: Verwunschene Spiele
Sympathische Tattoos, hübsch brennende Meerjungfrauen und sonstige auch irgendwie charmante Installationen: Werke von Urs Fischer aus der Friedrich Christian Flick Collection sind im Hamburger Bahnhof zu sehen
Urs Fischer ist ein dicklicher junger Mann mit sehr interessanten Tätowierungen. Verglichen mit den Beispielen, die in Tattoo-Studios Reklame für das Gewerbe machen, sind sie äußerst kunstlos und, soweit sich das beobachten lässt, recht wahllos über die Haut gestreut. Eigentlich möchte man Urs Fischer sofort das Hemd und die Hose ausziehen, um zu schauen, wie er nun wirklich aussieht mit diesen ebenso ungeschickt platzierten wie ungeschickt tätowierten Bildern. Urs Fischers Tattoos machen echt neugierig. Leider stellt Urs Fischer seine Tattoos nicht aus.
Was Urs Fischer ausstellt, sind seine Installationen. Und auf den ersten Blick möchte man sagen, die Bilder, die er mit ihnen in den Rieck-Hallen der F. C. Flick Collection entwirft, sind nur halb so interessant wie die Bilder auf seinem Körper. Aber das ist natürlich ungerecht. Immerhin hat Urs Fischer Sinn für Kalauer und zündet daher nackte Frauen an. Was selbstverständlich näher erklärt werden muss: Der Künstler weiß offenbar, wohin er mit seiner Kunst will – nämlich ins Museum. Und kein Museum ohne nackte Weiber. Also bedient er sich dieses Sujets und gießt aus Kerzenwachs putzige Meerjungfrauen, denen freilich die Flosse fehlt, womit sie als simpler sitzender oder liegender weiblicher Akt gelten können, aus dem jedoch an einigen Stellen ein Docht herausragt. Werden diese Damen ins Museum verfrachtet und angezündet, um langsam dahinzuschmelzen, wie es so der Frauen Art ist angesichts all der heroischen Männlichkeit, die sich dort künstlerisch austobt, hat das schon seinen schönen platten Witz.
Urs Fischer wird von Friedrich Christian Flick gesammelt. Man kann aber jede Wette eingehen, dass auch Harald Falckenberg in Hamburg ein Sammler von Urs Fischer ist. Was nichts weiter heißt, als dass es einen Sammlertypus gibt, der vor allem Männer mit interessanten Tätowierungen sammelt. Bei Männern mit interessanten Tätowierungen – so sie Kunst machen und nicht nur Lastwagen fahren – kann er sich sicher sein, dass es ihnen um unsentimentale, harte, muskulöse, schweigsame, testosteronsatte und vollkommen unironische Kunst geht. Und machen sie hin und wieder einen Kalauer, ist der natürlich institutionenkritisch und ein Vanitas-Symbol.
Ganz so schlimm aber steht es um Urs Fischer nicht. Der sympathische 33-jährige Künstler ist nicht nur der Mann mit den Tätowierungen. Er ist auch das dicke Kind, das eher verwunschene als wirklich verwegene Spiele spielt und sich als Stubenhocker offenbart. Seine Installationen jedenfalls bewegen sich deutlich im häuslichen Bereich. Obst und Gemüse, Kerzen und Blumen, Teegeschirr, Festnetztelefone und vor allem Marmelade sind die Dinge und Materialien, mit denen er seine dreidimensionalen Stillleben baut.
Im harten Scheinwerferlicht aus Bodennähe erkennt man im ersten Raum das „Boffer Bix Kabinett“ (1998), ein schwarz verrußtes Wohnzimmer, dessen Möbelstücke deutliche Schlagschatten werfen, die sich indes nicht so sehr dem Scheinwerferlicht verdanken als der Marmelade, mit der der Künstler sie nachge- und auch verzeichnet hat. In zwei Köpfen aus rotem getrocknetem Wachs, „am & pm“ (2001), klafft die Schädeldecke offen, wobei aus der Wunde schimmeliger Brotteig wächst.
Das ist nun sicher weder ein gedanklicher noch ein visueller Knüller, aber dafür versöhnen die „Glaskatzen – Mülleimer der Hoffnung“ (1999), eine Installation aus ungleichmäßig geschnittenem Fensterglas, das Fischer mit Silikon auf abgenutzte Holzplatten montiert hat –, eine wenigstens so staubige Angelegenheit wie Marcel Duchamps „Großes Glas“. Hübsch ist auch Fischers Obststillleben, das aus einer halben Birne und einem halben Apfel besteht, die der Künstler einfach verschraubt und an einem dünnen Nylonfaden aufgehängt hat. Wie der Backsteinbau im Außenbereich, „Baked Master’s Basket“ (1999), dessen Wände schon eingebrochen sind, kommt alles ein bisschen schundig daher.
Das hat seinen Charme, der freilich in Fischers farbsatten Zeichnungen am deutlichsten wird, etwa dem lustigen abgemagerten Skelett, das von einem buckligen Blumentopf rutscht.
BRIGITTE WERNEBURG
Bis 7. August, Rieck-Hallen, Hamburger Bahnhof, Öffnungszeiten (warum einfach, wenn es kompliziert geht): Di., Mi., Fr. 10–18, Do. 14–18, Sa. 11–20, So. 11–18 Uhr