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Archiv-Artikel

Auschwitz ist ein Witz

Darf über den Holocaust gelacht werden? Junge israelische Comedians entdecken die Komik des Genozids: „Nicht unsere Witze sind geschmacklos, euer Faschismus war es“

aus Tel Aviv ROBIN ALEXANDER

Eine ältere Frau bestellt in einem teuren Jerusalemer Restaurant eine Flasche Wein. „Ich empfehle unseren 94er Cabernet“, sagt der Kellner. „Nein. 1994 ist mein Mann gestorben.“ – „Wie wäre es mit einem 87er?“ – „Ungern: Da habe ich erfahren, dass mein Sohn schwul ist.“ – „Wissen Sie was“, sagt der Kellner genervt: „Nehmen Sie doch einfach ein Mineralwasser!“ – „Gute Idee“, antwortet die Frau, „but without gas – wegen meiner deutschen Oma.“

Der ist noch harmlos. Aber doch ein sicherer Lacher. Meint Gil Kopatch, der weiß, wovon er spricht. Der 35-Jährige mit rasiertem Schädel und Ziegenbart, der an diesem Frühlingsnachmittag im Café mit der tätowierten Kellnerin flirtet, ist jahrelang als Stand-up-Comedian durch die Bars von Tel Aviv gezogen. Heute moderiert er die härteste TV-Comedy-Show im Nahen Osten. „Wir machen jede Woche Holocaust-Witze, daran kommt man nicht vorbei“, sagt er trocken, „zumindest nicht in Israel.“

Dieser Zusatz ist entscheidend. Das wird beim Betrachten der wöchentlichen Sendung „Pini Agadol“ (wörtlich: „Der große Penis“) rasch klar. Hier singt Adolf Hitler („Böser Diktator, guter Freund unserer Show“) mit Anne Frank ein Duett zum alten Sonny-und-Cher-Hit: „I Got You, Babe“, hier gibt es eine Gastrokritik des jüdischen Restaurants Chez Mengele („Sehr teuer, typisch Juden“). Mit so einem Programm würde man in den USA auf dem Index landen und in Deutschland im Gefängnis. In Israel, dem Land der Opfer, wird man damit Kult.

„Der israelische Humor ist ein ganz besonderer“, erklärt Kopatch. Nicht mehr der berühmte jüdische Witz, der von Kurt Tucholsky bis Woody Allen die besten Satiriker vieler Länder auszeichnete. „Der jüdische Witz war die Waffe der Schwachen: Er war vorsichtig, subtil, andeutend, aber präzise“, sagt Kopatch. Der typische Witz einer Minderheit, die sich besser nicht unbeliebt macht.

Die israelische Mentalität sei eine ganz andere: Der eigene Staat, dessen Wehrhaftigkeit die vielen Uniformen im Stadtbild nie vergessen lassen, habe ein anderes Selbstbewusstsein und damit auch einen anderen Humor hervorgebracht: Überhaupt nicht ängstlich, sondern geradeaus, laut und sogar aggressiv: „Wer uns nervt“, meint Kopatch, „den stellen wir nicht mehr mit feinen Wortspielen bloß. Den treten wir feste in den Arsch.“

In Kopatchs Show ist immer was los: Er selbst präsentiert als rechtsradikale Handpuppe mit riesigem Kopf ein chaotisches Ensemble von korrupten Politikern, irren Arabern und hüftschwingenden Blondinen. Wenn diese Combo einen guten Tag hat, liebt sie ganz Israel: wie unlängst, als Horst Köhler Israel besuchte. Da antwortete der große Penis: „Danke, Herr Bundespräsident, dass Sie einen Besuch in der Gedenkstätte Jad Vaschem gemacht haben. Für einen authentischen Eindruck vom Holocaust fehlen Ihnen jetzt noch 5.999.999 weitere Besuche.“ Doch meist ist das Opfer kein Deutscher. Nicht einmal im Witz.

Ein KZ-Überlebender kauft sich ein Handy. Der Verkäufer sagt: „Sie können die Nummer selbst wählen, damit Sie sich leichter an sie erinnern.“ – „Gut“, sagt der Mann und krempelt einen Ärmel hoch: „Ich nehme diese. Die vergesse ich nie.“

Ist das lustig? Und wer ist es, der darüber lacht? Der Fernsehjournalist Sagi Bin Nun, 30, der beim selben Sender arbeitet, auf dem „Der große Penis“ läuft, hat einen Test gemacht. Er nahm Kameramann und Tontechniker und fuhr ins Café Europa. Dort weiß man, was ein guter Witz ist. Einmal im Monat gibt es dort Stand-Up-Comedy. In Jiddisch, der untergegangenen Sprache des europäischen Judentums. Im Café Europa weiß man auch, was der Holocaust ist. Es gehört zu einem Altersheim in Tel Aviv und ist ein bekannter Treffpunkt für Überlebende der Konzentrationslager.

Der junge Journalist stellte sich kurz vor und erzählte einen Holocaust-Witz. Und dann noch einen. Dann hat er in die entsetzten Gesichter derer geblickt, die selbst in Auschwitz oder Treblinka waren, sich entschuldigt und ist schnell gegangen.

