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Archiv-Artikel

„Das sind Verbrecher“

Der US-amerikanische Regisseur Martin Scorsese über George W. Bushs Regierungsmannschaft und Politik, über Flugangst, seinen neuen Film „The Aviator“ – und warum es ihm nicht mehr wichtig ist, einen Oscar zu bekommen

INTERVIEW STEFAN GRISSEMANN

taz: Herr Scorsese, wie ist das, wenn man einen Film über Fliegerleidenschaft macht, aber selbst unter massiver Flugangst leidet?

Martin Scorsese: Erinnern Sie mich nicht. Morgen muss ich schon wieder fliegen. Da wird immer behauptet, es sei so sicher zu fliegen, es könne praktisch nichts passieren, und das ist ja auch alles verständlich, aber leider ist meine Angst größer als meine Vernunft. Ich wünschte, selbst fliegen zu können, um die Sache, die mich so sehr in Panik versetzt, kennen zu lernen, sie verstehen, fühlen zu können.

Wenigstens in diesem Wunsch haben Sie sich also der Figur Howard Hughes, von der Ihr Film „Aviator“ handelt, nahe fühlen können.

Ja, darin finde ich mich ein bisschen wieder. Aber auch die Flugzeuge selbst sprechen mich an – über ihre Sexualität. Dadurch wird die Sexualität des Fliegens viel plausibler.

Sie scheinen gar nicht erst zu versuchen, die vielen Rätsel der widersprüchlichen Figur Howard Hughes zu lösen. Hughes war ja auch ein großer Anwesend-Abwesender: Je weniger er persönlich auftrat, umso präsenter schien er zu sein.

Ich wollte keinen Film machen, der so tut, als könnte er alles zu Ende erklären. Hughes ist, was er ist. Natürlich ist da seine Krankheit, seine Zwangsvorstellungen. Aber was der Mann an unglaublichen Dingen so tat, ist damit allein nicht zu erklären. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine Periode, in der man im Kino alles psychologisieren musste. Das ging bis in die Sechzigerjahre hinein und war vor allem in Europa so, aber auch bei Hitchcock, in „Spellbound“ etwa. Das ist ein wundervoller Film, aber unglaublich naiv.

Einzelne Kritiker haben vermerkt, „The Aviator“ sei substanzarm, ein Werk der bloß strahlenden Oberflächen. Ihr Film scheint in seiner Äußerlichkeit aber konsequent zu sein, weil er tatsächlich von der Verführungskraft der Oberflächen handelt: von der metallischen Haut der Flugzeuge etwa und den abgründigen, glänzenden looks des alten Hollywood.

Das kann man doch nachvollziehen: dieses großartige Gefühl der klaren, reinen Oberfläche eines Flugzeugs! Im Inneren ist die Maschine, da ist die Kraft. Und Hughes liebte es, all das anzufassen, die Steuerung, den Joystick.

Das erotisierte ihn?

Ja, dazu sind Oberflächen da, auch im Kino. Das gilt übrigens auch für Hughes' eigene Filme: „Hell's Angels“ etwa sieht brillant aus, aber die Dialoge? Dagegen die sinnliche Jean Harlow 1930, inszeniert von Hughes, das ist roher Sex, absolut kraftvoll! Oder nehmen Sie die Textur der Hughes-Produktion „Scarface“: Das ist Hollywood-Hochglanz-Fotografie alter Schule, ganz anders als, sagen wir, in dem betont hart, fast reportageartig fotografierten Gangsterfilm „Public Enemy“. Aber „Scarface“, da ist alles poliert und strahlend, die Gangster tragen diese seidigen Tuxedos und das Licht erinnert an den Glanz von Perlen.

„Scarface“ ist sehr glamourös …

Glamourös! Deswegen sind Hughes und Howard Hawks, der Regisseur, auch in ziemliche Schwierigkeiten gekommen. Man sieht: Oberflächen scheinen doch wichtig zu sein. Denn was wird mit all dem Glamour glorifiziert? Die Gangster!

Dasselbe haben Sie später in Ihrem Film „GoodFellas“ gemacht.

Ja. Und ich habe dieselben Schwierigkeiten gekriegt.

Sie reden seit Jahrzehnten nur vom Kino – und dennoch haben Sie erst jetzt einen Spielfilm übers Filmemachen selbst vorgelegt. Ist das nicht überraschend?

Wissen Sie was? Robert De Niro und ich versuchen seit zwanzig Jahren, einen Film genau darüber zu machen – über uns selbst, wie wir in den Siebzigerjahren zusammen Kino gemacht haben. Dabei gehen wir von den beiden Minnelli-Filmen „The Bad and the Beautiful“ und „Two Weeks in Another Town“ aus. Aber es will uns nicht gelingen, eine passende Geschichte zu finden.

Verfolgen Sie das Projekt noch?

Irgendwie schon, aber es ist so schwierig, objektiv zu bleiben, neben sich selbst zu treten.

Im Zentrum des „Aviator“ findet sich unvermutet ein beißend polemisches Porträt reaktionärer Politik, die sich gegen den Visionär Hughes richtet. Sehen Sie da auch Parallelen zum Amerika der Gegenwart?

Ununterbrochen. Absolut. Die Bush-Administration? Das sind Verbrecher.

Sie meinen, es ist immer noch so, dass Künstler von der Politik unter Druck gesetzt werden?

