: All die schönen Beistellpferde
„Dandy“ verzweifelt gesucht! Warum im Münsterland die Gäule durch den juristischen Fleischwolf gehen. Eine Geschichte über Armut in Deutschland, immaterielle Werte und belgische Wurstküchen
VON MARTIN TEIGELER
Im Münsterland hängt das Hufeisen schief. Dort, wo dekorierte Dressurreiter und wilde Ponys ihre Heimat haben, ist die heile Klepperwelt kaputt. 21 Pferde sind spurlos verschwunden. Sie heißen „Diabolo“, „Hugo Boss“ oder „Dandy“. Wo sind sie geblieben? In unbekannten Ställen? Gar beim Pferdemetzger? „Das ist eine unangenehme Sache“, sagt Thomas Hartwig von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung. Bei dem Pferdesportbund mit Hauptsitz in Warendorf will man sich nicht zu Details der Affäre äußern, aber man sorgt sich. Auch Mitglieder der Vereinigung vermissten Pferde, so Hartwig. Es sei „nicht schön“, wenn man fürchten müsse, dass die Tiere vielleicht „in belgischen Wurstküchen“ geendet sind.
Amtsgericht Coesfeld. Hier läuft vor dem Provinzgericht in der westfälischen Kleinstadt ein bizarrer Zivilprozess um die verschwundenen Pferde. Der 28-jährigen Beklagten, einer alleinerziehenden Sozialhilfeempfängerin, wird vorgeworfen, ihr zur Pflege anvertraute Tiere, so genannte Beistellpferde, an Händler weiterverkauft zu haben. Die Besitzer fordern Schadenersatz oder die Herausgabe der größtenteils betagten Pferde, die bei der jungen Frau ihr Gnadenbrot fressen sollten. Ein Vergleich zwischen beiden Seiten scheiterte Anfang des Monats vor Gericht. Betrugs- und Unterschlagungsklagen könnten folgen. Betroffenen Pferdebesitzer aus mehreren nordrhein-westfälischen Städten haben sich angeblich zusammengetan.
Der Verlust der Pferde zehrt an den Nerven. Einer der Kläger legt den Telefonhörer auf, als die taz ein paar Fragen zu seinem verschwundenen Wallach stellen will. „Es geht nicht so sehr um materielle, als mehr um immaterielle Werte“, sagt Thomas Hartwig von der Reiterlichen Vereinigung. Die Pferdebesitzer wollten ihren alten Tieren (Geldwert: meist nur noch zwischen 500 und 1.000 Euro) wohl einen „gewissen Lebensabend“ verschaffen, sagt er. Der soziale Kontakt zu Artgenossen sei für die alten Pferde wichtig. Darum gebe man sie als Beistellpferd in Pflege.
Bruno Frydrychowicz aus Billerbeck hat seine eigene Sicht der Story. Frydrychowicz ist der Rechtsanwalt der Beklagten. Seine junge Mandantin sei Opfer einer „irrsinnigen Hetzkampagne“. Das in Medienberichten gezeichnete Bild der skrupellosen Pferdeverkäuferin sei falsch. „Es geht hier in Wirklichkeit um Armut in Deutschland“, sagt Frydrychowicz. Die zweifache Mutter habe private Probleme gehabt. „Ihr Lebenspartner hat sie wegen eines Go-Go-Girls verlassen.“ Die gelernte Tierarzthelferin besaß ein Pferd und wollte ein zusätzliches Tier zur Pflege annehmen. „Nicht um groß Geld zu verdienen, das lohnt sich doch gar nicht“, sagt Frydrychowicz. Seine Mandantin habe Annoncen in Pferde-Fachzeitschriften aufgegeben, und sei von der Resonanz total überwältigt worden. „Leute haben ihre alten Pferde einfach bei ihr abgeladen. Da ist nur Schrott angekommen“, sagt der Jurist. Als die Arbeitslose immer mehr alte und kranke Pferde angenommen habe, musste sie irgendwann reagieren. „Sie hat die Tiere an einen Händler weitergegeben“, sagt Frydrychowicz. Was mit den Pferden passiert sei, wisse man nicht. War die Frau einfach nur naiv? Geld habe sie jedenfalls nicht verdient, ihr eigenes Pferd musste sie zwischenzeitlich aus finanzieller Not verkaufen. „Die Klage sollte abgewiesen werden“, sagt Frydrychowicz. Im April wird in Coesfeld ein Urteil erwartet.
In den Internetforen der zahlreichen Reitsport-Webseiten gehen wegen der Pferde-Affäre unterdessen schon mal die Gäule durch, Fotos der fehlenden Pferde kursieren. Unter der Überschrift „Gnadenhof-Pferde zum Schlachter gegeben“ schreibt ein User: „Mannmannmann... in unserem Kreis Coesfeld is ja mächtig was los...erst die Vergewaltigungen in der Kaserne, dann haben wir eine enorm hohe Drogenrate für eine Kleinstadt, dann werden 2 Pferde illegal verkauft und jetzt werden von einem Gnadenhof die Pferde zum Schlachter gegeben!“ Der besorgte Landbewohner beendet seinen Diskussionsbeitrag mit den Worten: „Ich glaub das nicht mehr.. man, was ist denn los hier... im Münsterland. mad. confused!“