: Der Mann von seiner Frau
AUS BERLINBARBARA BOLLWAHN
Seine Welt sind Zeolithe: käfigförmige Gitterstrukturen aus Silizium, Aluminium und Sauerstoff, die als Ionenaustauscher oder Katalysatoren verwendet werden. Joachim Sauer ist Professor für Chemie. Er berechnet Übergangsstrukturen und Geschwindigkeitskonstanten für Elementarreaktionen in Zeolithen, er publiziert, und er hält Vorlesungen über computergestützte theoretische Chemie und Quantenmechanik. Nicht im Verborgenen, aber unbemerkt von der Öffentlichkeit am Institut für Chemie der Humboldt-Universität in Berlin. Seine Frau dagegen, eine Physikerin, kann kaum einen Schritt unbemerkt tun. Joachim Sauer ist im verflixten siebten Jahr mit der mächtigsten Politikerin Deutschlands verheiratet. Doch der Chemiker ist unsichtbar wie ein Molekül.
Ein, zwei Mal im Jahr sieht man den Mann mit den akkurat stoppelig geschnittenen Haaren ganz sicher an ihrer Seite: bei den Festspielen in Bayreuth oder in Salzburg. Im vergangenen Jahr setzte er sich einige Male mehr dem Blitzlichtgewitter aus. Etwa zum 50. Geburtstag seiner Frau und zum Jahrestag des Mauerfalls, als sie dutzende politische Freunde in eine Ostberliner Kneipe eingeladen hatte. Dann lächelt er einmal kurz in die Kameras und Ruhe ist.
„Er will keine politisch motivierten Berichte“, sagt die Pressesprecherin der Humboldt-Universität. Deshalb ist es nicht möglich, eine Vorlesung von ihm zu besuchen oder ihn zu treffen. Joachim Sauer will als Wissenschaftler wahrgenommen werden, nicht als Ehemann. Ganz egal ob seine Frau Chefin einer Partei ist, Kanzlerkandidatin oder möglicherweise die erste Kanzlerin Deutschlands. Das unterscheidet ihn von Frauen, die mit hochrangigen Politikern verheiratet sind und als solche definiert werden, als wäre „die Frau von“ eine Berufsbezeichnung.
Aber Sauer kann machen, was er will – wenn er außerhalb seiner Wissenschaft in Erscheinung tritt, ist er der Mann von seiner Frau. Als er im Sommer 2001 ein Beschwerdefax an das Bezirksamt Berlin-Mitte schickte, weil er sich gestört fühlte von der Musik einer Theateraufführung in der Nähe der gemeinsamen Wohnung gegenüber dem Pergamonmuseum, schrieben die Zeitungen und Agenturen: „Angela Merkel wehrt sich gegen Theaterlärm vor der Haustür.“ Dabei ist es Sauer, dem schon Wahlkampfgetöse zu laut ist.
Will man wissen, wer der Mann an ihrer Seite ist, muss man in die Welt der theoretischen Chemie eintauchen. Sauers Lebenslauf, einzusehen auf der Homepage der Humboldt-Universität, ist für einen international renommierten Forscher dürftig. Persönliche Daten, selbst das Geburtsdatum und der Geburtsort, fehlen. Nur das Jahr wird genannt: 1949. Irgendwann ist irgendwo mal durchgesickert, dass er aus Sachsen stammt. Kurz und bündig nennt Sauer da die Stationen seines Werdegangs:
„Von 1967 bis 1972 Chemiestudium an der Humboldt-Universität, 1972 Diplom, 1974 Dr. rer. nat., 1978 bis 1985 mehrere Aufenthalte an dem weltweit führenden Institut für physikalische Chemie in Prag, 1985 Dr. sc. nat., zwischen 1988 und 1989 sechs Monate an der Universität in Karlsruhe, 1977 bis 1991 Institut für physikalische Chemie an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften, 1990, 1991 Direktor einer Technologiefirma in San Diego, USA, 1992 bis 1996 Max Planck Institut, seit 1993 Professor für physikalische und theoretische Chemie an der Humboldt-Universität.“
Spricht man mit Chemikern, die ihn kennen, entsteht der Eindruck eines hoch geschätzten und hoch qualifizierten Wissenschaftlers, der in der Quantenchemie zur Hand voll der Besten in Deutschland gehört und weltweit zu den vielleicht maximal einhundert dieses Kalibers. Es entsteht der Eindruck eines Wissenschaftlers, der im Unterschied zu seiner Frau – die beiden haben sich an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften kennen gelernt – offensichtlich viel mehr unter der Enge des DDR-Forschungsbetriebs gelitten hat.
