: Schlummernde Dimension
13 Jahre nach der Rio-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung: Wie steht es in Deutschland um den Aspekt der Nachhaltigkeit in der Ausbildung des touristischen Fachpersonals?
VON CHRISTEL BURGHOFF
Nachhaltiger Tourismus erfüllt soziale, kulturelle, ökologische und wirtschaftliche Verträglichkeitskriterien. Er ist sozial gerecht, kulturell angepasst, ökologisch tragfähig, insbesondere für die ortsansässige Bevölkerung wirtschaftlich sinnvoll und ergiebig. (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, GTZ)
Den umweltbewegten Achtzigerjahren ist die Idee eines neuen touristischen Managertyps zu verdanken und der Kritik am touristischen Geschäft die Forderung, dass dieser den Tourismus besser machen solle: sanfter, weitsichtiger, verantwortungsbewusster, „nachhaltig“. Darauf konnten sich alle einigen, die tourismuskritischen NGOs wie die offiziellen Gremien und Wirtschaftsvertreter von der Weltorganisation für Tourismus (WTO) bis zum Reiseriesen TUI.
Doch wo im deutschen Ausbildungssystem Touristik draufsteht, ist meist Betriebswirtschaftslehre drin. Künftige Touristiker werden fit gemacht für Marketing, Destinationsmanagement, Travelmanagement, Consulting, Freizeitorganisation. Im Tourismus sind viele Berufsfelder und Qualifikationen gefragt, ob mit oder ohne akademische Weihen. Das Spektrum reicht von Event- und Kurspezialisten über Animateure bis zum Ranger oder Produktgestalter. Der Großteil der Touristiker wird jedoch traditionell für Gastronomie und Hotellerie ausgebildet, es folgen der Reiseverkehrs- und Veranstaltungsbereich. Die Ausbildung in diesen Sparten gibt sich nachfrageorientiert und passt sich der gängigen touristischen Praxis an. Und die orientiert sich an klaren ökonomischen Zielen.
Schlechte Aussichten also für die Lernziele soziale Standards und Nachhaltigkeit? Seit zwei Jahren immerhin können zukünftige Touristiker an der Fachhochschule Eberswalde den Aufbaustudiengang „Nachhaltiger Tourismus“ belegen und mit dem internationalen Titel Master of Arts abschließen. Mit dem erklärten Leitbild der Nachhaltigkeit steht die Fachhochschule deutschlandweit allein auf weiter Flur. Das Studium qualifiziert für touristische Aufgaben im Schnittfeld von Landschaftsnutzung, Naturschutz und Ökonomie. Hier können die Studenten neben dem touristischen Handwerkszeug auch lernen, wie Tourismus dank Umweltmanagement, Ökotourismus und speziellen Kompetenzen zu einer nachhaltigen Regionalentwicklung beitragen kann.
In Berlin findet sich ein anderer Weiterbildungsklassiker. Bereits seit zwanzig Jahren wird an der Freien Universität in einem einjährigen Ergänzungsstudiengang Tourismus mit Schwerpunkt Management, regionale Verkehrsplanung und Reiseleitung gelehrt – ohne explizites Leitbild der Nachhaltigkeit. „Unsere Stärke ist die Interdisziplinarität“, sagt Kristiane Klemm, die Leiterin des Studiengangs. Und Nachhaltigkeit? Aber sicher. Die, so Klemm, sei eine Selbstverständlichkeit. Nachhaltigkeit verbinde sich zunehmend mit Qualitätstourismus.
Sowohl Berlin als auch Eberswalde entlassen Absolventen ins Destinationsmanagement, also in die Regionalentwicklung der Zielgebiete, vermehrt auch im Ausland. Die Absolventen sind auch in Marktsegmenten mit einer natürlichen Nähe zu sanften Tourismusformen gefragt, etwa im Radtourismus. Viele Berliner Absolventen, so Klemm, machten sich nach der Ausbildung selbstständig und bildeten inzwischen einen Pool ideenreicher Berater. Unter ihnen auch engagierte Einzelkämpfer, die Nachhaltigkeitsideen auf eigene Faust weitertreiben.