Kopatch nimmt den Vorwurf, seine Witze seien geschmacklos, nicht an. Schon gar nicht von einem deutschen Journalisten: „Nicht unsere Witze sind geschmacklos, euer Faschismus war es.“ Ein Witz sei mehr als seine Pointe. Dazu gehöre der Kontext. Und der Sprecher. Und das Publikum: „Ich will nicht, dass Deutsche über den Holocaust lachen. Ich will, dass Juden über den Holocaust lachen.“

Es gibt allerdings viele in Israel, die seine Witze gar nicht lustig finden. „Der Terror der Satire“ titelte eine konservative Zeitung über ihn. Dieser Vorwurf wiegt schwer in einem Land, in dem vollbesetzte Busse das Ziel von Selbstmordattentätern sind. Ephraim Kishon, der Vater der israelischen Satire, distanzierte sich in einem Interview von Kopatch: „Ich mag ihn nicht.“ Die religiösen Parteien, denen er mit Witzen über die Thora auf die Nerven fiel, drängten ihn mit parlamentarischen Mitteln aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Mit zweifelhaftem Erfolg: Jetzt sendet er im Kabel und ist bekannt wie nie zuvor. „Das ist der Unterschied zu unseren arabischen Nachbarländern“, stellt Kopatch fest: „Dort hätte mich längst jemand umgebracht.“

Einmal ist er zu weit gegangen. Er schrieb neue, verletzende Untertitel für einen Ausschnitt aus Claude Lanzmanns Film „Shoah“. Der französische Regisseur hat den Fernsehsender dafür erfolgreich auf umgerechnet 100.000 Euro verklagt. Eine weitere Klage eines Holocaust-Überlebenden wird noch verhandelt. Kopatch selbst plädiert auf schuldig: „Diesen Beitrag hätte ich niemals senden dürfen. Ich bin darauf nicht stolz.“

Die orientalischen Juden feiern am Minuna-Fest, wie gut sie kochen, wie schön sie tanzen und wie gerne sie lachen. Wann zeigen die europäischen Juden, was sie am besten können? Am Holocaust-Tag.

Holocaust-Comedy gibt es in Israel auch jenseits des politisch unkorrekten Party-Kalauers und des grellen TV-Trash. Im Tmuna, dem tief im Rotlichtviertel Tel Avivs versteckten führenden Off-Theater des Landes, wird der Genozid auf die Bühne gebracht. Am offiziellen „Holocaust-Tag“, an dem die Israelis nicht nur trauern, sondern auch auf Staat, Fahne und Armee eingeschworen werden, versucht man hier ein alternatives Gedenken zu entwickeln. Ein Theaterstück wird gegeben, das der Autor und Regisseur Eyal Weiser, 30, gemeinsam mit drei ebenso jungen Schauspielern geschrieben hat. In ruhigen, anspruchsvollen Nummern wird die israelische Psyche seziert. Ayelet Robinson, eine 29-Jährige mit langen braunen Haaren, spielt eine Trainerin, die das Seminar „Entdecke den Araber in dir“ anbietet. Das Publikum schüttelt sich vor Lachen. Später wird Robinson eine Nachrichtensprecherin spielen, die in Israel arbeitet, weil sie von schlechten Nachrichten sexuell erregt wird. Auch eine ganz sichere Nummer.

Doch dazwischen hält Nadav Boshem, 32, seinen Holocaust-Monolog: Der schmächtige junge Mann beschreibt den Genozid als letzte Sinnreserve eines Landes, das die Ideale des Kibbuz und die Traditionen des Judentums verloren hat. Er endet mit dem Ruf: „Wir brauchen einen neuen Holocaust!“ Keiner lacht, doch nach dem Stück gibt es lange Applaus.

„Wir haben viel über diesen Monolog nachgedacht und diskutiert“, erzählt der Schauspieler, „aber ohne ihn geht es nicht. Wer über Israel sprechen will, muss etwas zum Holocaust sagen.“ Der Regisseur pflichtet ihm bei: Er hat Boshems Holocaust-Monolog genau in der Mitte des Stückes platziert: als Dreh- und Angelpunkt der israelischen Identität, aus der sich das Verhältnis zu sich selbst und den feindlichen Nachbarn erklärt.

Auch die jungen Theaterleute im Tmuma wollen provozieren – aber nicht Gelächter, sondern Nachdenken über die Erinnerung an den Holocaust im Land der Opfer. Boshem würde seinen Monolog auch in den besetzen Palästinensergebieten spielen und hat ihn schon vor deutschem Publikum gehalten. Seiner Kollegin Robinson dagegen „fällt der Gedanke schwer, irgendetwas in Deutschland oder vor Deutschen zu spielen“.

Warum war Gott nicht in Auschwitz? Er kam nicht durch die Selektion.

Gil Kopatch, dem „großen Penis“, wird in den konservativen Zeitungen regelmäßig Respektlosigkeit vor den Leiden der Opfer vorgeworfen. Er hat es aufgegeben, darauf hinzuweisen, dass es in Theresienstadt Kabarett gab und im Ghetto von Vilnius Comics.

Auch er hat die Reise gemacht, auf die viele junge Israelis seit dem Fall des Eisernen Vorhangs gehen: nach Osteuropa, zu den Orten der Familiengeschichte und der Verbrechen. „Ich stand auf einem Massengrab irgendwo zwischen der Ukraine und Weißrussland“, erinnert sich Kopatch, „und wusste: Hier liegen meine Leute. Alle meine Leute.“

Kopatch ist auch ins Land der Täter gereist: Ein Freund hat ihn dabei gefilmt, wie er über das Gelände des Führerbunkers in Berlin läuft und lacht und schreit: „Hitler, du Schwein, fuck you, du bist tot, du bist tot. Aber ich lebe noch!“

Ist Humor ein angemessener Umgang mit dem Holocaust? Kopatch findet schon die Frage absurd: „Ich weiß nicht, wie ein Mensch damit normal oder gesund umgeht. Meine Reaktion auf den Holocaust ist Lachen. Es ist meine hysterische Reaktion.“