„Den Kopf in Scham und Demut beugen“

Bundespräsident Köhler spricht sich im Rahmen seines Israel-Besuchs in einer Rede vor der Knesset dafür aus, die Lektionen der Vergangenheit von Generation zu Generation weiterzugeben. Der Parlamentspräsident fordert ein Verbot der NPD

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Bundespräsident Horst Köhler geht kein Risiko ein. In seiner auf Hebräisch begonnenen Rede vor der Knesset, Israels Parlament, hielt er sich mit Bedacht an den Tenor, der seinen Hörern zusagen musste. Es ging um die deutsch-israelischen Beziehungen, deren 40-jähriges Bestehen Anlass für seinen Besuch sind, um Deutschlands „Verantwortung für die Shoah“, die „Teil der deutschen Identität ist“, und um die Versicherung, dass die „Lektion von Generation zu Generation weitergetragen wird“.

Wenig versöhnlich zeigte sich hingegen Gastgeber und Parlamentspräsident Rubin Rivlin, der sich vor dem etwa zu drei Vierteln besetzten Abgeordnetenhaus und vielen geladenen Gästen daran erinnerte, als Junge auf die Straße gegangen zu sein, um „gegen die von (David) Ben-Gurion geplante Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Deutschland zu demonstrieren“.

Mit bebender Stimme betonte Rivlin, dass „heute sechs Millionen Juden in Israel leben“, eine Zahl, die „wie ein Schlag in den Magen klingt“. Der Parlamentssprecher warnte die Deutschen, die es „zu eilig haben, aus ihrem Schatten herauszutreten“, und forderte, die NPD zu verbieten. Parteien, die den Holocaust leugneten, „haben im Parlament keinen Platz“. Deutschland sei es sich selbst und der Welt schuld, zu garantieren, dass sich die Geschichte nicht wiederhole.

Auch Premierminister Ariel Scharon, dessen Ansprache vergleichsweise kurz ausfiel, beharrte darauf, dass „der Schmerz des jüdischen Volkes auch 60 Jahre danach nicht endet“. Nicht zuletzt die bittere Geschichte zeige, dass der „einzige Weg, die Existenz des jüdischen Volkes zu garantieren“, ein jüdischer Staat sei, der sich „aus eigener Kraft zu verteidigen in der Lage ist“. Gleichzeitig bedankte sich Scharon für die geleistete Hilfestellung bei der Rückführung von israelischen Geiseln.

Bereits im Vorfeld des Besuchs war scharfe Kritik an Köhlers auf Deutsch angekündigte Rede vor der Knesset laut geworden. Drei Abgeordnete boykottierten die Sondersitzung des Parlaments mit der Begründung, die deutsche Sprache würde die Empfindlichkeiten Überlebender verletzen. Paradoxerweise kamen die versöhnlichsten Worte an die Adresse des Bundespräsidenten ausgerechnet von Oppositionsführer Tommi Lapid, dem letzten Holocaust-Überlebenden, der in der Knesset sitzt. Deutsch sei die Sprache Hitlers und Eichmanns, aber ebenso die Heines, Goethes und „Benjamin Seew“ Herzls, des Vaters des Buchs „Der Judenstaat“. Die Sprache trage keine Schuld, sondern nur die „Menschen, die sie missbrauchen“. 60 Jahre nach der Shoah müsse Israel zu einem überdachten Standpunkt gegenüber „Deutschland und allem, was deutsch ist“, geraten. In sehr persönlichen Worten sprach Lapid über seine Befreiung aus einem ungarischen Ghetto und über seinen Vater, der in Mauthausen ermordet wurde und „mir nicht verzeihen würde, wenn ich verzieh“. Das jüdische Volk werde sich „noch in tausend Jahren“ an die Verbrechen Nazi-Deutschlands erinnern.

Köhler kämpfte mit den Tränen, als er in seiner Rede auf die Opfer einging, vor denen er seinen „Kopf in Scham und Demut“ beugen will. Schon am Vortag , als er die Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem besuchte, wurde er von seinen Gefühlen überwältigt. Die Tageszeitung Ma’ariw zeigte Köhler in Tränen aufgelöst auf der gestrigen Titelseite. Dessen ungeachtet griff der Kommentator derselben Zeitung, Ben-Dror Jemini, den Staatsgast für die offensichtliche Müdigkeit des deutschen Volkes an, sich der Vergangenheit zu stellen. Jenimi geht dabei auf eine Untersuchung der Universität Bielefeld ein, der zufolge zwei Drittel der Deutschen glauben, dass Israel, so zitiert das Blatt, „einen Völkermord an den Palästinensern“ verübe. Sollte Köhler sein Volk nicht über die Wahrheit aufklären, mache er sich „mitschuldig am Verbrechen gegen das jüdische Volk“.

Vor der Knesset versammelten sich nur wenige Demonstranten, Aktivisten der rechtsradikalen Gruppe „Kahane lebt“, mit Schildern: „Wir werden nicht vergessen und nicht verzeihen“. Auf der gegenüber liegenden Straßenseite wehte die schwarz-rot-goldene Flagge.