: Frauenrechte in der Defensive
Zehn Jahre nach der 4. Weltfrauenkonferenz ist die Bilanz höchst widersprüchlich: Fortschritte wurden erreicht, aber die Ungleichheiten bestehen weiter. Folgen hat auch der konservative Rollback in den USA. UN-Kommission tagt zwei Wochen
VON CHRISTA WICHTERICH
Von Nepal bis Chile, von Simbabwe bis Kroatien ist Vergewaltigung in der Ehe neuerdings strafbar. Neun afrikanische Länder haben Gesetze gegen die Genitalverstümmelung von Mädchen verabschiedet. Jordanien erlaubt die Strafverfolgung von Mördern „aus Ehre“. All diese Gesetze wären ohne die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking undenkbar.
Jedenfalls behaupten das die Regierungen, die seit gestern in New York bei den Vereinten Nationen „Best Practices“ von Gleichstellungspolitik vorweisen. Zwei Wochen lang wird geprüft, inwieweit die Regierungen die Beschlüsse der 4. Weltfrauenkonferenz von 1995 umgesetzt haben. Damals einigten sich in Peking 189 Regierungen auf eine Aktionsplattform zur Gleichstellung der Geschlechter. Dieses 165-seitige Konvolut ist ein umfassender, aber völkerrechtlich nicht verbindlicher Maßnahmenkatalog. Er zeigt, wie Frauenrechte in zwölf politischen Handlungsfeldern umzusetzen sind, von der Armutsbekämpfung über Gewalt gegen Frauen bis zum Umweltschutz.
Die Bilanz nach zehn Jahren ist höchst widersprüchlich. Die europäischen Gleichstellungsministerinnen brachten sie auf die lapidare Formel: Fortschritte wurden erreicht, aber Ungleichheiten bestehen weiter. Gleichstellungserfolge sind vor allem im Bildungsbereich und auf der gesetzlichen Ebene zu verzeichnen. Mehr Erwerbsarbeit leisten Frauen, aber meist in prekären, schlecht bezahlten und unsicheren Jobs. Mehr Frauen sitzen in Parlamenten, aber nicht in politischen Machtpositionen. Frauenarmut und Gewalt gegen Frauen konnten nicht reduziert werden.
Diese Bilanz ist nicht umstritten in New York. Streit gibt es über eine einseitige Erklärung, die verabschiedet werden und die Beschlüsse von Peking bekräftigen soll. Denn nach der Wiederwahl der Bush-Regierung haben die USA ihre neokonservativen Attacken auf Frauenrechte verstärkt und sich an die Spitze einer „unheiligen Allianz“ aus fundamentalistischen Kräften gesetzt, Schulter an Schulter mit dem Vatikan, Malta, dem Su- dan und islamistischen Staaten. Wie schon bei früheren Verhandlungen geht es um die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen, um die Ablehnung von Abtreibung und Homosexualität und die Aufwertung der konventionellen Kleinfamilie. In informellen Vorverhandlungen haben die USA damit gedroht, dass sie die Aktionsplattform von Peking nicht mehr in vollem Umfang mittragen wollen oder aber auf der zusätzlichen Formulierung bestehen, dass es kein „Recht auf Abtreibung“ gibt.
Der Rollback ist auch der Hauptgrund, dass der Ruf nach einer 5.Weltfrauenkonferenz nahezu verstummt ist. Eine weitere UN-Konferenz würde mehr Rück- als Fortschritte bringen, weil die neokonservativen und fundamentalistischen Kräfte versuchen, die in Peking formulierten Frauenrechte auszuhöhlen und zurückzustutzen. Außerdem sind die Regierungen nach dem Konferenzmarathon der Neunzigerjahre verhandlungsmüde, und groß inszenierte UN-Konferenzen haben viel an Glaubwürdigkeit verloren.
So findet denn die Peking+10-Bilanz unter schlechteren Vorzeichen als die Peking+5-Auswertung im Jahr 2000 statt. Die Vereinten Nationen hängen die Bilanz in ihrer Hierarchie niedrig und werten das Frauenrechtsthema damit ab. 2000 beriefen sie eine UN-Sondergeneralversammlung ein, jetzt findet die Überprüfung lediglich im Rahmen der regulären Sitzung der Frauenrechtskommission statt. Das Schlüsselwort für die Peking+5-Konferenz war „Umsetzung“ der Beschlüsse von Peking. Die Peking+10-Sitzung ist dagegen völlig in der Defensive: „Bekräftigung“ der in Peking festgeschriebenen Frauenrechte ist die Devise. Trotzdem müssen die Regierungen mit Nachdruck an ihre Verpflichtungen von Peking erinnert werden, damit die lahmenden Gleichstellungspolitiken neuen Schwung bekommen. Außerdem erfordern neue Problemlagen wie zunehmende Migration von Frauen, mehr Frauenhandel und Militarisierung neue Strategien.