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Archiv-Artikel

Der Journalist aus den Townships

Das Filmfestival von Ouagadougou gilt als Schaufenster des afrikanischen Kinos – und als Bollwerk der Frankophonie. Doch in diesem Jahr gewann erstmals ein Film aus Südafrika: Eine Konzession an die aufstrebende Filmindustrie am Kap

Nigerias boomende Videoszene fand auf dem Festival noch keinen Widerhall

VON HAKEEM JIMO

Das Südafrika der Fünfzigerjahre ist nicht der schönste Ort, um als Schwarzer auf die Welt zu kommen. Aber Sophiatown, ein Viertel in Johannesburg, transzendiert alle Farbgrenzen. Hier verkauft ein Inder seinen Krimskrams neben einer schwarzen Hausfrau, und abends kommen ein paar weiße Nachtschwärmer vorbei. Mittendrin sitzt die Redaktion der Zeitschrift Drum, die zu ihrer Zeit so etwas wie der Stern in seinen besten Jahren war. Unter Leitung des schwarzen Journalisten Henry Nxumalo entwickelte sich das Magazin von einem Lifestyle-Blatt zu einem Heft, das brisante Gesellschaftsthemen aufgriff – auch wenn die Besitzer Weiße waren.

„Drum“, der Film des südafrikanischen Regisseurs Zola Maseko, zeigt den legendären Journalisten Nxumalo bei seiner investigativen Arbeit im Gefängnis von Johannesburg oder auf einer Farm eines Buren, der seine schwarzen Landarbeiter wie Leibeigene behandelt. Endgültig verscherzt es sich der Drum-Journalist mit dem Apartheid-Regime, als er im Stadtviertel Sophiatwon recherchiert, dessen Lebenswelt dem weißen Regime ein Dorn im Auge war. Allein schon seiner Ausstattung wegen ist der Film sehenswert. Man sieht die versteckten Hinterhöfe Shebeens, in denen die schwarze Bevölkerung die Realität der Apartheid wegzutrinken versucht. Man sieht viele altmodische Hemdkragen, Stoffhosen und Abendkleider, aber auch die windschiefen Verschläge, in denen die Mehrheit des Landes zusammengepfercht lebt: eben das Südafrika der Fünfzigerjahre.

Das Kino in Ouagadougou, in dem der Film „Drum“ läuft, scheint aus der gleichen Zeit zu stammen wie die Handlung, die auf der Leinwand spielt. Wahrscheinlich wurde es erst in den Siebzigerjahren erbaut, doch es besitzt einen ähnlichen Charme und ein ähnliches Aussehen wie die Schauplätze des Filmes: Massive, dunkle Holzstühle, mit Stoffpolstern überzogen, füllen den Saal. Überall herrscht schummriges Licht, nur vorne im Foyer erkennt man in der Ecke eine dunkle Bar: Es sieht genau so aus wie in Sophiatown und den anderen nichtweißen Vierteln Südafrikas, deren Infrastruktur vom Apartheid-Regime bewusst vernachlässigt wurde. Ein wenig erinnert das „Burkina“-Kino aber auch auch an die alten Kinos in Deutschlands, die heute längst von perfekt ausgeleuchteten Multiplex-Sälen verdrängt worden sind.

Das „Burkina“-Kino wurde nach dem Namen seines Landes getauft – Burkina Faso, das übersetzt so viel heißt wie „die ehrlichen Menschen“. Man ist ehrlich in dem westafrikanischen Land, weil man nicht mehr hat, als man hat. Trotzdem schafft es Burkina Faso, ehemals Obervolta, alle zwei Jahre ein beeindruckendes internationales Filmfestival auf die Beine zu stellen. Seit den Sechzigerjahren werden hier die besten Filme aus Afrika und der afrikanischen Diaspora in die Hauptstadt Ouagadougou eingeladen. An diesem Wochenende ging gerade die 19. Ausgabe von Fespaco, dem Festival für panafrikanischen Film und Fernsehen, zu Ende.

