: Es gibt einen Ausweg aus der Armutsfalle
Abschlussbericht der UN-Kommission zum Kampf gegen die Armut: Forderung nach Verdoppelung der Entwicklungshilfe durch reiche Länder. Arme Staaten sollen auf Schulgebühren generell verzichten und Bildung, Technologie und Infrastruktur stärken
VON DOMINIC JOHNSON
Die Halbierung der Armut weltweit in den nächsten zehn Jahren ist möglich. Mit einer massiven Aufstockung der öffentlichen Entwicklungshilfe, dazu mit Politikveränderungen in den ärmsten Ländern der Welt und einer besseren internationalen Koordination der Entwicklungspolitik wäre die Einhaltung der UN-Millenniumsziele vom Jahr 2000 zu erreichen. Das bilanziert eine UN-Expertengruppe unter Leitung des US-Ökonomen Jeffrey Sachs in ihrem gestern veröffentlichten Bericht zur Umsetzung der Ziele. Diese sehen unter anderem die Bekämpfung von extremer Armut, Unterernährung, Krankheit und Analphabetismus vor.
Bereits 2006 müssten die jährlichen Ausgaben für die öffentliche Entwicklungshilfe auf 135 Milliarden US-Dollar verdoppelt werden, empfiehlt der Bericht mit dem Titel „Investing in Development“, der gestern in New York an UN-Generalsekretär Kofi Annan übergeben wurde. Bis 2015 sollten die öffentlichen Mittel für Armutsbekämpfung auf 195 Milliarden US-Dollar steigen. Angesichts jährlicher Militärausgaben von 900 Milliarden US-Dollar gehe es um bescheidene Beträge, so Sachs.
„Wir müssen es klar sagen: Im Moment funktioniert das System nicht“, sagte der streitbare Ökonom, der sich in den vergangenen zwanzig Jahren vom neoliberalen Chefideologen zum radikalen Kritiker von Ungleichheit in den Weltwirtschaftsbeziehungen gewandelt hat. „Es gibt ein völliges Ungleichgewicht der öffentlichen Aufmerksamkeit zwischen dem Thema Krieg und Frieden und dem Sterben und Leiden der Armen, die keine Stimme haben. Die überwältigende Realität auf unserem Planeten ist die, dass verarmte Menschen krank werden und sterben, weil sie keinen Zugang zu einfachen praktischen Überlebensmöglichkeiten haben.“
Beim UN-Millenniumsgipfel im September 2000 hatten sich alle 191 UN-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, bis 2015 weltweit den Anteil der in absoluter Armut lebenden Menschen, der Hungernden und der Menschen ohne Zugang zu sauberem Wasser an der Weltbevölkerung zu halbieren. Ferner sollte die Kindersterblichkeit um zwei Drittel gesenkt werden, die Müttersterblichkeit um drei Viertel. Der Stand der Erfüllung dieser und anderer, weniger konkreter Ziele soll dieses Jahr auf UN-Ebene überprüft werden, wofür der Sachs-Bericht die Vorlage bieten wird. Bereits 2004 stellten UN-Experten fest, dass es nach jetzigem Tempo nicht 15, sondern 150 Jahre dauern könnte, die Millenniumsziele in den ärmsten Ländern Afrikas, die in der „Armutsfalle“ stecken, zu erfüllen.
Afrika sei weiterhin das „Epizentrum der Krise“, so auch der neue Bericht. Er nennt nun Mali, Burkina Faso, Ghana, Äthiopien, Mauretanien und Jemen als mögliche Pilotländer, in denen wegen ihrer guten Regierungsführung eine massive Steigerung der auswärtigen Entwicklungshilfe sinnvoll wäre. Als Wege aus der Armutsfalle sehen die UN-Experten aber nicht nur mehr Geld von außen oder besseren Zugang zu den Weltmärkten. Der Schwerpunkt von Entwicklungszusammenarbeit müsse auf Bildung, Infrastruktur und Seuchenbekämpfung konzentriert werden.
Hierfür müssten sowohl Geber- wie auch Empfängerländer ihre Politik ändern. Den betroffenen Ländern schlagen die UN-Experten unter anderem Verzicht auf Schulgebühren und Ausbau der Schulspeisung vor. Es sei auch nötig, durch öffentliche und private Investitionen in Infrastruktur, Technologie und Bildung die Kapazitäten zur Entwicklung eigener Entwicklungsstrategien zu stärken.
Ein parallel zum Gesamtbericht veröffentlichter Teilbericht zur Rolle technologischer Innovation bei der Armutsbekämpfung führt aus, was damit gemeint ist. Hochtechnologie sei kein „Luxus“ für Reiche, heißt es. Vielmehr sei die Förderung lokalen Wissens sowie die Verbesserung des Zugangs zur globalen Spitzentechnologie und modernsten Forschungsergebnissen gerade in den ärmsten Länder der Welt wichtig. Nur dann könnten einheimische Wissenschaftler und Unternehmer angepasste Entwicklungsstrategien für ihre eigenen Gesellschaften ausarbeiten und umsetzen.
Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Entwicklung sei die Mobilisierung der inzwischen in jedem Land vorhandenen hoch ausgebildeten Jugend, die sonst wie jetzt massenhaft in die reichen Länder auswandern werde und der eigenen Gesellschaft verloren gehe.
Technologieförderung müsse daher auch in die von Gebern finanzierten Armutsbekämpfungsprogramme einfließen, so der Teilbericht weiter, der überdies grundsätzliche Kritik an der auswärtigen Entwicklungszusammenarbeit übt: Die reichen Geberländer ignorierten weithin das vorhandene lokale Potenzial und würden erfolgreiche Modelle meist nicht weiterverfolgen. Die UN-Experten fordern daher seitens der Geber „weniger, aber effektivere Langzeitprojekte“ und „systematischere Koordination“.