Ja, besonders in Zeiten des Krieges. Die letzte Wahl hat uns leider gezeigt, dass weder New York noch Los Angeles Amerika repräsentieren. Die Wähler haben offenbar Angst davor, Veränderungen herbeizuführen, denn der Krieg findet nun, erstmals seit dem Bürgerkrieg, auf unserem Grund und Boden statt. Der Horror, dem wir uns in den kommenden Jahrhunderten vermutlich werden stellen müssen, ist ein Weltkrieg, in dem ohne Ende geschlagen und getötet wird wie im Mittelalter. Was bei uns passiert, ist schon Besorgnis erregend: Clinton wird in einen Sexskandal verwickelt – sofort ist der Schrei nach Impeachment da; Bushs Leute dagegen haben gelogen, betrogen, man kann ganze Listen ihrer Vergehen herstellen – und was passiert?

Nichts. Sie werden sogar wiedergewählt.

Mit großer Mehrheit. Das ist doch wahnwitzig.

Die Republikaner verstehen es eben, Angst für sich zu benutzen.

Und das geht so weit, dass es heute bereits schwierig geworden ist, in Amerika öffentlich seine Meinung zu äußern. Man muss schon vorsichtig sein, was man sagt. Dabei hat Bush 2000 ja nicht mal gewonnen. Gore hat gewonnen. Nicht, dass wir jetzt nicht im Krieg wären, wenn Bush nicht Präsident geworden wäre – aber wir wären das vielleicht mit anderen Konsequenzen, in stärkerer internationaler Einigkeit. Dann könnte man sich wenigstens darum bemühen, den Schaden zu begrenzen.

Filmbiografien faszinieren Sie länger schon. Was ist eigentlich aus Ihren Projekten über Dean Martin und die Pin-up-Queen Bettie Page geworden?

Die kamen nie über die Planungsphase hinaus. Diese Pläne sind tot, fürchte ich. Aber der Film über Dino ist ein gutes Beispiel. Ich wusste nicht, wo ich beginnen, wo ich enden sollte; also plante ich, sein ganzes Leben zu verfilmen. Das wäre aber dann ein mindestens dreistündiges Epos geworden, das niemand finanzieren konnte oder wollte. Das Studio wollte einen Film über das ganze Rat Pack, ich aber bloß einen über Dino, den Coolsten der Bande.

Er war auf ironische Weise passiv. Das wäre doch eine Herausforderung: ein Epos zu drehen über einen passiven Helden.

Genau das versuchten wir ja. Das war übrigens auch in meinem Film „Die letzte Versuchung Christi“ so: Jesus ist, bis er Gottes Auftrag endlich begreift, eine passive Figur. Aus filmischer Sicht ist das schon ein Problem.

Haben Sie mit Ihrem Christusfilm nicht ganz andere Probleme gehabt? Es gab riesige Demonstrationen gegen Ihren Film, und Sie wurden der Blasphemie geziehen.

Allerdings. Dieselben Leute, die unlängst öffentlich empfohlen haben, sich Mel Gibsons „Passion of the Christ“ unbedingt anzusehen, haben seinerzeit strikt über meinen angeblich unmoralischen Film gehetzt. Ich weiß, dass ich nie irgendjemandes Glauben beleidigt habe. Wer an etwas glaubt, hat meinen Segen – solange er seinen Glauben nicht auch mir aufzwingen will.

Sie hantieren, wenn Sie Filme machen, nicht selten mit 100-Millionen-Dollar-Budgets. Gibt es da nie Momente, in denen sie die Produktionsquerelen an den Rand der Verzweiflung treiben?

Ja, aber das sind nicht Momente, das ist immer so. Das ist Teil des enormen Drucks, unter dem man steht, wenn man in Hollywood Filme macht. Der Druck ist wirklich hoch, und es ist die schlimmste Art von Druck. Ich bin, um ehrlich zu sein, nicht sicher, ob ich nach „The Aviator“ je wieder die Chance kriegen werde, einen Film dieser Größenordnung zu machen, ein Spektakel, das ein Budget dieser Höhe auch braucht – und das dennoch von dunklen Charakteren lebt, mit denen ich mich wohl fühle.

Könnte „Aviator“ in Ihrem Werk also der letzte Film seiner Art sein?

Oh ja. Da geht es um viel zu viel Geld. „Aviator“ wurde weitgehend unabhängig finanziert. Mit einem Hollywoodstudio könnte ich das nicht mehr. Die Studios brauchen bestimmte Filme, die mich nichts angehen, Filme, die produziert werden müssen, weil einfach Geld fließen muss. Filme wie „Der Polarexpress“ machen andere besser, dazu braucht man mich nicht.

Haben Sie nicht manchmal Sehnsucht danach, auch wieder kleinere Filme zu machen?

Klar, die kommenden werden auch deutlich kleiner werden. Mein nächster Film wird „The Departed“ heißen und ein sehr freies, irisch-amerikanisches Remake der Hongkong-Actiontrilogie „Infernal Affairs“ sein – ein dichter, enger Schauspielerfilm mit DiCaprio und Matt Damon.

„The Aviator“ hat drei Golden Globes gewonnen. Gehen Sie davon aus, dass heuer endlich auch ein Oscar für Sie fällig wird?

Keine Ahnung und – ehrlich gesagt – ist mir das inzwischen auch nicht mehr wichtig. Ich meine, natürlich ist mir der Film nahe, und es würde mich für die Schauspieler freuen, für den Kameramann und meinen Production-Designer. Aber für mich? Die Zeit ist vorbei. Außerdem finde ich, man sollte diesen Preis nicht immer erst gegen Ende seines Lebens kriegen, sondern schlicht für gute Filme. Natürlich werde ich, sollte er heuer an mich gehen, den Preis akzeptieren, aber das ist auch eine persönliche Sache: In den Siebzigerjahren hätte ich gern einen Oscar gekriegt, sogar noch in den Neunzigern, als meine Eltern noch lebten. Jetzt, wo sie tot sind, bedeutet mir der Oscar nicht mehr viel.