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Archiv-Artikel

Der Zerfall des Büffels

Dean Reed und das Vergessen, Sardinien und die staubige Landschaft: Bei der Ausstellung „Horsing around“ in der Galerie Neurotitan geht es um die Aneignung des Cowboys in Europa. Warum der Wilde Westen auch weiter östlich schon seit hundert Jahren ein Sehnsuchtsort ist, bleibt unklar

Cowboys, wohin man blickt. An den Wänden hängen Comics und gemalte Bilder, in einer Ecke sieht man zwei kleine, silberne Ufos, in deren gläserner Kuppel man beim Nähertreten zwei Cowboys am Steuerknüppel erkennt, und gleich im Raum dahinter gibt es dann stilecht eine hölzerne Theke mit einem „Saloon“-Schild. Aber eigentlich soll es bei der Ausstellung „Horsing around“ gar nicht um die historischen Cowboys gehen, sondern vielmehr um das Bild, das sich Europa, also die Alte Welt, von den weißen Siedlern gemacht hat, die Ende des 19. Jahrhunderts den Mittleren Westen der USA erobert haben. Und um es gleich vorweg zu sagen: So richtig geht das Konzept nicht auf. Das Ganze wirkt streckenweise wie eine Materialsammlung, zusammengetragen nur, um ironisch zu dokumentieren, was es alles so gibt zum Mythos. Da reitet beispielsweise in einem Comic ein Jesus in Cowboykluft durch Texas. Ein müder Kalauer.

Aber es gibt auch Ausnahmen. Zum Beispiel die Videocollage von Reproducts, einer Künstlergruppe aus Hamburg, die sich mit der Sammlung, Weiterverarbeitung und Umwertung von vorgefunden Medienmaterialien beschäftigt. Dort sieht man vier Sequenzen zum Mythos Cowboy und Wilder Westen, deren bildliche Entsprechungen wie unter einem Mikroskop herangezoomt und in ihre Einzelteile zerlegt werden. Im ersten Kapitel der rund zehnminütigen Collage aus alten Schwarz-weiß-Western trampelt eine Horde Büffel durchs Bild. Immer wieder wird das Bild unsanft gestoppt und dann kurz zurückgespult, und es geht wieder von vorne los. Im zweiten Kapitel sieht man nur noch einen Büffel, der in Zeitlupe auf dem Bildschirm erscheint. Die fließenden Bewegungen zerfallen in viele Einzelbilder, um dann in eine blau gefärbte Bildersequenz von einem Cowboy auf einem Pferd überzugehen, das sich ebenso langsam bewegt. Im letzten Teil sieht man wieder eine Unmenge von Büffeln, die durchs Bild laufen, und Cowboys, die diese zusammentreiben, dazu hört man die Stimme eines Mannes, der mit beschwörender Stimme sagt: „Es werden so viele Büffel sein, dass man das ganze Land davon ernähren kann.“

Natürlich darf in einer Ausstellung, bei der es um den Re-Import des Cowboys in die alte Welt geht, eine Figur wie die des „Roten Cowboys“ Dean Reed nicht fehlen. Der US-amerikanische Countrysänger und Schauspieler, der 1972 aus Sympathie mit dem Sozialismus in die DDR übersiedelte, war der Vorzeigecowboy der Nation. Er trat in Defa-Western auf, und als er sich 1986 umbrachte, machte die Stasi ein Geheimnis darum. Seine Geschichte wird wohl bald von Tom Hanks verfilmt werden. „Das Dean-Reed-Projekt“ in der Ausstellung versucht, sich der Figur des Ostcowboys auf anderem Weg zu nähern: Auf vier Fernsehern wird eine Spurensuche gezeigt, allerdings ohne abschließende Wertung oder Interpretation. Mal sieht man Archivmaterial von Reeds Auftritten, dann gibt es Interviews mit Weggefährten, heutigen Anhängern der Countryszene, aber auch Umfragen in einer Shopping-Mall. Auf die Frage, warum Reed heute fast vergessen sei, antwortet ein alter Mann: „Na, weil ihn keiner so recht haben will. Die Amis nicht und die Leute in Ostdeutschland auch nicht mehr.“

Letztendlich bleibt die Ausstellung aber zu oberflächlich. Es hätte sich gelohnt, einen genaueren Blick auf die Aneignung der Cowboys in Europa zu werfen. Danach, wofür der Cowboy in der europäischen Kulturgeschichte eigentlich steht, fragen die Macher wenig. Denn gerade in Deutschland wurde schon mit den Büchern von Karl May und nicht erst mit Hollywood das Leben im Wilden Westen zu einem Sehnsuchtsort, an dem sich noch Freiheit, Abenteuer und Natur erleben ließen – und zwar zu einer Zeit, als die Moderne mit ihrer Industrialisierung und Bürokratisierung das Alltagsleben übernahm.

Am konsequentesten spielt noch das Video „I can tell“ von Christopher Dettmeier mit den Versatzstücken des Mythos und zeigt, wie wenig Zeichen ausreichen, um beim Betrachter einen ganz eigenen Film im Kopf in Gang zu setzen. In seinem fünfminütigen Video sieht man verlassene Häuser in einer staubigen Landschaft. Von Zeit zu Zeit huscht ein Mescal-Kaktus durchs Bild, und man hat sofort Bilder von Kakteen und Saloons im Kopf, obwohl die Häuser überall stehen könnten. Verstärkt wird der Effekt durch den Country-Song „I can tell“ von Andre Williams and the Sadies, der sich schleppend über die Bilder legt. Als der Bildschirm schließlich dunkel wird, erscheint ein Schriftzug: „Sardinien 2002“.

SANDRA LÖHR

Bis 27. 2., Galerie im Haus Schwarzenberg, Rosenthaler Str. 39, tgl. (außer Di.) 12–20 Uhr, So. 12–18 Uhr