Neben dem „Burkina“-Kino gibt es nur noch das „Neerwaya“ – das sind die beiden einzigen Säle der Fespaco-Veranstalter, die klimatisiert sind. Daneben helfen noch das französische Kulturzentrum und eine Bank mit klimatisierten Projektionsräumen aus: Das ist nicht unwichtig in der Sahel-Stadt, in der das Thermometer tagsüber auf über 40 Grad Celsius steigt und es auch nachts meist bei weit über 30 Grad bleibt. Das macht das Filmeschauen in den anderen Lichtspielhäusern zu einem geradezu körperlichen Erlebnis: zum Beispiel im Kino Oubri, wo man auf einem Schweißfilm auf den kargen Holzbänken herumrutscht. Oder man setzt sich gleich unter freiem Himmel auf die Betonklötze im Fußballstadion, wo auch die Masse billig an dem internationalen Festival teilnehmen kann.

Der Film über den südafrikanischen Drum-Journalisten Henry Nxumalo gewann in diesem Jahr den wichtigsten Preis des Fespaco-Filmfestivals: den goldenen Hengst „Yennenga“, der mit 10 Millionen Westafrikanische Franc, rund 15.000 Euro, dotiert ist. Diese Entscheidung der Jury wurde von vielen Bobachtern als Zäsur in der Fespaco-Geschichte empfunden. Zum einen ästhetisch: Der Preisträgerfilm von 2003, „Hermakano – Warten auf das Glück“ von dem mauretanischen Regisseur Abderrahmane Sissako, wartete noch mit kunstvoll inszenierten Bildern, meditativ wirkenden Plansequenzen und widersprüchlichen Beziehungsmustern auf – mit einer komplett anderen Filmsprache also als der diesjährige Siegerfilm. Denn „Drum“ orientierte sich eindeutig stärker an der US-amerikanischen Filmsprache; nur das Thema war durch und durch afrikanisch gewählt.

Der andere Unterschied hat mit der gesprochenen Sprache zu tun, denn der südafrikanische Film war erst der zweite englischsprachige Film überhaupt, der in über 30 Jahren den Hauptpreis gewinnen konnte. Frankreich ist ein Hauptsponsor von Fespaco, und in früheren Jahren war ein Anteil von über drei Vierteln französischsprachiger Filme oder Koproduktionen nichts Ungewöhnliches. Am Rand des Festivals fand in diesem Jahr sogar ein Treffen beim französischen Botschafter statt, um die traditionelle Dominanz der frankophonen Länder zu diskutieren. Dabei konnten dieses Jahr allein die Südafrikaner vier Filme im Hauptwettbewerb platzieren: eine Zahl, die sonst nur vom Gastgeberland erreicht wurde. Und nun hat ein englischsprachiger Film sogar den Hauptpreis gewonnen.

Viele Stimmen in Ouagadougou sprachen deshalb bereits von einer „politischen“ Entscheidung. Denn Südafrika gilt als aufstrebende Filmnation auf dem afrikanischen Kontinent, und diese Entwicklung nicht zu berücksichtigen könnte das Filmfestival in Burkina Faso langsam ins Abseits drängen. Schon die rasante Entwicklung der Film- und Videokultur in Nigeria, auch Nollywood genannt, fand beim Fespaco-Festival keinen Widerhall. Selbstkritische Filmemacher aus Nigeria sagen aber auch, dass ihre Fernsehfilme weniger für schöngeistige Festivals, sondern für den Massenkonsum gemacht sind.

