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Archiv-Artikel

Kardinale Predigt entsetzt

In seiner Dreikönigtags-Predigt vergleicht Kölns Erzbischof Meisner Abtreibung mit biblischem Kindermord und Holocaust. Zentralratspräsident fordert Distanzierung

KÖLN taz ■ Als „eine Beleidigung der Millionen Opfer des Holocaust“ und „im höchsten Maße empörend“ hat der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, Äußerungen des Kölner Erzbischofs Joachim Meisner bezeichnet. Meisner hatte in einer Predigt am Dreikönigstag in Köln Abtreibung mit dem biblischen Kindermord und den Verbrechen Hitlers und Stalins verglichen. „Als Würdenträger und Respektperson kann und darf Meisner sich so etwas nicht leisten“, sagte Spiegel zur taz.

Wörtlich hatte Meisner gesagt: „Zuerst Herodes, der die Kinder von Bethlehem umbringen lässt, dann unter anderem Hitler und Stalin, die Millionen Menschen vernichten ließen, und heute, in unserer Zeit, werden ungeborene Kinder millionenfach umgebracht.“ Er erwarte vom 71-jährigen Kardinal „eine eindeutige und unmissverständliche Distanzierung“, sagte Spiegel der taz. Es habe schon Personen des öffentlichen Lebens gegeben, „die haben auf Grund solcher Äußerungen von ihren Ämtern zurücktreten müssen“, so der Zentralratspräsident. „Was soll man von der Jugend erwarten, wenn ein katholischer Würdenträger auf diese Weise und ungestraft den millionenfachen Mord an Juden relativieren kann?“

Erzbistumssprecher Manfred Becker-Huberti wies Spiegels Kritik zurück. Meisner habe „nicht die Juden verunglimpft, sondern die Verbrechen von Hitler und Stalin angeprangert“. Er habe zwar „das Verbrechen der Abtreibung in Zusammenhang gebracht mit den großen historischen Verbrechen“, jedoch nur, weil sie alle „Folgen eines Aufbegehrens gegen Gott“ seien. Damit habe er aber nicht die Einzigartigkeit des Genozids an den Juden unter Hitler relativiert. Allerdings war Meisner bei seiner Silvesterpredigt noch über den jetzigen Vergleich hinausgegangen: Er hatte Abtreibung als einen „Tatbestand“ bezeichnet, „der wohl alle bisherigen Verbrechen der Menschheit in den Schatten stellt“.

Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, nannte dies eine „Ungeheuerlichkeit“: Wer so etwas äußere, „dem sind die moralischen Kategorien völlig durcheinander geraten“, sagte er zur taz. Mit solchen Entgleisungen, die leider keine Einzelfälle wären, verspiele die Kirche „ihr moralisches Kapital, das so dringend gebraucht“ würde bei Themen wie Fortpflanzungsmedizin oder Einsatz der Gentechnik in der Humanmedizin. Auch Beck forderte von Meisner eine Distanzierung: „Für diesen Kardinal steht schon länger ein Schuldbekenntnis aus.“ PASCAL BEUCKER