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Archiv-Artikel

Viva Giga

„Die ARD kürzt Polit-Magazine, wir verlängern sie“: Zu Gast bei „Giga real“, der überraschend erfolgreichen und überraschend unpeinlichen Sendung für die politisch interessierte Jugend

VON PATRICK BAUER

Christoph Rieth fingert an einem Memorystick herum, er sagt: „Vielleicht nimmt man uns jetzt ein bisschen ernster!“ Als er 2001 beim Jugendsender Giga anfing, war an eine Politikredaktion nicht zu denken. Giga war 1998 von NBC Europe in Düsseldorf gestartet worden, um Internet und Fernsehen miteinander zu verbinden. Die Zuschauer, „die Community“, wie Moderator Rieth sagt, konnten per Mail oder Chat mit den zappeligen Moderatoren, „den Netzreportern“, so Rieth, kommunizieren. Und die zockten während der Sendezeit die neusten Ballerspiele. Es war Nerd-Fernsehen: belächelt und ein wenig behämmert. Dann kam der 11. September. Plötzlich ging es in den Foren der Giga-Website auch um politische Themen statt nur um die besten Grafikkarten.

Im März 2004 startet Giga dann sein Politmagazin „Giga real“, in dem das harte Real Life nett aufbereitet wird. Seit drei Wochen sendet Rieth mit seiner Kollegin Alexandra Tapprogge vom Pariser Platz. Fünfmal in der Woche wird ein Studiogast eine Stunde lang zu politischen Themen ausgefragt. In einem Studio im Herzen Berlins, um das die Öffentlich-Rechtlichen Giga beneiden müssten. Rieth sagt: „Die ARD kürzt politische Magazine, wir verlängern sie.“

Rieth läuft durch kahle Konferenzräume. Draußen leuchtet das Brandenburger Tor, drinnen sitzen ein paar Redakteure vor unaufgeräumten Schreibtischen, essen eine Bockwurst oder tippen hektisch auf ihre Laptops ein. Es ist viel Platz. Rieth setzt sich an einen monströsen Holztisch: „Unser Mutterkonzern NBC hat Geld …“ NBC Europe zeigt mittlerweile neun Stunden Giga am Tag. „Ich glaube, NBC ist immer wieder überrascht, wie gut unsere Sendung funktioniert, und lässt uns einfach machen.“ Der gelernte Bankkaufmann ist das Giga-Gesicht. Immer lächelnd, immer fränkelnd. An christoph@giga.de kommt die meiste Fanpost. Der 29-Jährige sieht aus, wie man sich den Giga-Zuschauer vorstellt: Ziemlich pummelig, die Augen vom Monitorflimmern gerötet, den Kragen seines Polohemds stets hochgestellt.

Rezzo Schlauch war begeistert, nachdem er zwischen Rieth und den Flachbildschirmen saß. Walter Riester wollte gar nicht mehr gehen. „Die finden toll, dass es so locker läuft“, sagt Rieht. Letztens war ZDF-Hauptstadtjournalist Peter Frey da. Erst schaute er, als würde er mit einer Wasserpistolen-Attacke rechnen. Am Ende zeigte er sich beeindruckt. Weil das Thema des Tages auf der Internetseite heftig diskutiert wird. Weil eine wie Edelgard Buhlman hier einen direkten Draht zu einer Zielgruppe bekommt, welche die Politik längst als verdrossen abgeschrieben hatte, welche um acht Uhr abends eher Musik runterlädt, als Nachrichten zu gucken. In Berlin spricht sich herum: Es lohnt sich, diese jungen Leute zu besuchen.

„Wenn wir die Haushaltsdebatte machen“, sagt Rieth, „ist die Zuschauerresonanz natürlich geringer.“ Die erfolgreichste Sendung drehte sich um Altersbegrenzungen bei Computerspielen. Heute steht der Tschetschenienkonflikt auf der Tagesordnung. Zu Gast ist der Russland-Experte Alexander Rahr. „Es stimmt nicht, dass die Jugendlichen keinen Bock auf Politik haben“, sagt Co-Moderator Dirk Finger. Er springt für die grippekranke Alexandra Tapprogge ein, wirkt mit seinem Cordjackett und der ernsten Miene fast zu seriös. Finger war früher Korrespondent von CNN-Deutschland, aber „das hier macht wesentlich mehr Spaß“.

Wer nach dem niedlichen Giga-Programm am Nachmittag dranbleibt, der ist meist männlich, um die 20, lebt in der Provinz und hat zu viel Zeit zum Fernsehgucken. „Leute, die überlegen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen“, nennt sie Finger. Vor allem aber sind es Klugscheißer. Jeder Versprecher, jede Ungenauigkeit endet in einer Protestmail. „Wenn die Öffentlich-Rechtlichen was Junges machen, dann tun das irgendwelche 68er von oben herab. Und das Musikfernsehen ist Leerlauf“, sagt Finger. Als er zum ersten Mal moderierte, sprach er wie in der Sesamstraße. „Es ist die schwere Kunst, das Wissen zu haben, aber es trotzdem locker und transparent aufzuarbeiten, ohne den Idioten zu mimen.“

Als „Zecke“ später in der Sendung per SMS nach den „Schwarzen Witwen“-Kommandos der Tschetschenen fragt und „Pinki“ mailt: „Die Russische Föderation macht nur Stress“, da sagt Gast Alexander Rahr in einer Werbepause fast ungläubig: „Die Leute sind nicht dumm.“ 69 Prozent der Giga-User werden später für einen Blauhelm-Einsatz in Tschetschenien sein, 83 Prozent gar für einen Rückzug Russlands. Roger Horné orakelt danach noch aus Washington über den Libyen-Syrien-Konflikt. Der graubärtige Horné wurde mit Schalten für n-tv zum kultigen Knuddelbär unter den Korrespondenten. „Den Roger kann ich Tag und Nacht um Rat fragen“, sagt Christoph Rieth. Für die Giga-Crew ist er jeden Tag der kompetente Running Gag. Ein kleiner Spaß, den man sich leistet: vom Kapitol zum Brandenburger Tor.

Alexander Rahr ist noch ganz beeindruckt, als er das Studio verlässt: „So locker und so fundiert. Ob es da zu Hause nicht bald den Kampf gibt: ‚Tagesschau‘ oder ‚Giga‘?“ Dirk Finger trägt seinen Laptop aus dem Studio: „Ohne uns würden die Kids nur chatten oder daddeln – obwohl sie eine Meinung zum Tagesgeschehen haben.“