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Archiv-Artikel

„Lernen, machen, weitergeben“

Afrikanische Filme bilden einen Schwerpunkt der am Donnerstag beginnenden Berlinale. Ein Gespräch mit Dieter Kosslick, dem Leiter des Festivals, über harte Themen und schockierende Bilder, unsichtbare Geldvervielfältigung, kollektiv vergossene Tränen und das unvermeidliche Produzieren von Fehlern

INTERVIEW CRISTINA NORD

taz: Herr Kosslick, afrikanische Filme und Themen waren im letzten Jahr auf der Berlinale vertreten und sind es in diesem Jahr wieder. Ist Afrika eine Weltregion, mit der sich das Festival profilieren möchte, so wie es das Rotterdamer Filmfestival mit südostasiatischen Filmen tut?

Dieter Kosslick: Afrika befand sich nicht so richtig auf der Landkarte der Berlinale. Es gab zwar den einen oder anderen Film aus dem Maghreb, aber eine richtige, ganz afrikanische Auswahl, von Ouagadougou bis nach Johannesburg, fehlte. Wir haben das vor zwei Jahren begonnen. Durch ein paar Zufälle – in Kapstadt ist der Sithengi-Koproduktionsmarkt aufgebaut worden, Südafrika ist bei den Koproduktionen dadurch plötzlich weltweit vertreten. Mit einem Mal waren wir mitten drin in Afrika. Zusammen mit der Deutschen Welle haben wir afrikanische Festivalleiter nach Berlin eingeladen. Wir haben viele Kontakte geknüpft und das deutsch-südafrikanische Koproduktionsabkommen vorbereitet. Das hat sich jetzt schon bewährt.

Weil die Resultate im offiziellen Programm zu sehen sind?

Ja, in diesem Jahr haben wir das Glück, dass gleich vier Produktionen etwas mit Südafrika zu tun haben. Und im Panorama haben wir einen Film über Kindersoldaten in Uganda. Wir zeigen, was da los ist – aber nicht nur die traurigen Sachen, sondern auch das wunderbare Musical „U-Carmen Ekhayelitsha“.

Im letzten Jahr war der südafrikanische Filmminister zu Besuch in Berlin. In diesem Jahr läuft „U-Carmen Ekhayelitsha“ im Wettbewerb, außer Konkurrenz „Hotel Rwanda“, eine südafrikanische Koproduktion. Wie hat man sich denn konkret die Synergien zwischen der Berlinale und einer jungen, aufstrebenden Filmnation wie Südafrika vorzustellen?

Erst mal folgt es dem alten asiatischen Prinzip: lernen, machen, weitergeben. Wir befinden uns in der Phase des Weitergebens. Die Berlinale hat ja alle Elemente, die die afrikanischen Kollegen brauchen. Wir haben einen Markt, wir haben das neue Förderinstrument, den World Cinema Fund; sie machen viele Festivals in unterschiedlichen Größen, da ist es natürlich interessant zu sehen, wie die Berlinale funktioniert. Wenn wir in der Nähe wären, würde ich sagen: Wir leisten Nachbarschaftshilfe.

Der World Cinema Fund wird zu Beginn des Festivals erste Förderprojekte vorstellen. Wird es denn einmal eine World-Cinema-Fund-Sektion auf der Berlinale geben?

Nein, und wir üben auch keinen Druck auf die Filmemacherinnen aus. Wie wollen uns ja nicht wie die alten Entwicklungshelfer benehmen und sagen: „Wenn ich dir eine Mark gebe, dann musst du mir dein Land verkaufen.“ Wir wollen klassische Entwicklungshilfe leisten: Hilfe zur Selbsthilfe.

Wichtig scheint mir, dass die Gelder im jeweiligen Land bleiben.

Eben. Wir sagen nicht: „Passt mal auf, jetzt geben wir euch 50.000 Euro, und dann kommt ihr nach Babelsberg und macht die Postproduktion für 100.000 Euro.“ Die Filmemacher sollen das Geld vor Ort ausgeben. Am Anfang hatte ich viel mehr Zweifel als heute, was man mit dem Geld machen kann. Doch dann habe ich plötzlich realisiert, dass wir einen unsichtbaren Multiplikator erfunden haben. 1,5 Millionen Euro – da lachen sich die Filmförderer in allen deutschen Regionen schlapp, wenn wir auftauchen mit unseren Bundeskulturstiftungsgeldern. Aber das ist mindestens zehnmal so viel wert, wenn es in den Ländern der Kreativen ausgegeben wird.

Was die Themen betrifft, so wird der Völkermord an den Tutsi in zwei Filmen behandelt, in anderen Filmen geht es um Kindersoldaten und um Bürgerkriegssituationen. Das sind harte Stoffe und schockierende Bilder. Tritt das Filmische hinter dieser Härte zurück?

Ich habe mal diesen Satz gesagt: „Wir stellen uns auf die Seite der starken Filme, die sich auf die Seite der Schwachen stellen“. Das heißt: Wir zeigen nicht einfach Filme wegen ihres Themas; es geht uns auch um den Film. Dennoch ist es manchmal wirklich wichtig, dass wir einen Film wegen des Themas vorstellen. Wir verstehen uns als ein Festival, das eine Öffentlichkeit für Dinge erzeugen will, bei denen man sonst wegschaut. Mir ist es lieber, dass wir diese harten Filme zeigen und die Leute rausgehen, weil sie es nicht mehr aushalten, als dass man nicht zeigt, was passiert. Die Realität ist ja noch viel schlimmer. Zum Beispiel die Beschneidung der Frauen in Afrika – die wäre nie und nimmer zu einem solchen Thema geworden, wenn es keine Bilder davon gegeben hätte. So unerträglich die auch sind.

Über Genitalverstümmelung hat der senegalesische Regisseur Ousmane Sembene kürzlich einen sehr klaren, entschiedenen Film gedreht: „Moolaadé“. Und trotz der didaktischen Haltung ist es ein sehr guter Film. Manchmal aber wiegt die gute Absicht mehr als die filmische Umsetzung – so wie beim letztjährigen Wettbewerbsbeitrag „Country of my Skull“. Wie sehen Sie dieses Problem?

Bei „Country of my Skull“ haben wir das Problem nicht gesehen, weil wir während der Sichtung in einen kollektiven Tränenrausch verfielen. Es gibt ja diesen Begriff des Unrechtsbewusstseins – bei diesem Film hatte ich keines.

Ist dann das Thema, ist das Politische eine Herzensangelegenheit?

Herz statt Hirn? Es ist doch so: Wenn ich mir jetzt den Kopf zerbreche, dass ich keine Fehler machen darf, dann habe ich den größten Fehler schon gemacht. Es gibt tausende von Fehlern während dieser zehn Tage: Ich kann einen Schauspieler mit dem falschen Namen begrüßen, auf dem falschen Empfang sein, den Text verwechseln, ein Film kann nicht gut sein, ein Star nicht kommen. Aber wenn ich darüber nachzudenken beginne, dann sollte ich den Löffel abgeben. Man macht etwas und steht dazu, und wenn andere Leute das nicht teilen, dann hat man Pech gehabt – wie bei „Country of my Skull“. Ich hätte die negative Reaktion im Leben nicht vermutet. Aber ich bin eben auch Sozialdemokrat, und für mich war das genau der richtige Film. Dass andere das anders gesehen haben, darf mir keine Angst machen. Wenn ich mir den diesjährigen Wettbewerb ansehe, fühle ich mich eigentlich ganz wohl. Das Politische mit dem Herzen ausgewählt? Ja.