Der 65-jährige Chemieprofessor Reinhart Ahlrichs, unter dessen Leitung sich die Universität in Karlsruhe zu einem international führenden Zentrum der Theoretischen Chemie entwickelt hat, kennt Joachim Sauer seit über 30 Jahren. Am Anfang war der für ihn ein Phantom. Er kannte nur seinen Namen. Als Absender auf Postkarten, mit denen der Wissenschaftler aus dem Osten Sonderdrucke von Arbeiten des Experten aus dem Westen bestellte. Ahlrichs, der Joachim Sauer bei einer seiner regelmäßigen Reisen an die Ostberliner Akademie der Wissenschaften kennen lernte, zögert erst am Telefon, über ihn zu sprechen. „Ob ihm das recht ist?“ Dann tut er es doch. Mit bedacht gewählten Worten, als würde Sauer neben ihm sitzen.
Seinen ersten Eindruck von Sauer beschreibt er so: „Sehr zurückhaltend, wie viele aus dem Osten, und sehr scharfsinnig. Wenn er glaubte, jemandem vertrauen zu können, war er offen.“ Ahlrichs beeindruckte „sein scharfer analytischer Verstand“ und, soweit er das beurteilen könne, „seine kompromisslose Haltung dem Regime gegenüber“: „Er war einer derjenigen in Ostdeutschland, die einen sehr viel klareren Blick als der Rest hatten.“ In der SED sei Sauer nicht gewesen, er habe unter dem System in der DDR gelitten. Eine Zeit lang habe er nicht mal an das Institut in Prag reisen dürfen. Ahlrichs erzählt von einem Gespräch, dass er mit Sauers damaligem Chef hatte. „Sie brauchen so Leute und können sie nicht halten, wenn Sie ihnen keine Freiheit geben“, hat er ihm gesagt. Der Westler glaubt, dass diese Bemerkung dazu beigetragen haben könnte, dass Sauer, wenn auch erst 1988, mehrmals nach Karlsruhe reisen durfte.
Nach einigem Nachdenken spricht Ahlrichs von „einem Problem“, das Sauer habe: „dass er seine Meinung sagt und meistens Recht hat.“ Er sei eben nicht everybodys darling. „Es gibt Leute, die haben einen ausgesprochenen Charme und die Gabe, andere für sich einzunehmen. Darauf legt er keinen Wert.“
Auf sein Privatleben umso mehr. Ahlrichs ist überzeugt, dass Sauer intelligent und selbstbewusst genug sei, um nötige Kompromisse zu machen. „Ich glaube, dass sich die beiden da einig sind.“ Die beiden, damit meint er Joachim Sauer und Angela Merkel, die Ahlrichs fast genauso lange kennt.
Als Angela Merkel 1986 zum Dr. rer. nat. promovierte, kannte sie ihren späteren Mann schon. Im Anhang zu ihrer Dissertation dankt sie „Dr. Joachim Sauer“ für die kritische Durchsicht des Manuskripts. Nachdem sie 17 Jahre zusammengelebt hatten, heirateten sie heimlich, still und leise am 30. Dezember 1998 auf einem Berliner Standesamt. Ohne Eltern, ohne Trauzeugen. „Hauptsache mein Mann und ich wissen Bescheid“, sagte sie damals und schaltete eine kleine Anzeige in der FAZ: „Wir heiraten“.
Für Joachim Sauer ist es wie für seine Frau die zweite Ehe. Angela Merkel trägt den Namen ihres ersten Mannes, des Physikers Ulrich Merkel, von dem sie sich 1982 nach sieben Jahren scheiden ließ. Den Namen ihres zweiten Mannes hat sie nicht angenommen. Das ist verständlich. Man stelle sich vor, aus Angela Merkel wäre Angela Sauer geworden.
