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Archiv-Artikel

Kriegsende mit begrenzter Freiheit

Von JAF

Forschungen zufolge kamen zehntausend Homosexuelle in Konzentrationslagern ums Leben, zumeist, wie der Vater Dieter Zimmers, durch Sklavenarbeit, die Folgen von Kastrationen oder andere medizinische Eingriffe. Der Terror freilich war umfassend, die Androhung von Verfolgung in allen Facetten im Alltag der „Wohlfühldiktatur“ (Götz Aly) präsent.

Homosexualität war durch den Paragrafen 175 pönalisiert; Mitte der Dreißigerjahre entgrenzte das NS-Regime diese Strafbestimmung – jetzt galt auch auffällig homosexuelles Begehren als Inhaftierungsgrund. Alle Organisationen der Nazis, in Sonderheit die SS, waren homophob. Warme Brüder? „Bevölkerungspolitische Blindgänger“ (SS-Chef Heinrich Himmler).

Schwule hatten im linken Widerstand so wenig Freunde wie im liberalen Bürgertum, mit Ausnahme von Kurt Tucholsky oder Klaus Mann: Maxim Gorkis Diktum, wer sich Schwuler erwehre, schlage auch den Faschismus, galt bis in linke Milieus hinein.

Homosexuelle mussten in den KZs einen rosa Winkel tragen – farblich ein Ausweis der Unmännlichkeit. Die Politischen verachteten gewöhnlich die schwulen Opfer des NS-Terrors – eine Mentalität, die bis weit in die Achtzigerjahre in der Politik der bundesdeutschen NS-Gedenkstätten (jener der DDR ohnehin) kräftig war: Kränze für Rosa-Winkel-Opfer waren unerwünscht: Das Gedenken an sie entehre die anderen, jüdischen oder politischen NS-Opfer.

Der Bundesrepublik galt – höchstrichterlich abgesegnet – die Verfolgung Homosexueller zwischen 1933 und 1945 nicht als spezifisch nationalsozialistisch. Homosexuelle Überlebende der KZs mussten bis Ende der Neunziger um wenigstens geringe Entschädigungszahlungen kämpfen.

Teilweise wurden Homosexuelle zwischen 1945 und 1969 von den gleichen Polizeispezialisten verfolgt wie unter den Nazis – die persönlichen Kontinuitäten sind gespenstisch. Auch die medizinischen Kader, die ohne ethische Bedenken Homosexuelle kastrierten, hielten sich in der BRD wie in der DDR standesrechtlich gesichert in ihren Laufbahnen, medizinethisch übrigens ausnahmslos vom Segen ihres Tuns überzeugt.

Forschungen zur Geschichte (nicht nur) des (NS-)Terrors gegen Homosexuelle steckt quasi noch in den Anfängen – mit ihr lassen sich jenseits der Queer Nation keine Karrieren machen. Jan-Henrik Peters, ein in Berlin lebender Historiker, hat aktuell eine penibel-großartige Recherche publiziert: „Verfolgt und vergessen. Homosexuelle in Mecklenburg und Vorpommern im Dritten Reich“, Ingo Koch Verlag, Rostock 2005 (www.ingokochverlag.de) – biografisch höchst konkret und vorstellbar, im Ton kühl, in der Haltung ergreifend.

Ebenso verdienstvoll ist eine dänische Arbeit, die in der Edition Regenbogen der Homosexuellen Initiative Wien ins Deutsche verlegt wurde, umfassend gefördert durch den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus: „Carl Vaernet. Der dänische SS-Arzt im KZ Buchenwald“, herausgegeben von Hans Davidsen-Nielsen, Niels Hölby, Niels-Berger Danielsen und Jakob Rubin (weitere Infos über www.hosiwien.at). Die Lektüre kommt einem Splatterabenteuer gleich: Man lernt die Welt von ärztlichen Herrenmenschen als Körperingenieuren unverstellt kennen. JAF