Neben den Fachhochschulen betreiben auch einige Universitäten Touristikerausbildung. Auch dort trifft man, vor allem bei Geografen und Kulturwissenschaftlern, bisweilen auf Themenstellungen zur Nachhaltigkeit. Selbst manche Betriebswirtschaftler gehen damit selbstverständlich um. So sind derzeit an der Uni Lüneburg im Bereich Tourismusmanagement Studenten in ein Kooperationsprojekt zwischen Uni, ökologischen Instituten und Reiseveranstaltern eingebunden. Hier werden Marketingideen entwickelt, um schlummernde Ökopotenziale im Massenmarkt zu mobilisieren.
Universitäten haben mehr Freiräume als andere Bildungsträger, auch sind die Chancen für Innovationen größer. Im verschulten Bereich der Fachhochschulen und Akademien wird es rasch eng. Beispielsweise in der Ausbildung zum/zur Tourismusbetriebswirt(in). Ob in Worms, München, Kempten oder Heilbronn: Es gibt kein reguläres Fach im Rahmen der Gesamtstudienpläne der Fachhochschulen, in dem Nachhaltigkeit vermittelt würde. Eine Informationsmöglichkeit für Studenten liegt im „Studium Generale“, einem ausbildungsbegleitenden Angebot für schöngeistige Zusatzqualifikationen. Nachhaltigkeit rangiert also auf einem Nebenschauplatz, etwa im Verbund mit Rhetorik, Ethik, Ökologie oder Gesprächsführung. Diese gelten samt und sonders als Kompetenzen, die man vielleicht irgendwann einmal brauchen könnte – aber keinesfalls als ausbildungsimmanente Musts. Das „Ethikum“ der FH Heilbronn nimmt eine Sonderstellung ein. Ob und wie man als Student an das verbriefte Qualitätspapier gelangt, liegt jedoch ganz im Ermessen der Dozenten. Nachhaltigkeit begegnet einem weder in den Curricula noch in den Prüfungsbestimmungen oder den Bestimmungen für Ausbildungsberufe mit den Abschlüssen der Industrie- und Handelskammern. Ökologie hinterlässt kaum mehr als eine Spur im Themenbereich Geografie.
Und wie steht es um die privaten Bildungsträger? Wie ein Garantieschein für die Karriere liest es sich, wenn die hoch gelobte internationale Fachhochschule Bad Honnef für die Ausbildung im Tourismusmanagement wirbt. Eine teure Ausbildung, die selbst finanziert werden muss. Die private Hochschule rühmt sich ihrer ausgezeichneten Wirtschaftskontakte, sie betont den umfangreichen Karriereservice und die Perspektiven für den internationalen Arbeitsmarkt. Ein stromlinienförmiges Format. So vertraut wie verführerisch. Wenn in diesen vorgezeichneten Ausbildungsbahnen Studenten auf ökologische oder ethische Themenstellungen treffen, dann zumeist über freie Dozenten im Rahmen des Prüfungsfachs Tourismuspolitik.
Ein Dozent, der Geld mitbringt, etwa weil ihn eine finanzstarke NGO unterstützt, hat gute Aussichten auf einen Workshop bei solch einem Bildungsträger. Eine Chance etwa für Ecpat – eine internationale Kinderrechtsorganisation zum Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch durch Touristen –, die Problematik und die Gesetzeslage bekannt zu machen. Themen, die im nachhaltigen Tourismus für Respekt und Achtung der Menschenrechte stehen, finden nur über solche Umwege ihren Weg in die Ausbildungsgänge.
