: Demonstrieren bis der Hartz kommt
Das Jahr geht, Hartz IV kommt. In Dortmund hoffen die Montagsdemonstranten auf eine Renaissance der Protestbewegung
AUS DORTMUNDKLAUS JANSEN
Martin Pausch entschuldigt sich: „Das wird nur eine kleine Infoveranstaltung, keine Demo. Wir haben heute nur Notbesetzung. Aber das wird schon.“ Dann wirft er seine Selbstgedrehte weg, trinkt in einem Zug seinen Becher Glühwein leer, schreitet zum Mikrofon. „Herzlich begrüßen“ will er diejenigen, die gekommen sind auf die Dortmunder Montagsdemo. Es sind 120 Menschen. Es ist ein Grad Celsius kalt, bedeutet die Anzeige an der benachbarten Sparkasse. Es ist der 21. Montag in Folge, an dem in Dortmund demonstriert wird. Gegen Hartz IV. Gegen die Agenda 2010. Gegen Schröder-Fischer-Merkel-Stoiber-Westerwelle. „Wir sind hier und wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, skandieren zwei blonde Mädchen. Und: „Weg mit Hartz IV, das Volk sind wir.“
Martin Pausch hat wieder kurze Haare, wie am 2. August, als er die erste Montagsdemo in Dortmund organisierte. Kurzhaarig, im T-Shirt und mit einem kleinen Bärtchen, hat er im Sonnenschein Ende August vor über 2.000 Demonstranten gesprochen – auf der größten regierungskritischen Kundgebung in ganz NRW. Martin Pausch war in allen Zeitungen, im Radio, im Fernsehen. Im August war Martin Pausch ein Held. Dann kam der Herbst, die Kälte, Hartz IV war auf einmal kein Thema mehr. Martin Pausch ließ sich die Haare wachsen, organisierte weiter Demos. Oft kamen nur knapp 100 Menschen.
Nun soll die Bewegung wieder auferstehen. „Wir sind nur weniger geworden durch die Lügen von Schröder und Clement, die erzählen, dass Hartz IV funktioniert“, sagt Pausch. „Wenn ab Januar das Gesetz in Kraft tritt, sehen die Menschen, dass sie weniger haben. Dann kommen auch wieder mehr Demonstranten.“ Am dritten Januar wollen Erwerbsloseninitiativen in ganz NRW die Arbeitsagenturen lahm legen, ‚Aktion Agenturschluss‘ nennt sich das. Allein in Dortmund werden mehrere hundert Menschen erwartet – und eine Belebung der Anti-Hartz Bewegung. „Es gibt eine Grundglut, die nur wieder angefacht werden muss“, sagt eine Demonstrantin.
Um die Grundglut am Leben zu halten, haben die Dortmunder Montagsdemonstranten Kreativität bewiesen. Jede Woche haben sie Themenschwerpunkte gesetzt: Hartz IV und Migranten, Hartz IV und Kinder, Gesundheitspolitik. „Wir mussten ja auch was bieten“, erklärt Gerd Pfisterer. Der bärtige Metall-Gewerkschafter ist seit der ersten Demo mit dabei, als Redner, Gitarrist, Moderator. „Die Lokalzeitungen haben gesagt, dass sie ja nicht jede Woche dasselbe bringen können. Also haben wir uns etwas einfallen lassen“, sagt Pfisterer.
An diesem Montag präsentieren die Demonstranten eine Stellenausschreibung der Arbeitsagentur: Bürokraft gesucht, Vollzeit. Arbeitsort: Gelsenkirchen. Arbeitgeber: Ratsfraktion der Republikaner. „Wenn wir solche Jobs nicht annehmen, bekommen wir 30 Prozent weniger Geld vom Staat. Hartz IV macht die Rechten stark“, ruft Martin Pausch ins Mikrofon. Es gibt Applaus. Oft aber berühren die kreativen Ideen das eigentliche Thema Hartz IV höchstens am Rande. Zum Schwerpunkt Gesundheitsreform werden so länglich die Vorzüge der kubanischen Krankenversorgung referiert. Was das mit Hartz zu tun hat? „Es ist doch interessant zu sehen, wie soziale Gerechtigkeit in anderen Ländern organisiert wird“, sagt der Metaller Pfisterer.
Auf ihre Themen- und Meinungsvielfalt sind die Demonstranten stolz. Jede Woche gibt es ein offenes Mikrofon für konstruktive Redebeiträge zu Tücken der Arbeitsmarktgesetze oder zur Regelfallverordnung – aber auch für Skurriles. „Nix reden. Kämpfen. Scheiß System. Staat“, lallt ein Mann nach dem schätzungsweise zwölften Glühwein durch die Boxen. Eine kurze Drehung, und der Inhalt seines halbvoller Bechers landet auf einem Mitdemonstranten. Ein anderer Redner gibt schüchtern zu verstehen, dass er „der rhetorischen Sprache nicht so mächtig ist.“ Macht nix, so funktioniert Basisdemokratie, findet Martin Pausch.
Pausch hat versucht, den Widerstand von der Straße in die ‚große Politik‘ zu tragen. Funktionär ist er geworden, der kleine Mann mit den großen Augenringen, zweiter Bundesvorsitzender einer Partei namens ‚Freie Bürger für soziale Gerechtigkeit‘. Wahlchancen: Im Promillebereich. „Eigentlich sind wir in NRW nur fünf Mann. Wir haben aber allen erzählt, wir wären zwölf“, sagt Pausch. Und grinst.
Andere haben es durchaus professioneller versucht. Ingo Meyer zum Beispiel. 15 von 21 Dortmunder Demos hat er mitgemacht, mittlerweile ist er Landesvorstandsmitglied der ‚Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit‘. Dicke Mütze, dicker Schal und die Hoffnung auf dicke Prozente bei der Landtagswahl im Mai – das bringt er mit auf die Dortmunder Demo. „Das hier ist schon ein Teil unserer Basis. Aber um 5 Prozent zu holen, müssen wir noch andere Leute ansprechen“, sagt Meyer.
Im Sommer waren die Pauschs und Meyers noch ein Schrecken für die nordrhein-westfälische SPD. Als „Krawallveranstaltung“ hatte ein nervöser Dortmunder Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer die Montagsdemo beschimpft. Heute reagieren die Genossen gelassener. „Die Bewegung hat ihren Höhepunkt überschritten“, sagt SPD-Generalsekretär Michael Groschek. Die Wahlalternative? Ein „Ärgernis“, mehr nicht. Groschek, der sonst gerne den bissigen Terrier gibt, spricht seine Worte betont ruhig aus.
Unterkriegen lassen wollen sich die Dortmunder Demonstranten von den „SPD-Lügnern“ nicht. Sie haben ihren Trotz sogar in selbstgedichtete Lieder gefasst. So kommt es, dass fünf Menschen um ein Mikrofon stehen und singen, Martin Pausch ist dabei, Gerd Pfisterer spielt mit Eisfingern Gitarre. „Wir werden stark im Gegenwind“, lautet der Text. Und: „So wie ein Baum, beständig steht am Wasser – keiner schiebt uns weg.“
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