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Archiv-Artikel

Kein Hartz IV-Geld für‘n Schnaps

Arbeitslosen mit psychischen und Suchtproblemen drohen Sanktionen: Hartz-Gesetz verlangt von Hilfsdiensten Offenlegung sensibelster Daten, um „Leistungsmissbrauch“ zu stoppen. Wer Hilfe verweigert oder Geld versäuft, dem droht Stützekürzung

Von Eva Weikert

Christian Schultz ist in großer Sorge: „Hartz IV könnte unsere Arbeit zunichte machen“, befürchtet der Psychologe von der „Solidarischen Psychosozialen Hilfe“ (SPSH). Der Verein im Schanzenviertel berät Arbeitslose in psychischen Krisen – vertraulich und ohne Einmischung der Arbeitsagentur. Das aber soll sich jetzt ändern: Das neue Hartz-Gesetz verlangt von psychosozialen Diensten und Suchtberatungsstellen die Weitergabe von Diagnosen und anderer sensibler Daten an die Arbeitsvermittler – um „Leistungsmissbrauch“ zu verhindern, heißt es im Sozialgesetzbuch (SGB) II. Arbeitslosengeld II-Bezieher, die eine Beratung abbrechen oder von der Stütze Suchtmittel kaufen, droht Leistungskürzung. „Beratungserfolg durch Sanktionen erzwingen zu wollen“, kitisiert Schultz, „ist widersinnig.“

Die Hamburger Fachanwältin Heide Flügge hat das Hartz-Gesetz durchgearbeitet und in einer gemeinsamen Presseerklärung mit dem Hamburger Landesverband der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) und dem Arbeitslosen-Hilfeforum Deutschland auf die Durchleuchtung der Bedürftigen hingewiesen. Auch die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege ist alarmiert. Geschäftsführer Michael Edele will mit den Verbänden besprechen, ob sie auf den Beirat der für Hartz IV zuständigen Arbeitsgemeinschaft (Arge) zugehen.

Flügge hält vor allem zwei Hartz-Paragrafen für „äußerst problematisch“: Nach Nummer 31 sei ein „Kürzungstatbestand“ erfüllt, wenn ein Klient die Beratung abbricht. Das trifft auch für „unwirtschaftliches Verhalten“ zu, erklärt Flügge, als das der Kauf von Suchtmitteln im Sinne des Gesetzes anzusehen sei. Wer also Geld vertrinkt oder es nicht zur Beratung schafft, dem wird die ohnehin klägliche Regelleistung von 345 Euro reduziert – um ein Drittel, so steht es im Gesetz.

„Das sind relativ drakonische Folgen“, warnt Dieter Adamski, Geschäftsführer der Drogenhilfeeinrichtung Therapiehilfe e. V. und Vorsitzender der Hamburger Landesstelle für Suchtgefahren. Hartz stelle hohe Anforderungen an Suchtkranke. „Ein Teil unserer Klienten ist nicht in der Lage, diese Mitwirkungspflicht zu erfüllen“, gibt er zu bedenken, „Versagen gehört zur Sucht.“

Nach Paragraf 61 sind die Helfer verpflichtet, der Arge „unverzüglich Auskünfte über Tatsachen zu erteilen, die Aufschluss darüber geben, ob Leistungen zu Recht erbracht werden“. Folgt dem ein Träger nicht, droht ihm eine Geldbuße von bis zu 2.000 Euro. Es kommt noch dicker: Die Hilfsdienste müssen auch „ihre Beurteilung“ des Betreuten „übermitteln“, so das SGB II. „Die Arbeitsvermittler sind nicht geeignet“, rügt Flügge, „die Relevanz psychischer Diagnosen und ihre Bedeutung für die Vermittelbarkeit in Arbeit zu bewerten.“

SPSH-Psychologe Schultze hält die Vorschrift für „eine Katastrophe“. Psychologische Hilfe sei auf Vertraulichkeit angewiesen: „Wenn der Betroffene weiß, dass Bericht erstattet wird, bleibt vieles ungesagt, was im psychologischen Prozess entscheidend ist.“ Für die SPSH kündigt er an, Daten nur offen zu legen, wenn Klienten zustimmen. Adamski hat da weniger Kummer: Welche Details wirklich weiterzugeben sind, müsse die Praxis zeigen.

Anwältin Flügge bezweifelt, ob Hartz IV überhaupt mit dem Datenschutz vereinbar ist. Doch darauf gibt es bisher keine erschöpfende Antwort, weil die Experten noch am lesen sind. „Derzeit kann ich nur sagen, dass wir das Thema auf der Agenda haben“, reagiert denn auch der Hamburger Datenschützer Detlef Malessa. Im Juni sei ein erstes Treffen mit dem Arge-Beirat anberaumt, um die datenrechtlichen Fragen zu erörtern.