: Der Planet Wagner
Unwirklich, sinnlos, aber berauschend schön: Bernd Eichinger bebildert an der Berliner Staatsoper den „Parsifal“ mit Hollywood. Er sucht keinen tieferen Sinn im Gefasel der Gralsritter, sondern die richtigen Einstellungen. Und Daniel Barenboim schwelgt ohne Hemmungen in den Reizen der Partitur
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Der Planet Erde steigt auf, mitten auf der Bühne, kreist erhaben um sich selbst im Sonnenglanz – ganz so wie Wagners Musik, die eine schiere Ewigkeit auch nur um sich selber kreist und sich von allen Seiten bescheinen lassen möchte. Feierliche Leitmotive kehren wieder, Harmonien verschränken sich in der immer selben, wiedererkennbaren Weise. Volle sechs Stunden lang darf sich die Musik unter Daniel Barenboims Händen ihrem eigenen Wohlklang hingeben, völlig unbehelligt von allen Zweifeln an ihrer Gültigkeit.
Denn Barenboim liebt diese Musik, man weiß es ohnehin. Er hat sich auch dann zu ihr bekannt, als es ihm sehr übel genommen wurde, in Israel, wo man Wagner nicht besonders liebt. Man hört sie aber auch, diese Liebe. Man wird satt, aber nicht überfüttert, wunderbar leicht und beschwingt selbst im größten Lärm des Blechs fließt der Klang dahin, grandios und banal zugleich – eben ganz so wie dieser Blaue Planet, der nun allmählich verblasst, damit die Geschichte beginnen kann. Eigentlich haben Planeten ja keine Geschichte, die erzählbar ist. Sie entstehen und vergehen jenseits menschlicher Dimensionen.
Natürlich hat Bernd Eichinger diesen Anfang seiner Inszenierung des „Parsifal“ in der Berliner Staatsoper bei Stanley Kubrick ausgeliehen, eigene Experimente sind noch nie Sache des Filmproduzenten gewesen. Aber dem Komponisten des „Parsifal“ hätte es sicher gefallen. Auch bei ihm war die Zeit der ästhetischen und politischen Revolutionen vorbei: Milde gestimmt träumt sich ein alter Mann in seine eigenen, privaten Mythen hinein, in eine Welt der Restauration, in der die Guten den Bösen am Ende verzeihen und erlöst werden in der Einheit mit der Natur. Davon, von der ideologischen Natur der Auen und Weiden, wusste dieser Mann nun wahrlich lebenslang ein Lied zu singen, vom Anfang des „Rheingolds“ über das „Siegfried“-Idyll bis zu diesem letzten Werk, in dem der kranke Amfortas einen Morgen am Waldsee beschreibt. Wenn es überhaupt möglich ist, dann übertrifft sich Barenboim an dieser Stelle selbst. Er umhüllt die Stimme von Hanno Müller-Brachmann mit einem so betörenden Waldesraunen, dass man geneigt ist, allein dafür alle denkbaren Einwände zu vergessen. Denn Einwände liegen auf der Hand: Darf man diesen Wagner derart kritiklos wörtlich nehmen?
Vielleicht muss man gerade das, um seine Ideologie loszuwerden. Wer ist Amfortas? Seine Rolle war kurzfristig umbesetzt worden. Der dafür ungewohnt hellen Stimme des Ersatzsängers hat das Premierenpublikum dankbar applaudiert. Denn die Wunde des Amfortas, die sich nicht schließen kann, bis ihm Parsifal, der reine Tor, den Speer zurückbringt, den er in Klingsors Zaubergarten bei der Kundry verlor, ist nicht die Wunde eines Alten. Amfortas ist jung, der Sohn des alten Titurel, und so passt es gut, dass auch seine Stimme noch nicht die volle Grabestiefe des Basses erreicht.
Versündigt also hat sich dieser kranke, aber junge Mann. Doch sein Erlöser ist nah, ein zweiter Christus, der aber zunächst einmal einen Schwan erschießt, in aller Unschuld und aus reiner Torheit: Wie soll man einen solchen ausgemachten Stuss denn nun auf die Bühne bringen? Kein Regisseur hat es je geschafft, vergessen zu lassen, dass Wagners letztes Werk keine Oper, sondern tatsächlich ein „Bühnenweihfestspiel“ ist, wie es im Untertitel heißt. Es ist das Fantasymärchen eines Popstars von damals. Schulkinder von heute verbringen ganze Tage mit Computerspielen, die genau dasselbe leisten. Nur ist dort die Musik viel schlechter – vielleicht erklärt das den nachhaltigen Erfolg des „Parsifal“ von Richard Wagner.
