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Archiv-Artikel

„Das ist auch Verlagsmarketing“

Schon über zwanzig Jahre ist bekannt, dass Albert Speer ein führender NS-Täter war: Ein Gespräch mit dem Historiker Norbert Frei über Heinrich Breloers Speer-Dreiteiler und dessen große Resonanz in den Medien, über das Ignorieren von Forschungsständen und das Verleugnen und Annehmen von Schuld

INTERVIEW PHILIPP GESSLER

taz: Herr Frei, heute läuft der letzte Teil der Fernseh-Dokumentation von Heinrich Breloer zu Hitlers Architekt und Rüstungsminister Albert Speer. Manche Feuilletons vermitteln das Gefühl, wer nicht überaus fasziniert davon sei, dem fehle es an historischem Wissen oder Sensibilität – sind Sie fasziniert?

Norbert Frei: Ich bin vor allem fasziniert von der Diskussion, die da geführt wird. Sie zeigt den großen Unterschied zwischen dem, was die Geschichtswissenschaft hervorbringt, und dem, was ins allgemeine Bewusstsein dringt. Denn die wichtigsten Zusammenhänge, die belegen, dass Speer ein führender Täter im NS-Regime war, sind, anders als es jetzt teilweise dargestellt wird, seit mehr als 20 Jahren bekannt. Schon 1982 hat das Buch von Matthias Schmidt mit dem „Mythos Speer“ ziemlich aufgeräumt, und die Fachwissenschaft hat daran ohnehin nie geglaubt. Die eigentlich spannende Frage ist deshalb, warum die großen Medien erst jetzt – oder gerade jetzt – das Thema Speer in dieser Weise aufgreifen.

Speer inszenierte sich in der Nachkriegszeit als guter Gentleman-Nazi, ein verführter, eigentlich unschuldiger Intellektueller und Technokrat – war er deshalb den Nachkriegsdeutschen als Projektion so lieb, weil sie sich selber gern so sehen wollten?

Nach seiner Freilassung aus Spandau stellte sich Speer gewissermaßen an die Spitze der noch immer fortwirkenden Selbstdeutung der frühen Nachkriegsgesellschaft von angeblich Verführten und am Ende zu Opfern Gewordenen. Er repräsentierte diese gesellschaftliche Stimmung. Aber die Anlage dieses raffinierten Täuschungsbildes – das wird auch im Breloer-Opus deutlich – beginnt schon in der letzten Kriegsphase.

Als er den so genannten Nero-Befehl Hitlers verweigerte, den Feinden in Deutschland nur verbrannte Erde zu hinterlassen?

Das ist das eine. Aber hier ist hinzuzufügen, dass der „Nero-Befehl“ auch unterhalb von Speer und unabhängig von ihm auf Ablehnung stieß. Das andere ist die Stilisierung seines angeblich geplanten Attentats-Versuchs auf Hitler. Speer beginnt seinen Ausstieg aus dem NS-Reich und aus seiner Verantwortung schon deutlich vor Kriegsende. Er kommt in Nürnberg damit durch – und hat Glück, weil damals die Dokumentenlage schlechter war als heute. Und in seiner Spandauer Haftzeit konstruiert er an diesem Mythos munter weiter. Bei seiner Freilassung hat er dann die richtigen Formulierungshelfer für diese Interpretation gefunden. Das hat auch mit Verlagsmarketing zu tun, für die vor allem zwei Namen stehen: Wolf Jobst Siedler und Joachim Fest.

Breloer und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ inszenieren als große Überraschung, dass Speer auch von Auschwitz wusste und Juden-Deportationen mit anregte – findet da gerade ein Vätersturz à la 68 von rechts statt?

Das weiß ich nicht. Aber ich finde es schon erstaunlich, wie sehr dieses mediale Zusammenwirken jetzt die beiden Inszenatoren von Speer aus den späten Sechziger- und Siebzigerjahren unerklärt lässt. Das gilt auch für die ja erst 1999 erschienene Speer-Biografie von Joachim Fest: Zu diesem Zeitpunkt war nun wirklich längst ein Mehr an kritischer Auseinandersetzung mit Speer möglich, als Fest es geleistet hat. Das war ein souveränes Ignorieren des Forschungsstandes.

Fest redet sich ja mit der schlichten Aussage heraus, Speer habe ihn an der Nase herumgeführt – das war’s.

So einfach sollte sich ein Historiker die Sache nicht machen.

Welche Spätfolgen hat das übliche Verschweigen oder Verleugnen der Schuld durch diese Vätergeneration noch heute?

Es könnte dahin wirken, dass sich die Kinder der Täter ein zweites Mal darin bestätigt sehen, wie schwer es war, mit ihren Eltern wahrhaftig über diese Zeit und ihre Mitwirkung zu sprechen. Diese Erfahrung machte die Generation der Kriegskinder in den Fünfziger- und Sechzigerjahren ja wirklich. Und es gibt wohl auch einen Zusammenhang mit der gegenwärtigen „Deutsche als Opfer“-Debatte.

Ist es bei uns heute wie bei den Speers: Die Kinder fühlen sich schuldig, ohne es zu sein – die Väter fühlen sich unschuldig, ohne es zu sein?

Das ist eine interessante These, für die einiges spricht: Ein Teil dieser Generation hat jedenfalls augenscheinlich ein Gefühl von Schuld von ihren Eltern ererbt. Das wirkt bösartigerweise weiter, denn einen realen Grund dafür gibt es ja nicht. Nun kommt die Generation der Kriegskinder in die Bilanzierungsphase ihres Lebens, in der das Bedürfnis nach harmonischeren Sichtweisen zunimmt. Vielleicht kommt daher auch das Bedürfnis so vieler „Täter-Kinder“, in ihren Eltern am Ende auch Opfer sehen zu können.