Dass Joachim Sauer der große Unbekannte an ihrer Seite ist, liegt auch daran, dass sie sich kaum zu ihm äußert. Erst in den letzten Jahren hat sie sich zu der einen oder anderen Bemerkung durchgerungen. In einem Interview mit der Klatschzeitschrift Bunte sagte sie vor gut zwei Jahren auf die Frage, was ihr besonders an ihrem Mann gefalle, „dass er so gelassen ist, seine Ruhe und Ausgeglichenheit, und dass er dabei trotzdem ein fröhlicher Mensch ist. Er hat eine große Distanz zu vielen Dingen, wenn Sie so wollen, einen wirklichen Überblick. So, aber weitere Blicke in mein Herz gibt es nicht.“ Anfang dieses Jahres hat sich Merkel noch einmal einen Ruck gegeben und ihren Mann bei Beckmann „einen prima Kerl“ genannt. Die Gespräche mit ihm seien „fast lebenswichtig“, weil sie sonst „eindimensional“ werde. „Fast lebenswichtig“ hat sie gesagt, nicht lebenswichtig.
Hans-Werner Abraham ist der Geschäftsführende Direktor des Instituts für Chemie in Berlin-Adlershof, an dem Joachim Sauer arbeitet. Als hier nach der Wende führende Köpfe gesucht wurden, möglichst aus dem Osten, wurde man auch auf ihn aufmerksam. „Mir ist das Beste passiert, was einem Akademie-Forscher nach der Wende widerfahren konnte“, sagte Joachim Sauer vor acht Jahren anlässlich einer Ausstellung der Max-Planck-Gesellschaft. In Adlershof ist er Sprecher des Sonderforschungsbereichs „Struktur, Dynamik und Reaktivität von Übergangsmetalloxid-Aggregaten“.
„Dass er diesen Bereich leitet, spricht für die Qualität seiner Arbeit“, sagt Institutsdirektor Abraham, der Sauer seit etwa 30 Jahren kennt. Beide haben in der gleichen Gruppe an der Humboldt-Universität promoviert. Auch Abraham lobt Sauers „bemerkenswert analytischen Sachverstand“ und nennt ihn „einen hoch geschätzten und hoch qualifizierten Experten“. Seine Haltung zu DDR-Zeiten sieht er nicht ganz so idealistisch wie sein Kollege Ahlrichs aus dem Westen. „Es war eine Gratwanderung damals: Nicht zu sehr auffallen und ein bestimmtes Maß an Opportunismus, das notwendig war“.
Dass Sauer möglicherweise bald der Mann der Kanzlerin sein könnte, beunruhigt den Institutsdirektor nicht. „Es war schon vorher eine ein bisschen besondere Situation, als seine Frau Parteichefin und Oppositionschefin war“, sagt er. Aber das sei kein Problem gewesen. Aus einem einfachen Grund. „Er spricht nicht darüber und wir auch nicht.“ Daran, so glaubt er, werde sich auch in Zukunft nichts ändern. Während Joachim Sauers Frau also dem Zenit ihrer beruflichen Karriere zustrebt, widmet er sich weiter der Wissenschaft. Darauf hatten sich die beiden nach der Wende geeinigt.
Bei den Studenten genießt Sauer einen guten Ruf. Ein Vertreter der studentischen Fachschaft gibt bereitwillig Auskunft. „Er ist ein hervorragender Professor. Er macht seine Vorlesungen gut und ist relativ streng.“ Er sei einer der wenigen Professoren, die es als störend empfinden, wenn in seinen Vorlesungen gegessen oder getrunken werde. „Dann ermahnt er die Leute und zieht das konsequent durch.“ Dass er der Mann von Angela Merkel ist, interessiere am Institut keinen. „Er ist professionell genug, dass sich daran nichts ändert.“
Wenn Joachim Sauers Frau heute die vorläufige Krönung ihrer politischen Laufbahn erlebt, wird er nicht an ihrer Seite sein. Er ist auf Dienstreise.