Ein anderer Grund für den Sinneswandel der Fespaco-Jury könnte sich durch eine Aussage des Festival-Chefs, Baba Hama, erklären: Der hatte öffentlich bedauert, dass der Vorjahres-Gewinner „Heremakono“ es nicht geschafft habe, „den Elfenbeinturm zu verlassen“ und ein Massenpublikum zu finden. Bei dem diesjährigen Gewinner „Drum“ könnte das anders sein. Der Film besitzt eine klare, verständliche Dramaturgie, und als Hauptdarsteller hat Regisseur Zola Maseko den afroamerikanischen Schönling Taye Diggs gewinnen können. Man kann dahinter das Kalkül vermuten, gezielt ein internationales Publikum anzusprechen, denn Taye Diggs ist bereits international bekannt, er hat in den USA sogar eine eigene Fernsehshow. Von seinem schauspielerischen Talent fällt er allerdings weit hinter seine afrikanischen Kollegen zurück. Erst in der zweiten Hälfte des Films verflüchtigt sich das Gefühl, dass Taye Diggs ständig für einen Modelkatalog posiere: Immer strahlen seine weißen Zähne, immer zeigt sich sein Gesicht von der schöneren Seite.

Die Temperaturen der Sahel-Stadt machen den Kinobesuch zum körperlichen Erlebnis

Aber solche kleinen Ärgernisse verdrängen das wichtige Thema und den wahren Hintergrund der Geschichte nicht. Der Film kann und will ein großes Publikum ansprechen, weit über die üblichen afrikanischen und afrophilen Kreise hinaus. Dass afrikanische Filme selten ein Publikum außerhalb ihres Kontinents finden, liegt aber nicht nur an Qualität und Machart der Produktionen. Es geht auch darauf zurück, dass sie kein internationales Forum haben. Auch die Berlinale ist deshalb schon in die Kritik geraten. So prangerte die simbabwische Filmemacherin und Schriftstellerin Tsitsi Dangarembga vor Jahren schon die Ignoranz des deutschen Festivals gegenüber dem afrikanischen Kino an. Mit der Gruppe „Camera Africa“ lancierte Dangarembga damals eine Kampagne und nannte die Berlinale ein „Drei-Kontinente-Festival“.

Dangarembga lebte und studierte einige Jahre in Deutschland. Jetzt wohnt sie wieder in Simbabwe und ist mit einem Deutschen verheiratet, beim Fespaco-Festival zeigte sie ihren neuen Kurzfilm „Kare Kare Zvako – Mother’s Day“. „Wir waren damals wohl ein wenig radikal“, sagt die Filmemacherin und Schriftstellerin heute rückblickend. Ganz unberechtigt war ihre Kritik an der Ausrichtung der Berlinale gleichwohl nicht, das gab selbst Berlinale-Chef Dieter Kosslick kürzlich in einem Interview mit der taz zu. Nun aber sei die Berlinale aber mittendrin im afrikanischen Filmgeschehen, befand Kosslick und meinte damit vor allem die Zusammenarbeit seines Festivals mit dem deutsch-südafrikanischen Koproduktionsabkommen.

Auf ungeteilte Freude stößt aber auch diese Entwicklung nicht überall in Afrika – vor allem nicht außerhalb Südafrikas. „Afrika ist mehr als Südafrika“, kritisiert Tsitsi Dangarembga. „Natürlich ist Südafrika ein Schwergewicht südlich der Sahara. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass der Blickwinkel der Berlinale weiter eingeschränkt bleibt.“ Zudem sind viele der so genannten afrikanischen Filme, die auf der Berlinale liefen, nur von ihrem Thema her afrikanisch: Die Produzenten und Regisseure kommen meist von woanders her“, so Tsitsi Dangarembga.

Die vier südafrikanischen Filme, die beim Fespaco-Wettbewerb liefen, gaben jedenfalls schon einmal einen Blick frei auf die Zukunft des afrikanischen Kinos. Und sie verbreiteten jedenfalls mehr Aufbruchsstimmung als die Filmreihe, mit der die deutsche auswärtige Kulturpolitik zu beeindrucken versuchte. Der deutsche Fespaco-Fokus auf Margarethe von Trotta, der vier ihrer Filme zeigte, wirkte an das übrige Festivalprogramm lediglich angehängt.