Wo Tourismus draufsteht, ist also längst nicht immer Nachhaltigkeit drin. Sie ist Begleitmusik. Als wäre Nachhaltigkeit nicht ganz so wichtig und Umweltengagement ein Karrieregift. Was vielleicht auch – noch – stimmt. Die Studenten selbst bevorzugen eher die Karrierechancen. Die überwältigende Mehrheit von ihnen wählt die Ausbildungsstätte nach den Kriterien „guter Ruf“ und „attraktive Umgebung“. Wobei man sich unter „Ruf“ einen von der Wirtschaft geschätzten Berufsabschluss mit Jobperspektive vorzustellen hat. „Mit Umwelt macht man keine Karriere, als Umweltbeauftragter wird man in der Wirtschaft kein Vorstand“, sinniert Peter Zimmer, ehemals Student der FH München und heute hochdekorierter, umweltengagierter Berater mit eigener Firma.
Für das studentische Netzwerk Futurista, dem Tourismusschüler aus über zwanzig deutschen Ausbildungsstätten angehören, zählt die Touristische Ausbildungsanalyse (TAA) zu den selbst gestellten Aufgaben. Nach Kriterien wie: „Professoren und ihre Vorlesungen“, Software, Praxiszugang und Zusatzangebote werden die Einrichtungen bewertet, die Grundlage dafür bilden Umfragen unter Studenten. Manchmal, so Jan Hendrik Moosdorf, ehemaliger Futurista-Vorstand, komme man auf Themen wie Nachhaltigkeit erst während des Studiums. Oder im Verlauf eines Praktikums. Dann nämlich, „wenn man vielleicht bei der Lufthansa merkt: Das ist nicht meine Welt.“ Dann allerdings hilft Futurista kaum weiter. Und wenn die Ausbildung zur Nachhaltigkeit unterrepräsentiert und nicht handlungsleitend aufbereitet ist, fallen die Defizite des Bildungswesens schlicht auf den touristischen Nachwuchs zurück.
Dabei ist Nachhaltigkeit im Tourismus lange schon Topthema. Und zwar jenseits aller Nischen von Ökos und NGOs. Tourismus ist der einzige Wirtschaftszweig, der auf saubere, giftfreie Strände und entspannte Gastgeber, auf den Erholungswert der Natur, auf kulturelle Vielfalt, auf präparierte Historie angewiesen ist, schlicht auf alles, was besser und attraktiver als der gewohnte Lauf der Dinge erscheint. Seit 1980 wird eine Internationale Vereinbarung nach der anderen zum Wohle von Mensch und Natur getroffen, sogar ein „Global Code of Ethics“ wurde durchgesetzt.
Wie das institutionalisierte touristische Gewissen promotete die Welttourismusorganisation 2002 ein internationales Jahr des Ökotourismus, und Eugenio Yunis, der Verantwortliche, begab sich international auf Überzeugungsarbeit bei Regierungen und ihren Tourismusministern sowie bei Großveranstaltern und hielt aller Welt „best practices“ vor Augen: zahllose wirtschaftlich gelungene Versuche, im Tourismus umwelt- und sozialverträgliche Wege zu beschreiten.
„Nachhaltigkeitsbewusstsein ist mehr als nur die ökonomische Transaktion“, sagt Armin Vielhaber vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung am Starnberger See und plädiert wie viele Branchenkenner dafür, diese andere Dimension in den Curricula zu verankern. Vielhaber zweifelt keineswegs daran, dass die Verantwortlichen im Tourismus genau wissen, dass in diesem Wirtschaftssektor alle auf einem Ast sitzen, der leicht abbrechen kann – wenn die Umwelt zum Teufel geht oder sich politische Gewalt Bahn bricht. Der verantwortliche Umgang mit Mensch und Natur ist überfällig. Doch bei allem Wissen: Den langen Weg durch die Institutionen hat das Thema Nachhaltigkeit noch vor sich.
CHRISTEL BURGHOFF ist freie Autorin und lebt in Frankfurt/Main. Mitarbeit: Claudia Brözel