptkritikerin Claudia Roth ist ja der Meinung, dass der Staat tatenlos zusehen soll, wie ein Kind gequält und gefoltert wird und in einer solchen Situation dem feststehenden Täter keine Gewalt androhen darf. Diese von der großen Mehrheit des Volks ebenfalls abgelehnte Prinzipienreiterei teile ich nicht.
Vielleicht ist die Frage, was links ist, doch nicht so einfach zu beantworten?
Die rot-grüne Regierung hat nachweislich viele der ehemaligen Positionen der sie tragenden Parteien verraten. Soziale Kürzungen und völkerrechtswidrige Angriffskriege sind nicht links.
Wenn Ihre neue Linkspartei tatsächlich in den Bundestag käme – was würden Sie dort tun?
Wie dringend wir dort benötigt werden, sieht man doch schon jetzt. Kaum waren wir am Horizont aufgetaucht, schon änderten die Hartz-IV-Parteien ihre Politik. Plötzlich befürworten sie Lohnerhöhungen. Auf einmal nehmen sie in Aussicht, das Arbeitslosengeld für ältere Arbeitslose wieder zu verlängern. Das ist ein großer Erfolg der neuen Linkspartei. Jetzt soll auch das Arbeitslosengeld II in Ost und West angeglichen werden. Ein Erfolg, den vor allem die PDS für sich in Anspruch nehmen kann. Bei Rot-Grün wird jetzt sogar über Konjunkturprogramme geredet. Das Tollste ist: Die SPD, die noch vor kurzem die Steuer für Millionäre gesenkt und zugleich Renten gekürzt hat, redet jetzt wieder von der Erhöhung des Spitzensteuersatzes.
Wenn die SPD sich besinnt, ist die Linkspartei also überflüssig?
Nein, denn die führenden Sozialdemokraten haben leider bewiesen, dass sie nach der Wahl anders handeln, als sie vorher reden. Deshalb ist die Linkspartei im Bundestag dringend notwendig.
Ihr Ko-Spitzenkandidat Gregor Gysi möchte im Bundestag Alternativen zum „neoliberalen Mainstream“ diskutieren. Sie klingen, als kennten Sie schon alle Rezepte.
Es ist bewiesen, dass man Rentner, Arbeitnehmer und Arbeitslose anders behandeln kann, als Rot-Grün es getan hat. Die skandinavischen Länder verbinden eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik mit einem dicht geknüpften sozialen Netz. Es geht also.
Wenn die Linkspartei in den Bundestag kommt, werden CDU, CSU und FDP regieren und eine noch härte Reformpolitik betreiben.
Das ist das Ergebnis der verfehlten Politik von Rot-Grün, die ihre eigenen Anhänger jahrelang enttäuscht haben und jetzt vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik stehen. Daran ist nicht die Linkspartei schuld. Im Gegenteil, nach aller Wahlarithmetik kann Schwarz-Gelb nur noch durch den Einzug einer starken Linkspartei in den Bundestag verhindert werden.
In Italien gibt es seit Jahren eine erfolgreiche Linkspartei. Seitdem regiert aber auch Silvio Berlusconi.
Noch einmal: Die Gefahr, dass Frau Merkel regiert, ist nicht von der Linkspartei heraufbeschworen worden. Rot-Grün hat systematisch darauf hingearbeitet, dass Frau Merkel bald regiert.
Wo sehen Sie die Linkspartei langfristig?
In jeder Industriegesellschaft muss es eine starke, linke Partei geben. Nachdem die SPD ihre Prinzipien verraten hat, gibt es eine besondere Situation: Wir sind in Deutschland ohne linke Volkspartei. Deshalb starten wir jetzt neu.
Mit wem kann die neue Linkspartei zusammenarbeiten?
Wir gehen nicht nach Farben und nicht nach Vergangenheit. Es hängt von den Inhalten ab. Jeder hat uns auf seiner Seite, der Hartz IV für absurd und die Agenda 2010 für nicht verantwortbar hält.
Die Zusammenarbeit mit der Person Oskar Lafontaine dürfte vielen in der SPD besonders schwer fallen.
Da in der SPD ernsthaft darüber diskutiert wird, sich in die Arme der großen Koalition zu flüchten und mit Frau Merkel zusammenzuarbeiten, brauchen sich meine ehemaligen „Freunde“ diese Sorge nicht zu machen.
Jetzt schwört Rot-Grün: Mit Lafontaine nie!
Ich bin tief beeindruckt, da ich die Beteiligten über viele Jahre kenne.
Im persönlichen Urteil nehmen Sie und Ihre Gegner sich nichts: Kaum jemand wird so oft als charakterlos hingestellt wie Sie.
Das ist ein psychologischer Vorgang. Man nennt ihn die Projektion des schwächeren Teils. Der Mensch neigt dazu, dem anderen die Fehler besonders heftig vorzuwerfen, die bei ihm selbst am stärksten ausgeprägt sind. Im Übrigen interessiert mich das Urteil der Wähler mehr als das meiner neuen politischen Gegner.
Sie sind nicht persönlich getroffen?
Meine Betroffenheit hält sich in Grenzen. Wem die Argumente ausgehen, der greift eben zur persönlichen Diffamierung.