: Das Ende der Parolen
Vor dem Weltsozialforum haben Globalisierungskritiker eine Niederlage zu verkraften: Hartz IV. Statt einfacher Antworten brauchen Attac & Co. Offenheit für schlaue Fragen
Den deutschen Globalisierungskritikern ging es schon mal besser. Diesmal reisen sie nicht auf der Welle des Erfolgs zum Mittwoch beginnenden Weltsozialforum nach Porto Alegre in Südbrasilien.
Im Nacken sitzen Attac und Co. zwei innenpolitische Niederlagen: Die Kampagne gegen die Gesundheitspolitik der rot-grünen Bundesregierung 2002 und gegen die Hartz-Reformen 2004 sind mehr oder weniger erfolglos im Sande verlaufen. Mit etwas mehr Offenheit im Denken und einer größeren Bereitwilligkeit, die Komplexität, Ambivalenz und auch die Widersprüchlichkeit der Verhältnisse anzuerkennen, wäre das vielleicht nicht so gekommen.
Laut einer Attac-internen Analyse müssen erfahrungsgemäß zwei Voraussetzungen gegeben sein, um eine Kampagne erfolgreich zu machen. Einerseits eine bestimmte Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das fragliche Thema, andererseits ein Alternativkonzept, das die Kritik an der herrschenden Politik in einer nachvollziehbaren, eingängigen Gegenforderung fokussiert.
Als Beispiel aus der Gründungszeit von Attac wird gern auf die Forderung nach der Tobinsteuer verwiesen. Der von der Bevölkerung empfundenen Ungerechtigkeit der neoliberalen Globalisierung setzte man ein gewagtes, aber grundsätzlich praktikables und spontan einsichtiges Konzept entgegen. Das Ergebnis war eine erstaunliche globalisierungskritische Mobilisierung, die inzwischen freilich nachlässt. Den Boom der Gründungsphase hat Attac nun hinter sich.
Bei der Gesundheitskampagne und den Hartz-Protesten hat der Kniff nicht so gut funktioniert wie in Sachen Tobinsteuer. Bei Attac heißt es, 2002 habe das Konzept gestimmt, aber die ausreichende Sensibilisierung der Öffentlichkeit gefehlt.
Bei den Hartz-Protesten sei es genau andersherum gewesen. Sehr viele Menschen seien plötzlich gegen die als ungerecht empfundene Reduzierung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau auf die Straße gegangen, doch die Organisatoren der Demonstrationen hätten Hartz IV nicht mit einem nachvollziehbaren Gegenmodell kontern können.
Diese Analyse trifft den einen Punkt, verfehlt aber einen anderen. Hätten Attac & Co. die Lage der Republik und die Antwort von Rot-Grün darauf eingehend betrachtet, hätten sie festgestellt, dass sich hinter dem Stichwort „Hartz“ eine durchaus ambivalente Materie verbirgt. Denn manche dieser Maßnahmen – beispielsweise das Prinzip „Fordern und Fördern“ und die institutionelle Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe – haben vermutlich die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit.
Dies ignorierend arbeiteten die Demonstranten sich an der Reduzierung der Arbeitslosen- auf Sozialhilfeniveau und der damit einhergehenden Verarmung ab. Die daraus abgeleitete grundsätzliche Ablehnung der rot-grünen Politik lief auf eine Verweigerung jeglichen Nachdenkens über eventuell notwendige Veränderungen hinaus und mündete letztlich in einer konservativen Position: Alles soll so bleiben, wie es ist.
Auch dies dürfte ein Grund sein, warum kein attraktives Gegenmodell formuliert werden konnte. Und so fehlte dem Protest genau jener Reiz der Mischung aus Kritik und Kreativität, der die Demonstrationen erst für eine breitere, linksliberale Öffentlichkeit attraktiv gemacht hätte.
Auch im Großen hat sich eine gewisse Denkfaulheit gegenüber der vielfältigen Realität einer globalisierten Welt eingeschlichen. Sowohl der letztjährige Weltgipfel der Globalisierungskritiker im indischen Bombay als auch das Europäische Sozialforum in London muteten über weite Strecken an wie eine Selbstbeschwörung. Straffe Parolen gegen Armut, Ausbeutung und Unterdrückung blendeten fast vollständig aus, was sich eigentlich nicht übersehen lässt: Die Globalisierung ist kein eindimensionales Geschehen, das sich pauschal ablehnen oder befürworten ließe. „Komplex“ und „ambivalent“ sind die Begriffe, die besser passen als „richtig“ und „falsch“.
Ein Beispiel sind die zwei Seiten des Wirtschaftswachstums in China. Dieses widerspricht zwar weitgehend unseren Idealen vom Schutz der natürlichen Ressourcen und der Demokratie, doch holt es hunderte Millionen Menschen aus der absoluten Armut heraus. Zugleich wiederum entstehen neue soziale Konflikte durch den rasanten Umbau der Gesellschaft. So steht der Begriff „Globalisierung“ für eine Vielzahl verwobener Transformationsprozesse, die man zutreffender als „Mondialisierungen“ bezeichnen könnte.
Diese Mondialisierungen sind das Produkt einer Menschheit, die zunehmend, den ganzen Globus umspannend, vielfältige Möglichkeiten des Menschseins in Wechselwirkungen bringt – und damit positive wie negative Effekte, vor allem aber Komplexität generiert. Natürlich gibt es an der Art und Weise, wie dies derzeit geschieht, vieles zu kritisieren, und sicherlich hat die neoliberale Engführung der Gestaltungsoptionen jener Mondialisierungen einen Platz in der ersten Reihe des Kritikwürdigen verdient. Und doch verwundert die Selbstverständlichkeit, mit der auch die Globalisierungskritiker davon ausgehen, es in dieser komplexen Gemengelage besser zu wissen.
Vielleicht wäre es schlicht überzeugender, angesichts der Problemlage heute kreativ und laut gute Fragen zu stellen. Der globalisierungskritische Diskurs sollte eher zum Suchraum für ein kollektives Nachdenken darüber gemacht werden, was für Menschen wir sein und in welcher Welt wir leben wollen. Schließlich deutet ohnehin viel darauf hin, dass die Konzepte neoliberaler Strategen eine problembewusste Öffentlichkeit immer weniger überzeugen können.
Der anvisierte Unterschied lässt sich an der Formel „Eine andere Welt ist möglich“ illustrieren: Wenn die Behauptung aufgestellt wird, dass eine andere Welt möglich sei, gibt es wenigstens zwei Art und Weisen, diese Formel zu deuten. Geht es darum, dass man von einer bestimmten anderen Welt zu wissen beansprucht, dass sie besser ist? Oder geht es darum, darauf hinzuweisen, dass es immer anders möglich ist, als gerade verwirklicht?
Zu Beginn der globalisierungskritischen Aktivitäten mischten sich diese zwei Varianten und vermochten sich wechselseitig zu befruchten und zu regulieren. In jüngerer Zeit aber scheint die Bewegung sich im Bann des neoliberalen Konzepts und geleitet von der Selbstgewissheit, auf der richtigen Seite zu sein, in der erstgenannten Variante zu erschöpfen – auf Kosten jenes kreativen, unbestimmt-alternativen Denkens in Möglichkeiten, das sich den Mondialisierungen fortlaufend und unvoreingenommen stellt. Dadurch geht aber die konstruktive Irritation verloren, die Attac & Co. zuvor in ein charmant-unkonventionelles politisches Engagement zu transformieren vermochte.
JENS BADURA HANNES KOCH