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Archiv-Artikel

„Däne ist, wer will“

Der Staatsrechtler und Ex-CDU-Fraktionsgeschäftsführer Erich Röper erklärt, warum die Dänenpartei SSW Privilegien genießt – und weshalb das bei der türkischen Minderheit in der BRD nicht der Fall ist

taz: Nach der Schleswig-Holstein Wahl wird erneut die Legitimation des Südschleswigschen Wählerverbandes SSW angezweifelt: So nannte CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen die Befreiung von der Fünfprozent-Hürde „verfassungspolitisch hoch problematisch“. Ist das haltbar?

Erich Röper: Im November 2004 und im Februar 2005 bestätigte Karlsruhe die Verfassungskonformität der Befreiung des SSW von der Fünfprozent-Klausel. Die Richter betonen am 14. Februar, dass „das Bundesverfassungsgericht die Vertretung nationaler Minderheiten als politisch bedeutsam angesehen und die im Bundeswahlrecht geltende Ausnahme von der Sperrklausel für Parteien nationaler Minderheiten gebilligt“ hat. Klarer geht es nicht. Es braucht viel Chuzpe, wenn Norbert Röttgen von „verfassungspolitisch hochproblematisch“ spricht.

Eine Verfassungsklage gegen die heutige Regelung hat also kaum Chancen?

Wer es versucht, wird sich angesichts der Beschlüsse und früheren Entscheidungen eine blutige Nase holen. Im übrigen gefährdet er außenpolitisch das Verhältnis zu Dänemark, das 1954 in den Verhandlungen über die NATO-Mitgliedschaft der Bundesrepublik die Öffnung des Bundes- und Landtagswahlrechts über die „ethnische“ Minorität hinaus durchsetzte. Das gilt bis heute.

Auf welchem Grundrecht basiert das Privileg des SSW? Widerspricht es nicht dem Gleichheitsgrundsatz, niemand dürfe wegen seiner Herkunft bevorzugt werden?

Es ist keine Grundrechtsfrage im Sinn von Artikel 3 Grundgesetz. Auch das stellte das Verfassungsgericht zuletzt vor zwei Wochen fest. Das Privileg dient dazu „das Anliegen weitgehender integrativer Repräsentanz und die Gebote der Wahlrechtsgleichheit zum Ausgleich zu bringen“ – eine Parallele ist Paragraph sechs Bundeswahlgesetz. Politisch liegt dem SSW-Privileg die Bonn-Kopenhagener Erklärung vom 29. März 1955 zu Grunde. Sie sollte den jahrhundertelangen Streit um Schleswig-Holstein friedlich regeln. Die Zugehörigkeit zur dänischen Minderheit ist zudem ausdrücklich nicht „ethnisch“ definiert, sondern ein politisches Bekenntnis. Schon das Kieler Abkommen von 1949 regelte es nach dem Grundsatz „Däne ist, wer will.“ Das Bundesverfassungsgericht sah daher im hohen SSW-Stimmenanteil im umstrittenen Landesteil Holstein „ein Indiz für ein dänisches Wählerpotenzial“.

Trotzdem haben andere Minderheiten keine solche Privilegien – die Türken etwa.

Nach deutschem Verständnis müssen nationale Minderheiten regional verankert sein und sich aus der hier lebenden, also nicht zugewanderten Bevölkerung rekrutieren. Ob die Türken als Einwanderer später den Status erlangen, ist jetzt noch nicht zu sagen. Auch bräuchte es eine erhebliche Integrationsentwicklung, wenn sie in räumlich umgrenzten Bereichen als „ethnisch“ nicht mehr wahrnehmbarer Teil der Bevölkerung gelten sollen und es nur noch heißt „Türke ist, wer will“.

Und warum haben die Sorben, die seit Jahrhunderten in Brandenburg und Sachsen siedeln, keine Partei?

Für die Sorben und Wenden in Sachsen und Brandenburg gilt dasselbe wie für die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein. Es ist ihre Entscheidung, eine Partei zu bilden, zumal die Landesverfassungen sie als nationale Minderheiten anerkennen. Eine Befreiung von der Fünfprozent-Klausel sehen die Landeswahlgesetze noch nicht vor. Sie könnte unter Bezug auf das Bundeswahlgesetz aber erzwungen werden.

Niedersachsens Ministerpräsident Wulff behauptet, durch eine Minderheitentolerierung verkehre der SSW das Wahlergebnis ins Gegenteil.

Es ist bloße Polemik, zu behaupten, Verlierer würden sich zum Sieger machen. Das kommt oft vor. Erinnert sei an die CDU/SPD-Koalition in Sachsen oder Hamburgs ersten von Beust-Senat, soweit es die CDU betraf. Auch Adenauer war 1961 kein glänzender Sieger. Und Kohl hatte 1994 ohne die Überhangmandate nur eine Mehrheit von einer Stimme. Mehrheit ist eben Mehrheit, so die CDU-Kanzler. Warum nicht in Schleswig-Holstein?

Juristisch sind die SSW-Parlamentarier Abgeordnete wie alle anderen. Und Wesen und Funktion des Landtags gelten stets dem ganzen Land. Das gilt auch für das SSW-Anliegen, nach erfolgreichem dänischen Vorbild die Gemeinschaftsschule bis zur Klasse 10 einzuführen. Es wäre ein Glücksfall, wenn die der bürgerlichen Minderheit dienende Dreigliedrigkeit der Schule aufgebrochen wird. Die Kulturhoheit der Länder bekäme damit endlich einen Sinn. Tatsächlich hat der SSW politisch auch sonst immer auf ganz Schleswig-Holstein bezogen agiert. So erzwang er 1987 mit der SPD nach der Barschel-Affäre die Neuwahl und wurde danach von der CDU bekniet, ihre Regierung zu dulden. Und schon 1971 machte CDU-Spitzenkandidat Lemke dem SSW ein Koalitionsangebot. Im übrigen zeigt Bremen, eine große Koalition löst kein Problem. Interview: Benno Schirrmeister