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Archiv-Artikel

zahl der woche Die Spitze des Eisbergs schmilzt

11,5

Für einen Temperaturunterschied von einigen Graden setzt man sich gerne ein paar Stunden ins Flugzeug. Zwischen Deutschland und Mallorca beträgt die Differenz im langjährigen Jahresdurchschnitt 8,6 Grad. Deutschlands Kälte (durchschnittlich 8,2 Grad Celsius) treibt jedes Jahr Millionen von sonnenhungrigen Urlaubern auf die spanische Insel (16,8 Grad).

Damit trägt der deutsche Urlaubshunger dazu bei, dass es auch bei uns irgendwann um einiges wärmer sein könnte – durch den Ausstoß von Treibhausgasen, allen voran Kohlenstoffdioxid (CO2). Mit 270 ppm (parts per million) geben Wissenschaftler den Wert der CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre vor Beginn der Industrialisierung an. Das heißt: 270 CO2-Moleküle mischten sich damals unter eine Million andere Teilchen. Heute liegt der Wert bei rund 380. Und bis zum Ende des Jahrhunderts wird er – bei gleich bleibenden Ausstößen – auf 550 steigen. Wissenschaftliche Schätzungen – wie die des Klima-Panels der UN – folgern daraus eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um bis zu 5,8 Grad. Das Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht dagegen in seiner aktuellen Ausgabe Ergebnisse einer Klimastudie der Oxford University, die eine Erderwärmung von bis zu 11,5 Grad bis zur nächsten Jahrhundertwende für möglich hält – der doppelte Wert bisheriger Annahmen.

Dem zugrunde liegt eine Art Wettervorhersagemodell namens General Circulation Model (GSM). Da es für die Klimavorhersage viele unbekannte Variablen gibt, haben die Wissenschaftler die Parameter in den computerbasierten Berechnungen immer wieder verändert, was eine große Zahl verschiedener Simulationen ermöglicht. Dass jede Simulation ihr Klima-Szenario unabhängig errechnet, ist entscheidend für das Klima-Experiment. In rund 150 Ländern rund um den Globus haben 96.000 Heim-Computer 26.000 Modelle durchgerechnet, während ihre Besitzer die Rechnerleistung nicht oder nicht vollständig ausnutzte. Erstmalig wurde diese Methode bei der Erforschung von außerirdischer Intelligenz (Seti@home) angewandt. Das 11,5-Grad-Szenario ist zwar eher die Seltenheit – die Auswertung der ersten 2.000 Simulationen ergab eine durchschnittliche Erderwärmung von 3,4 Grad. In dem Nature-Artikel weisen die Wissenschaftler jedoch auf „die große Spannweite möglicher Szenarien“ hin.

Überhaupt stand die vergangene Woche im Zeichen der Erderwärmung. Am Dienstag präsentierte die Internationale Klimawandel-Task-Force ihren Abschlussbericht, indem sie 2 Grad Erderwärmung als Obergrenze zur Verhinderung eines Klimakollapses erklärte. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos erklärte der britische Premier Tony Blair die Klimaerwärmung neben der Armutsbekämpfung zum drängendsten Problem. Und über Deutschland brach der Winter herein – und damit die Sehnsucht nach wärmeren Temperaturen. Nur Geduld.

JOCHEN SETZER

www.climateprediction.net