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Archiv-Artikel

Alles oder nichts

Der Ermattungsstrategie überdrüssig, sucht der Kanzler die Entscheidungsschlacht. Alle historische Erfahrung zeigt: Das sichert ihm zwar den historischen Nachruhm, in der Gegenwart wird es den Machtverlust aber nur beschleunigen. Die Dramatisierung der Politik schafft sich ihre Enttäuschungen selbst

VON RALPH BOLLMANN

Wahlkämpfe sind jene sublimierte Form des Krieges, die sich Demokratien um ihres lieben Frieden willens von Zeit zu Zeit leisten müssen. Mit anderen Worten, sie sind die Fortsetzung des politischen Verkehrs unter Einmischung anderer Mittel. Zwar kommt es – hoffentlich – nicht zur Anwendung körperlicher Gewalt, doch die Mechanismen ähneln sich: die klare Scheidung von Freund und Feind, die Konzentration der Mittel auf ein einziges Ziel, das Verhältnis von taktischen Kniffen zur strategischen Absicht.

Gerhard Schröder hat sich jetzt zum Präventivkrieg entschlossen. Statt sich in der politischen Auseinandersetzung bis zum regulären Wahltermin auf eine Ermattungsstrategie einzulassen, sucht er die Entscheidungsschlacht – und glaubt, er könne dadurch Stärke demonstrieren.

Kein Kanzler hat in der Geschichte der Bundesrepublik so sehr auf die Niederwerfungsstrategie gesetzt wie Schröder, keiner hat so oft die Entscheidungsschlacht gesucht wie er, keiner hat das politische Leben der Demokratie derart dramatisiert. Wenn von Schröders ablaufender Kanzlerschaft ein Bild in Erinnerung bleibt, dann ist es der Regierungschef vor der grauen Wand im Presseraum des pompösen Kanzleramts, wie er in dramatischen Stunden wagemutige Entscheidungen verkündet.

Im Rückblick erscheint Schröders Regierungszeit als eine einzige Abfolge von Dramen – vom plötzlichen Verschwinden Oskar Lafontaines über die deutsche Beteiligung am Kosovokrieg bis zum Neuwahlentschluss des vergangenen Sonntags. Selbst Petitessen wie der Rücktritt des damaligen Kulturstaatsministers Michael Naumann vor viereinhalb Jahren erschienen durch diese Dramaturgie geradezu als Existenzfrage.

In den Geschichtsbüchern gelten Politiker, die gern und oft das Auskunftsmittel der Entscheidungsschlacht suchen, seit je als Helden. Vom Griechen Alexander und dem Karthager Hannibal bis hin zum Preußenkönig Friedrich und dem Franzosen Napoleon – sie alle galten schon deshalb als Große, weil sie sich heldenmutig in die Schlacht stürzten.

Auch Schröder kann jetzt nur noch auf seinen Ruhm vor der Geschichte hoffen. Denn realpolitisch sind die genannten „Großen“ allesamt fulminant gescheitert. Alexander starb im Alter von knapp 33 Jahren auf einem seiner Feldzüge, Hannibal zog trotz seines Siegs bei Cannae gegen Rom den kürzeren, und auch Napoleons Herrschaft erwies sich nur als kurzes Zwischenspiel.

Anders verhielt es sich nur mit Friedrich dem Großen. In jugendlichem Überschwang hatte er zwar gegen jedes Völkerrecht seine Kriege gegen Österreich entfesselt und dabei wiederholt aus freien Stücken die Entscheidungsschlacht gesucht. Sein politisches Überleben verdankte er jedoch der Fähigkeit zum Taktieren und Abwarten. Im Alter erkannte er dann, „dass die meisten Generale, welche sich leicht auf eine Schlacht einlassen, nur deshalb zu diesem Auskunftsmittel greifen, weil sie sich nicht anders zu helfen wissen“.

Lange schien es, als vertraue auch Gerhard Schröder auf das „Mirakel des Hauses Brandenburg“, auf die Hoffnung, dass sich das Glück durch eisernes Durchhalten wieder wenden möge. Sechzehn Monate wären bis zum regulären Wahltermin noch Zeit gewesen, sechzehn Monate, in denen sich die Welt noch einmal drehen konnte wie zu Friedrichs Zeiten durch den Tod der russischen Zarin, deren Nachfolger dann plötzlich mit den Preußen Frieden schloss.

Das „alles oder nichts“, das Schröder mit seiner Dramatisierung des politischen Geschehens beschwört, existiert nur in der Sphäre der politischen Abstraktion, nicht aber in der wirklichen Welt mit ihren unendlichen Abstufungen und vielfältigen Überraschungen. Deshalb produziert der scheidende Kanzler mit seiner immer neuen Inszenierungen nur immer neue Enttäuschungen.

Schon der Militärtheoretiker Carl von Clausewitz unterschied deshalb den „wirklichen Krieg“, der auf die Ermattung des Gegners hinauslief, scharf vom „absoluten Krieg“, dessen schnelle Entscheidungen nur in der Theorie existieren. Wenn überhaupt, dann dürfe ein Feldherr die Entscheidung nur aus einer Position besonderer Stärke heraus suchen – einer Stärke, die auch über den Sieg hinausreicht und nicht neue Feinde erweckt. Wer diese Instanzen nicht bedenke, riskiere „vor der letzten den Prozess zu verlieren, den man vor der früheren gewonnen hat, und dann in die Kosten verurteilt zu werden“.