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Archiv-Artikel

Hören Sie Orange!

Ein neues Label will mehr Musik aus Osteuropa in den Westen schleusen. Den Anfang macht eine Compilation mit Revolutionspop aus der Ukraine

VON DANIEL BAX

Die ukrainische Botschaft in Berlin war mit blaugelben Flaggen geschmückt, und im Foyer gab es eine Fotoausstellung mit Bildern der „orangenen Revolution“, auf denen auffällig oft die Pop-Sängerin Ruslana zu sehen war. Beinahe mit einem Staatsakt lud die Plattenfirma „Eastblok“ kürzlich zu einer Pressekonferenz, um ihre CD-Compilation mit Pop aus der Ukraine vorzustellen: dem „Soundtrack der orangenen Revolution“, wie die Macher werbewirksam vermerken.

„Hören Sie Orange!“, wie ein Berliner Radiosender einst für sein Programm warb, könnte auch der Slogan für diesen Sampler lauten, dessen Booklet ganz in der Farbe der Opposition in Kiew leuchtet. Die CD kommt vielleicht etwas spät, um noch von der medialen Sogkraft des gewaltfreien Umsturzes in der Ukraine zu profitieren. Andererseits passt sie zur gegenwärtigen Visa-Debatte und dem Staatsbesuch Juschtschenkos in dieser Woche wie die Klitschko-Faust aufs Auge.

Zu der Pressekonferenz geladen war auch der prominenteste Popstar des Ukraine: die Sängerin Ruslana, die im letzten Jahr beim Grand Prix siegte und bei den Demonstrationen im Dezember als Bannerträgerin der Demokratiebewegung auftrat. Ihren Gewinn beim Eurovisions-Wettbewerb habe sie schon damals als Omen für die Wende in ihrem Land angesehen, antwortet Ruslana brav auf Journalistenfragen. Damals hätte der Westen zum ersten Mal gemerkt, dass die Ukraine mehr zu bieten hätte als das Erbe der alten Sowjetunion, das durch die Proteste weggefegt worden wäre.

Zu Beginn der Proteste trat Ruslana öffentlich in Hungerstreik, später gab sie Konzerte auf dem Unabhängigkeitsplatz. Natürlich ist sie jetzt prominent auf dem „Ukraina“-Sampler vertreten, der auch die übrige Pop-Szene ihres Landes vorstellt. Neben kommerziellen Rock-Acts wie Okean Elsi oder der Crossover-Band TNMK ist dabei vor allem der Underground hörenswert: der bläsergestützte Ska-Punk der Gruppe WW, der melodiöse Folk-Rock der Mad Heads oder der Akkordeon-Reggae „Kalina“ von Mandri.

Aber gibt es wirklich einen eigenen, ukrainischen Pop-Sound, will der Journalist von Ruslana wissen. „Klar gibt es den!“, kommt ihr der Übersetzer zuvor, und Ruslana führt ihren Eurovisions-Hit „Wild Dance“ mit seinen folkoristischen Trommelrhythmen, westlichen Dance-Beats und monumentalen Bergtrompeten als Musterbeispiel für die ukrainische Mischung an. Ob in Ungarn oder Moldawien, in ganz Osteuropa wurde Ruslana nach ihrem Grand Prix-Erfolg gefeiert. Nun will sie ihren Radius auch auf den Westen ausweiten. Demnächst erscheint ihr erstes Album in Deutschland, am Samstag gibt sie in Berlin ihr erstes Konzert.

Mit dem „Ukraina“-Sampler präsentiert sich auch das Plattenlabel „Eastblok“ der Öffentlichkeit. Dahinter stehen der Musikmanager Alex Kasparov und sein Kompagnon Armin Siebert: Beide leiteten bis vor kurzem die Osteuropa-Dependance des Branchenriesen EMI, bevor sie sich unabhängig machten. In einem unscheinbaren Ladenraum in Kreuzberg haben sie sich jetzt ihr Büro eingerichtet. Zu lange waren sie damit beschäftigt, westliche Popstars wie Robbie Williams in den Osten zu importieren, der umgekehrte Weg war in der Konzern-Logik kaum vorgesehen. Nun wollen die beiden russische Punk-Bands wie Markscheider Kunst, Leningrad oder die Ethno-Elektroniker vom Amina Sound System aus Ungarn einem größeren Publikum im Westen bekannt machen.

Einerseits profitieren sie davon, dass Wladimir Kaminer und Yury Gurzhy ihnen mit ihren „Russendisco“-Compilations schon das Feld bereitet haben. „Sie haben eine Tür geöffnet“, lobt Kasparov die Kollegen, denen er mit den Lizenzen behilflich war. Andererseits wollen sie mit ihrem Label den Blickwinkel erweitern und Bands aus ganz Osteuropa vorstellen. Als Nächstes ist eine „Balkan Beats“-Compilation geplant, die mit den Machern der gleichnamigen Partyreihe in Berlin entsteht, daneben stehen sie in Verhandlungen mit dem Management der russischen Punkband Leningrad. „Es gibt noch viel zu entdecken“, zeigt sich Armin Siebert überzeugt.

Fragt sich nur, warum Osteuropas blühende Musiklandschaften erst jetzt allmählich auch im Westen Gehör finden? „Es gibt in diesem Bereich einfach zu wenig Profis, bei denen sich die Musikbegeisterung mit Know-how im westlichen Musikgeschäft paart“, sagt Kasparov und beschreibt damit genau seine Qualifikation. „Es gibt viele russische Bands, die im Westen auf Tournee gehen und sogar im Madison Square Garden in New York auftreten“, weiß Kasparov. „Aber zu diesen Konzerten kommen bislang nur Russen.“ Bislang.

„Ukraina Orange“ (Eastblok Music). Am Samstag gibt die Sängerin Ruslana ihr erstes Deutschland-Konzert in Berlin (23 h, Big Eden).