Barenboim hat keine Hemmungen, jeden noch so trivialen Reiz dieser Partitur auszukosten, und Bernd Eichinger hat zumindest den Kern der Sache ebenso gut verstanden. Er sucht keinen tieferen Sinn in dem Gefasel der Gralsritter, er sucht Einstellungen für die richtigen Bilder zu dieser Endlosmusik. Und er findet sie dort, wo er herkommt. In Hollywood, im großen Kino aus den großen Studios. Das ist sehr gut, enttäuscht jedoch systematisch alle Erwartungen der Wagner-Gemeinde, und zwar sowohl der Anhänger wie der Feinde. Kein Skandal, nirgends, keine Nazis und keine Schwulen, nicht mal ein bisschen kritische Dekonstruktion, stattdessen eine Irrfahrt durch alle möglichen Kulissen von Filmen, die man zu kennen glaubt. Fast alles passt. Die Bühne wird zum Studio, Projektionen aus der Werkstatt zweier Videotechniker liefern perfekt montierte Stimmungen und Hintergründe nach Belieben.
Keine Kulissenschieberei behindert die Sänger, alles ist Licht. Nur wenig steht auf der Bühne, die mächtigen Baumstämme des Waldes um die Gralsburg zum Beispiel. Auch sie sind zunächst nur Projektionsflächen, auf denen sich das Bild des Blauen Planeten bricht. Winzig kleine Recken mit langen Haaren sind die Spielfiguren, dazu Schildknappen mit Kopfhauben, die aus einer „Star Trek“-Folge entlaufen sind. Sandalenkrieger der „Ben Hur“-Klasse feiern später das Abendmahl des Grals, der ein Hackblock aus der Schlachterei eines Hannibal Lektor sein könnte.
Der zweite Akt ist sehr dunkel im spanisch-maurischen Stil gehalten, es könnte aber auch eine 3-D-Illusion von Cyborgs sein. Die Blumenmädchen jedenfalls zeigen blinkende Eisenbrüste. Parsifal tappt wie ein Ego-Shooter darin herum und lässt sich natürlich von der arg puppenhaft geratenen Kundry nicht verführen. Nur gelegentlich klingt der sonst sehr sichere Tenor von Burkhard Fritz etwas hysterisch. Eher schon kommt Michaela Schuster in dieser einzigen, wenigstens ein bisschen dramatischen Szene in Schwierigkeiten. Ihre Stimme schwankt manchmal, als werde aus dem Spiel nun doch Ernst: psychologischer Ernst, der in dieser Welt nichts zu suchen hat.
Aber dann treffen sich alle wieder im winterlich verschneiten Central Park von New York – nicht weit vom Ground Zero entfernt, aber eben doch nicht genau dort. Eigentlich müsste jetzt Dustin Hoffman vorbeijoggen, so perfekt hat Eichinger die Szene aus dem Studio in die Staatsoper übertragen. Aber es ist Gurnemanz, der auf der Bank liegt. Ein Penner, der bessere Tage gesehen hat, noch immer die langen Haare der Sandalenritter trägt, die jetzt aber eine Ledergang sind und dem armen Amfortas arg zusetzen, damit er noch mal den Gral zeigt …
Wer ist Gurnemanz? In der Berliner Staatsoper ist das Ren Pape, der neben Barenboims Orchester der zweite Grund dafür ist, dass es auch nach sechs Stunden immer noch so weitergehen könnte. Gurnemanz muss bei Wagner all das erzählen, was sich niemals in dieser Unoper ereignen kann: wie das war, damals mit Titurel, dem Gral, der Schale, dem Blut Christi, dem Klingsor. Und auch wie das ist mit der Natur, den Bäumen und dem echten Schwan, den man nicht einfach so erschießen soll. All diesen groben Unfug singt Pape geduldig, mit wundervoller Stimme, bescheiden nachzeichnend, was Wagner da in die Partitur schrieb – und es ist ihm nicht immer besonders viel eingefallen. Und Neues schon gar nicht. So privat der Mythos der Gralsritter, so konservativ der musikalische Dialekt, in dem er besungen wird. Aber all das stört Ren Pape nicht im Geringsten. Er singt es so, als sei es nichts als reine, große Kunst.
Die Altrocker jedenfalls schlafen sanft und zufrieden ein mit ihrem neuen Herrn, dem Parsifal, für den Eichinger am Ende noch einmal den Blauen Planeten Erde in den Nachthimmel aufsteigen lässt. Unwirklich, sinnlos, aber berauschend schön wie ein Akkord von Richard Wagner.