KIRSTEN FUCHS über KLEIDER : Mit meinem inneren Schneemann im Schuhgeschäft
„Ich bin okay, ihr seid okay!“ – gar nicht okay ist nur, dass ich diese tolle Erkenntnis mit einer waschechten Persönlichkeitsspaltung bezahlen musste
„Wie wir uns selbst besser verstehen und unsere Einstellung zu anderen verändern können“, las ich vorne in dem abgegriffenem Buch. Aha, besser verstehen, dachte ich. Wer braucht das nicht? Und außerdem für nur zwei Euro vom Trödelmarkt, naja, jetzt habe ich jedenfalls das Buch „Ich bin o.k. Du bist o.k.“ von Thomas A. Harris.
Ich habe das Buch gut durchgearbeitet und fühle mich auch viel okayer als vorher, denn ich bin okay und ihr ja alle auch, schön oder? Leider hat die Lektüre des Buches den Nebeneffekt, dass ich mich seitdem ununterbrochen selbst beäuge. Zickt gerade mein Kindheits-Ich rum, weil es wieder etwas will, was es nicht haben kann? Redet mir gerade mein Eltern-Ich etwas ein, was ich einsehen soll? Oder ist mein Erwachsenen-Ich stark genug, weil ich immerhin die ganze Zeit an diese Transaktionsanalyse denke, die mein Eltern-Ich gar nicht kennt und mein Kindheits-Ich überhaupt nicht begreift?
Und das alles beim Schuhekaufen, früher ein normaler Akt von Geldausgabe, verbunden mit Freude und wundervoller oberflächlicher Selbstbefriedigung. „Kauf dir warme Schuhe!“, sagt mein Eltern-Ich. Jaja. „Und kauf dir welche, die nicht zu eng sind, wo noch dicke Socken reinpassen.“ Jaja, falls es ganz, ganz kalt wird. „Und kauf dir Schuhe, die du so ähnlich noch nicht hast, denn dann müsstest du dir ja keine neuen Schuhe kaufen, außer, die alten sind kaputt.“ Jaaaahaaa. „Und nicht so teuer. Aber auch nicht zu billig.“ Ja doch!
„Die da!“, schreit mein Kindheits-Ich. „Die fetzen, bunt, sexy, alles, was ich will. Damit jeder sieht, dass ich neue Schuhe habe, die besser sind als die Schuhe der andere, die besten überhaupt. Jippi!“ – „Aber das ist Wildleder. Das muss man pflegen. Die Zeit. Die schöne Zeit, die dabei draufgeht, die Schuhe zu pflegen.“ Jaja. „Dann pfleg ich sie eben nicht!“ Lustig sausen meine inneren Transaktionen hin und her, immer zwischen den drei Ichs, in die ich zerfalle. Im Buch wird das durch drei übereinander stehende Kugeln dargestellt, die aussehen wie ein Schneemann, passt ja dazu, dass ich Winterschuhe kaufen will. „Aber wieso denn Winterschuhe, wenn der Winter bald vorbei ist?“, fragt … ja, wer eigentlich? Ach so ja, ich.
„Spar dir doch das Geld!“, rät der Kopf des Schneemannes, mein Eltern-Ich. „Au ja, Geld sparen, und dann kannst du dir davon sogar zwei paar billige Schuhe kaufen.“ Schnauze, Gör! „Oder du klaust sie, dann hast du Geld und Schuhe! Jippi!“ – „Ruhe!“, schreie ich. Alle Kunden im Schuhladen drehen sich nach mir um und sehen mich erstaunt an, weil es im Laden ganz ruhig ist, spätestens nach meinem Schrei. „Transaktionsanalyse?“, fragt mich ein älterer Mann flüsternd. Ich nicke. „Das wird schon wieder!“, muntert er mich auf.
Die Transaktionsanalyse ist übrigens aus einer Zeit, in der noch bedenkenlos Elektroschocks angewandt wurden. Dazu wird auch in dem Buch geraten, wenn das Erwachsen-Ich einfach nicht zu Wort kommt, so wie bei mir beim Schuhekaufen. Ich bekomme keinen klaren Kopf, da ich aber gerade kein Elektroschock-Gerät dabei habe, höre ich lieber auf mein vorlautes Kindheits-Ich. Das mache ich oft, wenn es um Anschaffungen geht, die ich nicht wirklich brauche, die aber meinen finanziellen Rahmen nicht sprengen.
Warum denn sparen? Worauf denn? Und warum nicht so modisch, dass es nächste Woche schon aussieht, als ob ich mich zum Seppl mache? Was passiert denn schon, wenn man sich zum Seppl macht? Die Leute haben was zum Drüberlachen. Ist doch schön. Und warum nicht noch mal genau dieselben Schuhe, nur mit weißen Nähten? Warum nicht, wenn es das Gör glücklich macht? Liebt mein Eltern-Ich mein Kindheits-Ich etwa nicht? Egal, sind doch alle o.k., und inzwischen auch k.o. vom Streiten. Ich bin k.o., du bist k.o.
Ich kauf die runtergesetzten Schuhe, die etwas zu eng sind, aber für das Geld, naja. Und dann gehe ich zu Hägen Daz und kaufe mir von dem eingesparten Geld drei Kugeln Eis. Weil ich so langsam esse („Nicht so schnell essen, da bekommst du Bauchschmerzen von.“ Jaja.), verschmelzen die drei Kugeln langsam. Geht doch!
Fragen an mein Ich? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH